Liam
Die ganze Zeit hatte ich während der Fahrt geschwiegen. Zum einen, um Valerie nicht aus ihrem Schlaf zu reißen und zum anderen, genoss ich die Stille. Durch sie bekam ich endlich einmal die Möglichkeit meine Gedanken zu ordnen.
Schon komisch, dass mir - dem Badboy der Schule - dies so gut in der Gegenwart eines Mädchens gelang. Nicht, dass diese Geschöpfe mich normalerweise durcheinander brachten, nein das gelang tatsächlich nur ihr.
Apropos Valerie. Wie konnte eine Kratzbürste, wie sie bloß so ein unschuldiges Gesicht im Schlaf machen? Ich konnte darüber nur mit dem Kopf schütteln.
Nach etwa weiteren fünfzehn Minuten Autofahrt kam der Wagen endlich vor dem Haus der Moores stehen. Ein Glück kannte hier jeder jeden, sodass ich die genaue Adresse selbst ohne Valeries Hilfe gefunden hatte.
So leise, wie möglich machte ich den Motor von Emilys Jeep aus. Immerhin sollte man ja keinen schlafenden Tiger wecken.
Mein Blick glitt zu dem Mädchen neben mir, welches noch immer seelenruhig im Traumland verweilte. Wie von selbst streckte ich meine Hand nach ihr aus und strich ich zärtlich über die Wange. Ihre Haut fühlte sich angenehm weich und warm an.
Ich schloss die Augen, ehe ich mich zu ihr hinunter beugte. Kurz vor ihrem Gesicht hielt ich inne und betrachtete Valerie noch einmal eingehend. Inzwischen war ich ihr so nahe, dass ich ihren regelmäßigen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Aus dieser Nähe betrachtet war sie tatsächlich noch schöner.
Neben ihren weichen Gesichtszügen und den langen Wimpern zogen mich vor allem ihre Lippen in ihren Bann. Es wäre ein Leichtes für mich den letzten Abstand zwischen unseren Mündern zu überbrücken und sie hier und jetzt zu küssen. Der Bruchteil einer Sekunde und sie wäre zumindest für diesen Augenblick mein. Mein.
Als ich endlich mitbekam, was ich da überhaupt dachte, zuckte ich geschockt zurück. Verdammt, was tat ich hier überhaupt?! Meine Augen verengten sich zu Schlitzen. Was hatte dieses Biest mit mir angestellt.
Jegliche Zurückhaltung verloren, griff ich noch einmal nach Valerie - dieses Mal allerdings, um sie kräftig an der Schulter zu rütteln. „Aufwachen Prinzeschen!"
Anstatt aber wach zu werden, drehte sich meine eigentliche Feindin schlicht auf die andere Seite und murmelte irgendetwas von fünf Minuten.
Entnervt fuhr ich mir mit der Hand übers Gesicht. Ich musste sie schnell loswerden, bevor ich komplett den Verstand verlor. So aber wurde das nichts.
Meine Augen wanderten zum Haus ihrer Familie. Hinter den Fenstern brannte Licht also musste jemand von ihren Angehörigen Daheim sein.
Ohne weiter darüber nachzudenken, stieg ich aus und lief auf die Eingangstür zu. Dort angekommen musste ich nichts weiter tun, als die Klingel zu drücken und zu warten.
Ich wurde nicht enttäuscht. Nachdem mein Wolfsgehör zwei Herzschläge ausgemacht hatte, näherten sich mir auch schon Schritte. Keine dreißig Sekunden später öffnete mir eine blonde Frau die Tür.
War das Valeries Mutter? Mit ihren blonden Haaren, den blauen Augen, sowie der zierlichen Statur sah sie ihrer Tochter überhaupt nicht ähnlich. Und eben das verunsicherte mich. „Mrs. Moore?"
"Ja?", entgegnete mir die Frau sogleich und vernichtete somit all meine Zweifel. Dann muss die kleine Göre wohl nach ihrem Vater kommen.
Aus reiner Routine setzte ich ein breites Lächeln auf. Das tat ich immer, wenn ich zufällig doch einmal auf die Mutter meiner kurzen Liebschaften traf. Allein dieser nette Ausdruck genügte ihnen meist, um keine weiteren lästigen Fragen an mich zu stellen, was ich alles mit ihren Töchtern anstellte.
Zurück zu Mrs. Moore allerdings, denn diese sah mich noch immer mit gerunzelter Stirn an. „Guten Abend. Mein Name ist Liam Uley. Ich habe ihre Tochter Valerie von ihrer Nachhilfestunde mit Nachhause genommen." Ich deutete hinter mich auf Emilys Wagen. „Leider ist sie während der Fahrt eingenickt und jetzt bekomme ich sie nicht mehr wach."
"Oh", stieß Valeries Mutter abrupt aus, aber dann breitete sich ein Grinsen auf ihren Gesicht aus, sodass sich rund um ihre Augen Lachfältchen bildeten. „Das sieht meiner Tochter ziemlich ähnlich. Warte kurz."
Mit diesen Worten drehte sie mir den Rücken zu und lief zurück ins Innere des Hauses. Ebenso schnell, wie sie verschwunden war, tauchte Mrs. Moore jedoch auch wieder auf. Sie hatte sich bloß eine Jacke und Schuhe anziehen wollen. Stimmt. Manchmal vergaß ich, dass Menschen mehr froren, als ich und meine Artgenossen.
Ohne mich weiter zu betrachten, schoss die blonde Frau auch schon an mir vorbei auf das Auto zu. Gut, nun wusste ich wenigstens, woher das Biest seinen stürmischen Charakter herhatte. Ich verdrehte die Augen, folgte dann aber ihrer Mutter.
Inzwischen hatte diese bereits die Beifahrertür aufgerissen und versuchte mit aller Mühe Valerie wach zu bekommen. Leider schien sie dabei genauso wenig Erfolg zu haben, wie ich zuvor. Großartig!
"Keine Chance", stöhnte Mrs. Moore kaum eine Minute später und schüttelte über die Ignoranz ihrer Tochter den Kopf.
"Und was jetzt?" Die Frage hatte meine Mund verlassen noch bevor ich sie zurückhalten konnte. Zum Glück klang meine Stimme nicht einmal halb so angepisst, wie ich eigentlich war. Ich wollte endlich zurück. Vor allem, weil mir allmählich der Geduldsfaden riss und mein Wolf an die Oberfläche kam. Sobald das Elend hier endlich sein Ende genommen hatte, würde ich wohl noch einen Abstecher in die hiesigen Wälder machen.
Laut seufzend stemmte Valeries Mutter die Hände in die Hüften. „Da sie nicht aufwacht, würde ich normalerweise sagen, dass Dylan, ihr Vater, sie hineinträgt. Aber der ist im Moment noch außer Haus. Wäre es möglich, dass..."
Ich gebot ihr mit einer Hand Einhalt. Sie brauchte gar nicht weiter sprechen, denn ich verstand auch so, was sie von mir wollte.
Mit zusammengepressten Lippen kam ich Valerie heute schon zum zweiten Mal näher, als es überhaupt für mich gut war und legte die Arme um sie. Tatsächlich war die kleine Brünette leichter, als erwartet, sodass ich keine Probleme dabei hatte sie aus Emilys Schrottlaube zu heben. Im Anschluss daran folgte ich ihrer Mutter ins Innere des Hauses.
Sogleich empfing mich helles Licht, das mich für einige Herzschläge lang erblinden ließ. Während sich meine Augen langsam an diesen Unterschied gewöhnten, dirigierte mich die Stimme von Mrs. Moore nach links.
"Vorsicht Stufe", wies sie mich freundlich hin und erst da erkannte ich die Treppe direkt vor mir. „Ich hoffe, dass Valerie dir nicht zu schwer ist, denn ihr Zimmer liegt im ersten Stock. Wenn doch kannst du sie auch einfach auf der Couch ablegen."
Ein verlockender Gedanke, aber... „Nein, nein, es geht schon." Tatsächlich machte es mir rein gar nichts aus diese friedliche Valerie im Arm zu halten. Allein schon die Art, wie sie sich an mich kuschelte, löste ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit in mir aus.
Mit Leichtigkeit überwand ich die Treppe und steuerte dann, wie mir angewiesen wurde auf die Höhle des Löwen zu.
Zu meiner Enttäuschung befanden sich in dem Raum keine anstößigen Dinge. Man, noch nicht mal ein vergessener BH war auf dem Fußboden vorzufinden.
"Was bist du'n für'n Ordnungsfreak", flüsterte ich Valerie ins Ohr, ehe ich sie in ihren Bett ablud. Beinahe so, als hätte sie mich gehört, gab sie einen grummelnden Laut von sich. Dann aber rollte sie sich ein und blieb, mit leicht geöffneten Mund still liegen.
Noch nicht mal ihre Schuhe hatte sie ausziehen können. Ich verdrehte die Augen und wunderte mich darüber, warum ich eigentlich so nett zu ihr war und ihr diese Aufgabe abnahm. Doch als wäre das nicht schon zu viel des Gutem gewesen, deckte ich sie anschließend noch zu und trat näher zu ihr.
Wie vorhin auch schon im Auto strich ich ihr erneut über die Wange. „Du machst mich fertig, Kleine."
~
Heute mal ein etwas längeres Kapitel aus Liams Sicht. Zwar nicht ganz so perfekt, wie gestern, aber ich hoffe ihr könnt damit leben. ^^Es würde mich freuen, wenn ihr mir mitteilt, ob es okay ist, dass ich hin und wieder aus seiner Sicht schreibe. :D
Liebe Grüße
Z.
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Mondgeheul
WerewolfValerie Moore hat schon vieles in ihrem Leben durchgemacht. Als ihre Eltern jedoch auf Grund der Versetzung ihres Vaters nach La Push ziehen, bricht für sie eine Welt zusammen, denn sie muss ihr bisheriges Leben hinter sich lassen. In La Push erwart...