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Langsam stieg ich die Stufen hinab und ging auf sie zu. Meine Aufmerksamkeit galt allerdings einzig und allein dem rabenschwarzen Wolf, der meinen Blick mit seinen Augen gefangen hielt.
„Na", flüsterte ich, kaum dass ich seine Seite erreicht hatte und streckte vorsichtig die Finger nach ihm aus. Wie selbstverständlich kam er mir auf halben Weg entgegen und schmiegte seinen großen Kopf in meine Hand. Ich lächelte. Dann begann ich kleine Kreise in sein Fell zu ziehen, welche nach und nach immer größer wurden. Der Wolf vor mir gab ein zufriedenes Grollen von sich.
„Gefällt dir, was?", neckte ich Liam, woraufhin er mich mit seiner feuchten Nase leicht an stupste. Ich lachte, hob die zweite Hand an und wuschelte ihm durch das weiche Haar.
Nachdem ich ihm noch einige Male über den Kopf gestreichelt hatte, trat ich wieder einen Schritt zurück und wartete. Als sich daraufhin allerdings nichts tat, stemmte ich die Hände in die Hüften. „So und was machen wir jetzt?" Ich sah die Wölfe einem nach dem anderen an, wartete darauf eine Antwort zu erhalten. Natürlich war mir bewusst, dass sie in der Form, in der sie sich im Augenblick befanden, nicht sprechen konnten. Allerdings gab es auch andere Wege sich zu verständigen. Und so wartete ich, bis Liam plötzlich vor mir in die Knie ging. Für einen Moment hielt sein Blick wieder meinen fest, dann deutete er mit der Schnauze hinter sich.
Überrascht wanderten meine Augenbrauen in die Höhe. „D-Du willst, dass ich auf deinen Rücken klettere?"
Der schwarze Wolf nickte mir zu und verpasste mir einen kleinen Stoß, als ich mich nicht sofort rührte. Kurz geriet ich ins Taumeln, fing mich jedoch wieder und folgte seiner Bitte.
Unwillkürlich hielt ich den Atem an, als sich meine Hände auf seinen breiten Rücken legten und ich ein Bein über schwang.
Liam unter mir richtete sich auf und stieß eine Art Seufzen aus, was mich schuldbewusst zusammen zucken ließ. „Bin ich dir zu schwer?"
Das abfällige Schnauben, welches auf meine Frage folgte, sprach Bände. Ergeben hob ich die Hände, beugte mich vor und kraulte ihn hinter den Ohren. „Ist ja gut. Ich bin ja schon still."
Das schien ihn zufrieden zu stellen, denn er gab ein zustimmendes Brummen von sich, bevor er sich langsam in Bewegung setzte.
Liam trat an die Seite eines rostbraunen Wolfes, der ihm weder von der Größe, noch vom Aussehen her in irgendetwas nachstand.
Ich musste kurz überlegen, zu wem dieses zweite Ich passen würde, aber dann bemerkte ich eine Gemeinsamkeit – die Augen. „Jake", lächelte ich, stolz darauf ihn erkannt zu haben.
Der braune Wolf bellte mir kurz freudig zu, dann richtete er die Schnauze wieder nach vorn. Wenig später trat ein weiterer Wolf zu uns – Seth. Ihn konnte ich leicht an seiner Größe erkennen, denn ebenso wie als Mensch war er noch der Kleinste im Rudel.
Plötzlich stieß Liam ein lautes Heulen aus, dann spürte ich auch schon, wie sich seine Muskeln unter mir anspannten.
Es geht los, schoss es durch den Kopf, während mir gerade noch ausreichend Zeit blieb, um meine Hände fest in Liam's schwarzen Fell zu verankern.

Liam

Während meine Pfoten über den Waldboden jagten und die Bäume an mir vorbeirauschten, fühlte ich, wie sich Valeries lange Finger in mein Fell gruben und sich daran festhielten. Ich spürte ihre Oberschenkel, welche sich gegen meine Rippen pressten und ich hörte ihren schnellen Herzschlag, der im Einklang mit meinem war.
Noch nie zuvor hatte ich es einem anderen Wesen gestattet dem Wolf in mir so nahe zu sein. Nie zuvor hatte eine Frau so tief in meine Welt eindringen dürfen, wie Valerie. Was mich daran allerdings verwunderte war, dass es sich keineswegs schlecht anfühlte.
Ganz im Gegenteil. Es bereitete mir Spaß ihr all die Dinge zu zeigen, wie ich sie sah. Den Wald so zu sehen, wie ich es konnte. Doch, was war an ihr si besonders, dass ich so fühlte?
Ich blickte mich um, erkannre dass Paul und Jakob mit mir auf einer Höhe waren und legte einen Zahn zu. Valerie lachte und stieß ein lautes Johlen aus.
Ob es daran lag? Ihrer Engerie, die auf alle abfärbte? Ich lächelte, legte den Kopf in den Nacken und stieg in ihr Geheul ein.
Die Stimmung war ausgelassen, während wir um die Wette rannten und wir alle genossen einfach den Augenblick.
Zumindest taten wir das solange, bis uns auf einmal ein stechender Geruch entgegen stieg.
Auf der Stelle rammte ich meine Pfoten in die weiche Erde und blieb stehen. Valeries Lachen verstummte. Witternd hob ich den Kopf und hielt meine Nase in den Wind. Nichts. Konnte es sein, dass ich mich geirrt hatte? Erneut schnupperte ich.
Du hast es also auch war genommen, meldete sich Paul in meinem Kopf und trat an meine Seite. Wir tauschten einen Blick, dann knurrte ich.
Sollte sich wirklich ein Blutsauger in unserem Gebiet aufhalten, dann ist es für Valerie viel zu gefährlich an unserer Seite zu bleiben.
Ich nehme sie, meldete sich Seth sofort freiwillig, legte seinen Kopf auf Valeries Knie und bedeutete ihr somit auf seinen Rücken zu klettern. Für einen Moment zögerte sie, doch dann setzte sie sich in Bewegung. Als ich spürte, wie ihr Gewicht von mir wich, legte ich die Ohren an und sah zu ihr auf.
In ihren Augen lag Verwirrung, als diese meinen begegneten und sie festhielten. Ich wusste, was sie fragen wollte, hörte ihre Stimme beinahe klar in meinen Gedanken.
Was ist los? Ich schüttelte mich, da ich ihr darauf keine Antwort geben konnte. Sie würde Valerie bloß noch tiefer auf die Schattenseite dieser Welt ziehen. Eine Seite, welche nicht für Menschen, wie sie geschaffen war.
Seth, renn los!, gab ich dem jüngeren Wolf einen Befehl und wandte den Blick ab. Gleich würde ich jagen,...um sie zu beschützen.

Valerie

Was ist los?, hallte die stumme Frage abermals durch meinen Kopf, noch während sich Liam von mir abwandte. Warum kehrte er mir den Rücken zu? Er sollte nicht gehen!
Aber noch ehe ich lautstark protestieren konnte, vollführte Seth bereits eine Hundertachtziggraddrehung und stürmte in die Richtung zurück aus der wir eben gekommen waren.
Wie zuvor bei Liam schoben sich meine Finger in sein Fell und hielten sich daran fest, während mein Körper  versuchte sich seinem Rhythmus anzupassen.
„Seth!", schrie ich gegen den Wind an und zog an seinen Ohren, in der Hoffnung, dass er meiner Bitte nachgehen würde. „Halt' an!"
Anstatt jedoch stehen zu bleiben, flogen seine Pfoten noch schneller über den Waldboden. Er schien meine Worte gar nicht wahrzunehmen, sie schlichtweg zu ignorieren.
Ich knurrte. Was zum Teufel ging hier vor?! „Seth, wenn du nicht sofort stehen bleibst, springe ich!", drohte ich ihm und es schien zu wirken. Auf einmal wurde der Wolf nach und nach immer langsamer, bis er schließlich gänzlich stehen blieb.
Ohne zu zögern glitt ich von seinem Rücken und landete fest auf beiden Beinen. Keine Sekunde später fuhr ich auch schon zu ihm herum, die Augen zu wütenden Schlitzen verengt. „Was sollte das?"
Warum hatten wir uns so plötzlich von den Anderen getrennt? Und warum war nicht Liam bei mir geblieben?
„Erkläre dich", forderte ich Seth nach einer Weile auf, in der wir uns stumm angestarrt hatten und verschränkte stur die Arme vor der Brust. Ich würde mich keinen Zentimeter von diesem Fleck bewegen, bevor er mir nicht erklärt hatte, was hier vor sich ging.
Das schien auch dem Werwolf bald klar zu werden, denn er gab einen frustrierten Laut von sich, ehe er sich umdrehte und hinter einem Busch verschwand.
Kurze Zeit später kehrte er, nur mit einer Hose bekleidet, zurück. „Das wird Liam sicherlich nicht gefallen", murmelte er und schien nicht gerade glücklich darüber.
Doch das war mir egal. Sollte Liam doch sauer werden. Welches Recht hatte er dazu Seth zu befehlen mir nicht die Wahrheit zu erzählen? „Also was stimmt hier nicht?"
„Valerie wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen weiter. Es ist zu..."
„Wieso?", unterbrach ich ihn harsch noch bevor er den Satz beenden konnte. Innerlich zuckte ich über meinen harten Tonfall zusammen. Ich wusste ja, dass Seth nur den Befehlen der Anderen folgte und deshalb eigentlich keine Schuld trug, dennoch konnte ich die Wut nicht aus meinen Worten verbannen.
„Valerie", flüsterte Seth und legte mir behutsam eine Hand auf die Schulter. „Es ist gefährlich hier draußen. Sie..." Er biss sich auf die Zunge. „Etwas ist in unsere Wälder eingedrungen und bedroht La Push."
Etwas?", hakte ich nach und fragte mich gleichzeitig, was es war. Was konnte so gefährlich sein, dass sich die Hüter des Stammes darum kümmern mussten? Welches Wesen auf dieser Erde konnte es nur ansatzweise mit ihnen aufnehmen? Was gab es von dem ich keine Ahnung hatte?
Die Erinnerung an einen süßlich, stechenden Geruch schob sich in meine Gedanken. Konnte es damit zusammenhängen, was meine Sinne zuvor aufgeschnappt hatten?
Ich hob den Blick und sah Seth an. „Was ist es?"
„Valerie", winselte er und trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. „Dafür haben wir jetzt keine Zeit."
„Ach nein?! Und wann ist dann die Zeit dafür?!", schoss ich zurück.
„Wenn du außer Gefahr bist und Liam mir nicht mehr droht den Kopf abzureißen, sollte dir etwas geschehen."
Noch bevor ich ihm darauf wieder eine pampige Antwort liefern konnte, vernahm ich ein Knacken zu meiner Rechten. Seth neben mir verspannte sich augenblicklich und ein bedrohlicher Laut verließ seine Kehle.
Dann sah ich sie auch schon. Eine zierliche Brünette mit rot leuchtenden Augen... 

~

Huhu ihr Eulchen, 

was haltet ihr von dem neuen Kapitel von Mondgeheul? Gefällt euch der Sichtwechsel? Schreibt es mir doch in die Kommentare. :D

Bis demnächst
Zoey 

MondgeheulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt