Die Autotür schlug hinter mir mit einem dumpfen Knall ins Schloss. Kurz darauf folgte eine weitere. Liv hatte hinter Liam Platz genommen, womit wir vollzählig wären.
Liam warf mir einen ernsten Blick zu: „Bereit?"
Ich lehnte den Kopf zurück, nickte schließlich. Als der Wagen dann startete, schloss ich die Augen. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Dabei war es noch nicht einmal der Unterricht, der meinen Körper schlaff und matt wirken ließ. Olivia und Liam hatten recht gehabt, als sie sagten, dass es keine gute Idee sei den Wolf in mir immer zurück zu drängen. Es war ein ewiger Kampf aus dem weder Tier noch Mensch als Gewinner hervorgingen.
Ich musste endlich lernen zu akzeptieren, dass beide gleichermaßen ein Teil von mir waren. Ich seufzte, öffnete meine Augen wieder und sah zu Liam hinüber. Bisher hatte er sich voll und ganz auf die Straße vor ihm konzentriert, doch nun runzelte er die Stirn. „Ich merke, wie du mich anstarrst. Was ist los, Val?"
Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Es ist nichts", murmelte ich dann, ehe ich mich zu ihm hinüber beugte, um ihn auf die Wange zu küssen.
Kurz erkannte ich den Anflug eines Lächelns bei ihm, bevor es wieder verschwand und der kritische Ausdruck auf sein Gesicht zurückkehrte. „Du solltest langsam wissen, dass ich merke, wenn du mich anlügst, mon coeur."
Ich senkte meinen Blick, bewusst darüber, dass er wie immer richtig lag. Ich knirschte mit den Zähnen. Man, das nervte vielleicht. Trotzdem musste man es Liam lassen. Er hatte eine Begabung dafür, jedes Detail aus seiner Umgebung wahrzunehmen und entsprechend zu deuten.
„Was geht in dir vor?", bohrte mein Werwolf also weiter nach, während er der schlafenden Liv im Rückspiegel einen Blick zu warf.
Ich hob eine Braue. „Meinst du im Moment? Oder eigentlich immer?" Mein Tonfall war schärfer gewesen als beabsichtigt, was mich sofort dazu brachte meine Worte zu bereuen. Also ließ ich die Schultern sinken und gab Liam stattdessen eine ehrliche Antwort. „Du hast Recht", war das Erste und vermutlich auch das Schwerste, was ich über die Lippen brachte, ehe ich fortfuhr: „Die Wölfin kratzt an meiner Oberfläche und will verdammt nochmal nach draußen. Und jetzt, wo die Wälder schon so nah sind..." Ich warf einen sehnsüchtigen Blick aus dem Fenster und begutachtete die an uns vorbeiziehenden Bäume. „...ist das Verlangen sie freizulassen sogar noch größer. Ich denke, dass ich allmählich lerne zu begreifen, dass ich sie nicht mehr unterdrücken kann und vielmehr lernen muss mit ihr zu leben."
Bis jetzt hatte Liam mir nur still zugehört, nun nickte er jedoch. „Ich denke, dass ist ein gutes Zeichen." Damit ergriff er meine Hand und drückte sie zärtlich. Wie von allein verschränkte ich meine Finger mit seinen. Dann folgte ich meinen Instinkt und kuschelte mich an seine Seite. „Du weißt, dass ich immer für dich da sein werde?", murmelte Liam und küsste mich sacht auf den Scheitel.
Ich nickte, da ich wusste, dass es keiner weiteren Worte bedurfte. Etwas in mir wusste bereits, dass er die Wahrheit sprach, obwohl es bisher bloß ein Versprechen war. Ein Versprechen, das allerdings noch weit in unsere Zukunft reichen sollte.Mit einem lauten Gähnen streckte sich Liv, die bisher zusammengerollt auf dem Rücksitz geschlafen hatte. Nachdem sie sich ausgiebig gedehnt hatte, kam sie wieder zu uns herüber. Dabei zierte ein vorwurfsvoller Ausdruck ihr Gesicht. Noch bevor Liam oder ich etwas hätten sagen können, landete auch schon ihr Zeigefinger auf meiner Nasenspitze: „Warum habt ihr mich nicht geweckt?" Ihre Stimme klang kratzig und war noch belegt vom Schlaf. Auch ihr Haar war total zerzaust, was es für mich erschwerte ihren Wutausbruch ernst zu nehmen und mir ein Lächeln zu verkneifen.
Liam gelang es - im Gegensatz zu mir - gar nicht, denn kaum hatte Liv mit ihrer Schimpftirade angefangen, breitete sich ein schiefes Grinsen auf seinem Gesicht aus. Sofort fuhr mein Teufel von Freundin zu meinem Freund herum und richtete nun ihren Zorn gegen ihn. „Ach, findest du das etwa lustig? Weißt du was hätte passieren können? Oder viel schlimmer, weißt du, was ich dadurch alles hätte verpassen können?!"
Tatsächlich meinte sie es damit tot ernst. Nicht die Sorge hatte sie so in Rage gebracht, sondern vielmehr das Bewusstsein beinahe einem Abenteuer entgangen zu sein. Dieser Fakt jedoch brachte alle Dämme in mir zum Einstürzen, sodass ich ungehalten laut loslachte und Liv damit die Zornesröte in die Wangen trieb.
„Untreues Wolfspack", grummelte meine beste Freundin dann und drehte uns mit verschränken Armen den Rücken zu. Doch selbst von hier konnte ich ihren finsteren Blick erkennen, weshalb ich mir hastig in die Wange biss und ihr von hinten um den Hals viel. „Sorry Liv, war nicht so gemeint. Ich bin nur so geladen und erleichtert, dass ich es gleich hinter mir habe."
„Außerdem", mischte sich nun auch Liam wieder ein. „Hast du nicht wirklich etwas verpasst - mal abgesehen von Vals kleiner Zappeleinlage auf dem Sitz."
„Hey", protestierte ich und schlug ihm fest auf die Schulter. „Das sollte doch unter uns bleiben."
Anstelle von Reue zeigte sich auf Liam Gesicht ein schalkhaftes Grinsen, als er mit den Schultern zuckte.
Ich fletschte die Zähne, lächelte dann aber, lief zu ihm hinüber und gab ihm einen innigen Kuss auf den Mund. Wer konnte diesem Werwolf schon lange böse sein.
Ein Stöhnen kam aus Olivias Richtung. Und als wir beide wieder in ihre Richtung guckten, hatte sie ergeben die Hände gehoben. „Ist ja gut, ist ja gut. Ihr könnt euch später weiter abschlabbern. Jetzt zieht erstmal euer cooles Wandler- Ding ab." Sie machte eine wegscheuchende Geste mit ihren Händen.
Ich warf meiner Freundin noch ein Lächeln zu, ehe ich Liam kurz an der Hand berührte und dann an ihm vorbei in den Wald rannte.
Kaum, dass wir den Waldrand passiert und damit die Straße hinter uns gelassen hatten, gab ich dem Drang der Verwandlung nach. Es verwunderte mich jedes Mal, wie leicht die Veränderung vom Menschen zum Tier von statten ging, als ich plötzlich nicht mehr auf zwei, sondern auf vier Beinen lief.
Ich stieß einen zufriedenen Laut aus, während ich hinter mich sah. Auch Liam hatte inzwischen wieder die Form des mitternachtsschwarzen Wolfes angenommen. Ich blieb stehen und wartete bis er an meiner Seite war.
Wie im echten Leben war er auch jetzt noch ein ganzes Stück größer als ich, weshalb ich zu ihm aufsehen musste. Der Wolf vor mir senkte seinen Kopf gegen meinen. Ich erwiderte seine Geste und begrüßte ihn somit in dieser Gestalt. Dann leckte ich ihm mit der Zunge über die Wange. Liam knurrte zufrieden, ehe er von mir abließ und in einen leichten Schritt verfiel. Ohne zu zögern folgte ich ihm.
So erkundeten wir erst einmal ganz langsam den Wald zusammen, nahmen die fremden Gerüche der Tiere und Pflanzen war. Und ich musste gestehen, dass ich es genoss diese Erfahrung nicht ganz allein machen zu müssen. Es gefiel mir den starken schwarzen Wolf neben mir zu wissen.
Nach einer ganzen Weile beschloss ich, dass ich jetzt lange genug durch die Gegend getrottet war. Zwar hatte ich den Drang mich zu wandeln nun hinter mir gelassen, doch die Energie dahinter war immer noch da. Es wurde Zeit sie abzubauen.
Ohne Vorankündigung gab ich Liam einen sanften Stoß, dann schoss ich auch schon davon. Kaum einen Herzschlag später hörte ich, wie der schwarze Wolf mir nachsetzte.
Schnell wurde allerdings klar, dass er kaum eine Chance hatte, mich einzuholen. Wie, als hätte mein Körper nie etwas anderes gemacht, wich er Bäumen, Sträuchern und Steinen aus, während meine Schritte immer länger wurden und ich mein Tempo immer mehr beschleunigte. Ich spürte, wie sich meine Muskeln bei jeder Bewegung anspannten, um sich dann für einen Augenblick zu entspannen, ehe der Prozess erneut startete.
Ich hörte, wie Liam hinter mich schnaubte - zu stur um aufzugeben. Innerlich musste ich grinsen, während ich meine Geschwindigkeit weiter beschleunigte und den schwarzen Wolf immer weiter hinter mir ließ. Noch im Rennen legte ich den Kopf in den Nacken und stieß ein jubelndes Jaulen aus.
Was mir dadurch jedoch entging, war der Abgrund, der sich plötzlich vor mir auftat. Ein Fluss hatte sich durch das Gestein gezogen und damit eine klaffende Grenze in dem Wald geschaffen. Wieso hatte ich das Rauschen nicht schon eher bemerkt?
Nun blieb mir gerade einmal der Bruchteil einer Sekunde, um eine Entscheidung zu treffen. Abbremsen oder Springen?
Ich holte tief Luft, spannte die Muskeln meiner Hinterläufe an und stieß mich mit all meiner Kraft von dem Boden ab. Noch im Flug ereilte mich Liams warnendes Bellen, aber da war es bereits zu spät.
Mit allen Beinen landete ich auf der anderen Seite des Flussufers. Erneut hörte ich, wie Liam nach mir rief. Ich warf ihm einen fragenden Blick über die Schulter zu. Noch immer stand er auf der anderen Seite. Also musste er abgebremst haben. Doch warum? Er hätte es doch locker geschafft. Verwirrt legte ich den Kopf schief und musterte ihn. Es war wirklich ärgerlich, dass wir uns nicht auch in dieser Gestalt miteinander unterhalten konnten.
Auf einmal hörte ich ein lautes Knacken hinter mir. Meine Aufmerksamkeit galt immer noch dem schwarzen Wolf am anderen Ende des Ufers, dennoch drehte ich die Ohren zu der Quelle des Geräusches. Ich lauschte. Ich vernahm keinen Herzschlag und auch keinen Atemzug. Ich schnupperte. Nichts. Ob ich mich vielleicht getäuscht hatte.
Gerade wollte ich mich umdrehen und der Sache auf den Grund gehen, als Liam noch einmal jaulte. Es klang verzweifelt, aber als ich wieder zu ihm sah, war er verschwunden.
Was zum..., dachte ich und starrte einen Moment lang noch auf dem Fleck, an dem der schwarze Wolf bis eben noch gestanden hatte. Wo war er? Liam würde mich doch nicht einfach zurück lassen? Ich trat unsicher von einer Pfote auf die andere. Sollte ich zurück gehen? Ihn suchen?
Schon wieder knackte ein Zweig hinter mir, nun deutlich näher. Ich fuhr mit einem Knurren herum. Aber bisher konnte ich noch nichts erkennen.
Noch einmal suchte ich die andere Seite nach Liam ab, dann setzte ich mich in Bewegung.
Wie zuvor beschleunigte mein Körper von ganz allein. Ich spürte, wie sich meine Sinne schärften und plötzlich witterte ich etwas. Es war ein stechender Geruch - süßlich und dennoch unnatürlich beißend. Ich wusste sofort, dass dieser Duft zu dem Wesen gehören musste, dass ich suchte. Also nahm ich die Verfolgung auf.
Bald schon wurde mir allerdings bewusst, dass das absolut nicht nötig gewesen wäre. Denn nicht ich war die Jägerin, wie ich bald feststellte. Ohne es zu bemerken, war ich zur Beute des Jägers geworden, welcher mir nun immer näher kam.
Was ist er?, fragte ich mich und drosselte unbewusst mein Tempo. Unwillkürlich begann mein Blick umherzuschweifen, bis...ich sie sah. Eine junge, blonde Frau, die solch eine blasse Haut hatte, dass sie beinahe durchscheinend wirkte. Auf den ersten Blick hätte ich sie als wunderschön bezeichnet, doch dann erkannte ich eine rote Flüssigkeit, die ihren Mund bedeckte. Blut.
Augenblicklich schoss mir ein Gespräch, das ich einmal mit Sam geführt hatte durch den Kopf und sofort jagte das Wort Vampir durch meinen Geist.
Erst jetzt viel mir auch ihre unnatürliche Augenfarbe auf. Bernsteinfarben mit einem Tick ins Gelb. Auch das sie mit mir mithalten konnte, war nicht normal. Alles an ihr schrie nach Gefahr. Vampir!
Ich rammte meine Fersen in den Boden und kam schlittern vor ihr zum Stehen. Sie knurrte und ich erwiderte es mit der gleichen starrköpfigen Inbrunst.
„Rosalie, nicht!", tönte plötzlich die Stimmen eines Mannes durch den Wald. Sie war also nicht alleine. Erneut stieß ich ein zähnefletschendes Knurren aus, ehe ich mich umdrehte und zurück in das Unterholz preschte.Ich hatte Liam die Erleichterung angesehen, als ich ein Bad in einem Teich - um meine Fährte zu verwischen - und eine halbe Stunde später wieder am Wagen aufgetaucht war.
Er hatte mich fest in den Arm genommen und mich an sich gedrückt, beinahe so, als hätte er mich nicht heil zurück erwartet. Wir sprachen kurz über den Vorfall am Fluss, aber nicht darüber, was nach seinem Verschwinden geschehen war. Womöglich war er einfach froh, dass ich wieder bei ihnen war. Und auch Liv schien erleichtert nun endlich wieder Nachhause kommen zu können. - Also blieb ich still und verkniff mir die Fragen zu der seltsamen Frau, der Vampirin bis auf weiteres.
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Mondgeheul
WerewolfValerie Moore hat schon vieles in ihrem Leben durchgemacht. Als ihre Eltern jedoch auf Grund der Versetzung ihres Vaters nach La Push ziehen, bricht für sie eine Welt zusammen, denn sie muss ihr bisheriges Leben hinter sich lassen. In La Push erwart...