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Plötzlich zog eine unglaublich große Macht an mir und riss mich durch die Luft. Anstatt der kühlen Flüssigkeit landete mein Körper auf etwas Warmen und gleichzeitig Harten. Ich ließ meine Augen geschlossen, atmete jedoch erleichtert auf. Im Wasser war ich jedenfalls schon einmal nicht gelandet.
"Hey Kleine, geh' endlich von mir runter", meldete sich plötzlich eine vertraute Stimme unter mir.
"Das kann doch jetzt nicht wahr sein", knurrte ich bedrohlich leise und hob' langsam meine Lider. Wie ich leider schon vermutet hatte, befand sich unter mir kein Erdhaufen, sondern ein hochgewachsener Junge, der mich nun verschmitzt angrinste.
Hastig sprang ich auf meine Füße und ging sofort auf Distanz. Wie hatte Liam es geschafft mich einzuholen? Immerhin war er die ganze Zeit nicht zu sehen gewesen.
"Bestimmt fragst du dich jetzt, wie ich dich eingeholt habe", traf er den Nagel gleich beim ersten Mal auf den Kopf und begutachtete seine Fingernägel, ehe sein Bernsteinblick sich wieder in meinen bohrte. „Aber zerbrech' dir deshalb mal nicht den Kopf. Sagen wir einfach, dass wir jetzt quitt sind."
Damit drehte er sich um und ging voran. Quitt? Für was? Etwas für gestern?! Kopfschüttelnd folgte ich diesem Idioten, der mich vor einem Bad im Fluss gerettet hatte und schloss zu ihm auf.
"Danke", grummelte ich, schaute ihn dabei jedoch nicht ins Gesicht. Soweit kam es noch!
Ein raues Lachen drang aus seiner Richtung an mein Ohr. „Keine Ursache, Kleine."

Seite an Seite erreichten Liam und ich den Sportplatz. Wir waren die Ersten. Doch anstatt uns auf die anderen warten zu lassen, entließ uns Coach Ross bereits in die Pause und schrieb uns beiden die Eins ein.
Nun, circa fünf Minuten später hockte ich umgezogen in der Mädchenumkleidekabine und wusste nicht, was ich mit meiner freien Zeit anfangen sollte. Immerhin turnte Liv noch irgendwo munter durch den Wald. Ich seufzte, raffte mich dann aber auf und trat aus der Turnhalle in Freie.
Auf der Stelle zerrte der Wind an meinen Haaren und wirbelte sie in alle Richtungen. Fluchend versuchte ich sie mit meinen Händen einzufangen und zu bändigen. Keine Chance. Wann hatte das Wetter eigentlich umgeschlagen?
"Brauchst du vielleicht Hilfe?", erkundigte sich kein Geringerer, als Liam Uley und tauchte urplötzlich vor mir auf. Ich schrak zurück und schüttelte den Kopf.

Aber noch ehe ich „Nein, danke" sagen konnte, packte er auch schon in meine braunen Locken und band sie mit einem behelfsmäßigen Faden zusammen.
Jetzt sah ich zwar wieder etwas, aber dennoch richtete sich mein Blick finster auf ihn. Ich hatte ihn schließlich nicht um seine Hilfe gebeten.
"Was?", grinste der Uley Junge und tat beinahe so, als wären wir gute Freunde.
Schnaubend lief ich an ihm vorbei, bevor ich ihm über die Schulter ein „Halt' dich von mir fern" zu zischte. Warum begriff er denn einfach nicht, dass ich nichts mit ihm zu tun haben wollte?

Da ich nun gut eine Dreiviertelstunde Mittagspause hatte, sicherte ich mir und Olivia schon einmal einen der begehrten Fensterplätze in unserer Cafeteria. Von hier aus hatte man einen angenehmen Ausblick auf den Wald, welche sich beinahe über das ganze Reservat erstreckte.
Den Blick weiterhin auf die Naturkulisse vor mir gerichtet, kramte ich in meiner Jackentasche nach meinen Kopfhörern. Sobald ich diese gefunden hatte, schloss ich sie an mein Handy an und steckte sie mir ins Ohr. Kurz darauf sang Morita Takahiro die ersten Töne von Be the light.
Ich schloss die Augen und legte mein Kopf auf der Tischplatte ab.
Im Gegensatz zu so vielen Liedern der Band One Ok Rock, besaß dieser Song ebenso wie Pierce eine ruhige Melodie. In ihm ging es darum trotz aller Dunkelheit den Kopf oben zu halten, weiterzugehen und sich nicht aufzugeben. Etwas, das ich in meiner Vergangenheit erst lernen musste. Vermutlich wurde dieses Lied auch deshalb so schnell zu einem meiner Lieblingssongs.
Gerade stimmte Takahiro die ersten Zeilen des Refrains an, als mir jemand plötzlich einen der Kopfhörer aus dem Ohr herauszog. Ich wollte bereits meinen Einspruch erheben, als ich erkannte, dass das andere Ende meines Headsets sich in Liams Besitz befand.
Mir fiel die Kinnlade herunter. Nicht nur, dass dieser Junge es geschafft hatte sich unbemerkt neben mich zu setzen, nein, jetzt lauschte er auch noch scheinbar konzentriert meiner Musik. Und verdammt - er sah dabei einfach gut aus.
Halt stop!, ruderte ich in Gedanken zurück. Gut, Liam sah mit seinen kurzen schwarzen Haaren und der gebräunten Haut wirklich nicht schlecht aus, doch das tat nichts zu Sache. Schließlich gab es überall auf der Welt heiße Typen.
Nichtsdestotrotz ertappte ich mich keinen Herzschlag später wieder dabei, wie ich meinen Blick über seine Züge wandern ließ.
Angefangen bei seinen markanten Kinn, über die gerade Nase bis hin zu seinen bernsteinfarbenen Augen. Augen, die offen standen und mich wohl wissend anblitzen.
Unwillkürlich spürte ich, wie meine Wangen rot wurden. Um dies zu überspielen, stemmte ich meine Hände in die Hüften und blaffte ihn an: „Was fällt dir eigentlich ein mir einfach meinen Ohrstöpsel zu klauen?"
Mich schlichtweg übergehend tippte Liam weiterhin im Takt der Musik mit dem Fuß auf und ab, bevor er meinte: „Das klingt wirklich nicht schlecht - auch wenn ich glaube, dass der Sänger aus keinem englischsprachigen Land stammt. Vielleicht Thailand oder Korea"
"Japaner. Er ist Japaner", korrigierte ich ihn schnell. Man konnte die meist hart klingende Sprache Koreas doch nicht mit dem Japanischen vergleichen.
"Interessant", murmelte Liam und beugte sich ein Stück näher zu mir hinüber. „Was gibt es noch über dich zu wissen, Moore?"
Mein Herz setzte einen Schlag aus und auch mein Gehirn drohte seinen Geist aufzugeben. Ich musste unbedingt von ihm weg. Eilig rutschte ich weiter auf der Bank nach links, sodass die eine Seite meines Körpers nun direkt an der Wand neben mir lag. Was wollte er von mir? Wieso rückte er mir auf einmal so auf die Pelle?
"A-Also erst einmal laute m-mein Name Valerie", setzte ich stotternd an, ehe ich mir auf die Lippe bis. Verdammt, ich musste mich zusammenreißen, sonst glaubte der Kerl noch, dass er irgendeinen Einfluss auf mich hatte.
Ich straffte also die Schultern und richtete mich zu meiner vollen Größe auf. „Und du brauchst wirklich gar nichts über mich zu wissen!"
Ein dunkles Lächeln spielte um den Mund des Uley Jungen, während er aufstand. „Wir werden ja noch sehen, ob du mir nicht doch noch etwas über dich erzählen willst", flüsterte er so leise, dass sich meine Nackenhaare aufstellen.
Plötzlich befand sich seine Hand an meiner Wange und strich darüber. „Wir sehen uns morgen in Englisch. Ich freue mich schon, Valerie."
Mit diesen Worten verschwand Liam und ließ mich mit pochendem Herzen sitzen.


MondgeheulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt