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„Männer", schnaubte Emily zum wiederholten Mal und schüttelte abermals mit dem Kopf. Nachdem sie mir einen Tee gemacht hatte, hatte sie sich zu mir an den Tresen gesellt und begonnen ihrem Frust Platz zu machen. „Weißt du, ich verstehe einfach nicht, warum die beiden immer gleich die Fäuste sprechen lassen müssen", redete sie einfach weiter, während ich die Tasse erneut an meine Lippen führte. „Dabei könnte man meinen, dass die zwei es besser wüssten. Immerhin sind sie ja Brüder."
Der Schluck, den ich gerade genommen hatte, blieb mir plötzlich im Hals stecken und ich begann lautstark zu Husten. Breit grinsend klopfte mir Emily fest auf dem Rücken.
„Sie sind Brüder?", krächzte ich, sobald der Tee aus meiner Luftröhre verschwunden war. Emily nickte: „Natürlich. Zwar liegen einige Jahre zwischen ihnen und Liam gleicht mehr seiner Mutter, als Sam, aber dennoch kann man nicht bestreiten, dass die beiden Blutsverwandt sind."
„Glaub' mir, ich hab's oft genug versucht", ertönte plötzlich Liam's Stimme hinter meinem Rücken und veranlasste mich dazu mich umzudrehen. Das schiefe Grinsen war in sein Gesicht zurück gekehrt und auch Sam wirkte nur noch halb so bedrohlich, als er ihm freundschaftlich gegen die Schulter schlug und dann auf uns zukam.
„Na, alles geklärt?", schmunzelte Emily, woraufhin er brummend beide Arme um sich schlang und sie kurz an sich drückten. Dann fiel sein Blick auf mich. Alle Wut war aus ihm gewichen und stattdessen glänzte nun ein beinahe reumütiger Ausdruck aus ihnen. Kurz darauf wusste ich auch warum, denn seine Lippen formten ein stummes ‚Es tut mir leid'.
Für eine Sekunde hielt ich den Atem an. Eine Entschuldigung von einem Alpha bekam man nun ja nicht jeden Tag, dennoch nickte ich schließlich, ehe ich von meinem Hocker herunter rutschte und zu Liam huschte.
Wie von selbst suchte mein Körper seine Nähe und legte meine – im Vergleich zu seiner – kleinen Hand in seine. „Gehen wir?"
Das Grinsen in seinem Gesicht wurde breiter und er schüttelte mit dem Kopf. „Nein."
Überrascht zog ich eine Augenbraue hoch. „Nein?"
„Du wolltest doch mehr über mich erfahren. Und um eben das zu können, musst du zuerst noch den Rest vom Rudel besser kennenlernen." Mir klappte die Kinnlade herunter. Wie bitte?! Ich musste mich wohl verhört haben. Ich sollte mich gleich allen Fünf auf einmal stellen?
Liam, den mein Gesichtsausdruck wohl entgangen war, lachte und legte mir liebevoll einen Arm um die Schultern. „Keine Sorge, die beißen nicht."
Ich warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Ja klar."

Nach ungefähr einer halben Stunde hatte ich dann tatsächlich alle Jungs des Rudels kennengelernt. Angefangen bei Jake, Quill, Embry und Seth, welche ich bereits aus der Schule vom Sehen her kannte, bis hin zu Paul, der mir vollkommen fremd war. Der zu Beginn recht holprige Start hatte sich letztendlich doch noch zu einem richtigen Gespräch ausbauen lassen, sodass ich nun ohne Zweifel von ihnen behaupten konnte, dass sie echte Wölfe waren. Direkt und vollkommen wild.
Unbewusst war mir eine Last von den Schultern genommen worden, kaum, dass sie mich in ihrer Mitte akzeptierten. Es fühlte sich gut an, beinahe, als würde ich dazugehören, ein Teil des Ganzen sein.
Ich schüttelte mich, als ein warmes Kribbeln in meinem Bauch aufstieg und drängte es eilig zurück. Zwar fand ich es nicht falsch diese neue Art der Bindung in vollen Zügen auszukosten, aber dennoch durfte ich nicht vergessen, wer ich war. Eine Wölfin, anders und nicht wie sie.
„Hey Val, träumst du schon wieder?", riss mich Seth aus meinen Gedanken und grinste mich an. Er war das jüngste Mitglied des Rudels und vielleicht sogar das Schwächste. Aber, was ihm bisher noch an Muskelkraft und Erfahrung fehlte, schien er mit seiner einnehmenden und offenen Art sofort wieder wett zu machen.
Man konnte also gar nicht anders, als ihn ins Herz zu schließen. Ich erwiderte also sein Lächeln und nickte kurz.
Wie auf Kommando legte sich ein schwerer Arm um meine Schultern, während eine andere Hand durch meine Haare wuschelte. „Das wievielte Mal innerhalb der letzten fünf Minuten ist das?" Dieser neckische Kommentar stammte von Embry, aus dessen Griff ich mich gerade befreien konnte.
Aber noch ehe ich ihm eine Antwort auf seine Frage liefern konnte, schaltete sich auch schon Paul ein, was mich am meisten verwunderte, denn bisher war er immer der Stillste von ihnen gewesen. Freundlich, aber zurückhaltend. „Ich glaube wir langweilen die Kleine."
„Wie wär's, wenn wir ein wenig laufen gehen und Valerie mal zeigen, was wir so drauf haben", warf Liam auf einmal ein und ehe ich mich versah, war er schon aufgesprungen, hatte mich am Arm gepackt und hochgezogen.
„I-Ihr wollt was?", stotterte ich, ohne wirklich zu begreifen, warum sich auf einmal alle erhoben und auf die Veranda zusteuerten.
Langsam beugte sich Liam zu mir hinunter, bis seine Lippen mein Ohr streiften und sich mir die Nackenhaare aufstellten. Gleichzeitig lief mir ein warmer Schauer über den Rücken. „Das wirst du gleich herausfinden."
Mit diesen Worten ließ er von mir ab und rannte nach Draußen. Ich zögerte für einen Augenblick, unsicher, was ich von dem wölfischen Grinsen, welches seinen Mund umspielte, halten sollte. Dann folgte ihm.
Als ich jedoch keine Minute später schließlich ebenfalls die ersten Stufen der Veranda erreichte, standen zu meinen Füßen keine Menschen mehr. An ihrer Stelle fand ich sechs wunderschöne, aber vor allem verdammt riesige Wölfe wieder. Ziemlich beeindruckend.
Es mochte ja stimmen, dass ich mich selbst zu so einem Wesen wandeln konnte und sogar schon Liam in seiner Form gesehen hatte, aber dieses Bild vor Augen zu haben, war trotzdem etwas vollkommen anderes. Jeder von Ihnen war für sich allein umwerfend, doch die Macht, die sie als Rudel ausstrahlten, war einfach atemberaubend. 

MondgeheulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt