69

242 8 7
                                    

Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte, als ich mich in dem Wald umsah. Alles wirkte so vertraut und trotzdem fremd. Die Bäume, die mich sonst immer beruhigten, schafften es dieses Mal nicht mein Herz langsamer schlagen zu lassen. Ich hatte reichlich Mist gebaut und fragte mich, ob ich das jemals wieder gut machen konnte.
Traurig blickte ich hinter mich. Was, wenn sie mir nie verziehen? Wenn ich von nun an für immer eine Ausgestoßene wäre? Ich hatte bisher immer ohne Rudel gelebt und es nie als Problem empfunden. Auch jetzt sah das nicht anders aus. Aber ohne Rudel zu leben oder ohne Freunde war etwas komplett verschiedenes. Ohne es beeinflussen zu können, begannen Tränen meine Augen zu füllen und ich richtete hastig den Blick auf den Boden. Ich wollte nicht weinen, wollte nicht zeigen, wie nah es mir ging, was hier alles auf dem Spiel stand.
Und trotzdem entwischten mir einige Tränen, als zwei starke Arme sich von hinten um mich schlangen und Liam mir einen zärtlichen Kuss in die empfindliche Kuhle zwischen meinem Hals und meiner Schulter setzte, die nun für immer die blassen Bissmale zieren würden. Er hatte mich gezeichnet, mich beansprucht, weil er keinen anderen Ausweg gesehen hatte. Bei der Abstimmung vor zwei Tagen war ein Unentschieden zustande gekommen, da sich einige der Mitglieder enthalten hatte. So wäre es an Sam, als Alpha gewesen eine endgültige Entscheidung zu treffen. Die einzige Chance, die mir demnach blieb, um weiterhin in La Push zu bleiben, war mich an einen Wolf aus den Rudel binden zu lassen.
Liam drehte mich zu sich um. In seinen Augen spiegelte sich noch immer die Reue, als er zwischen mir und der Wunde hin und her schaute. „Es tut mir leid. Ich hätte das nicht einfach tun sollen..."
Ich kuschelte mich an seine Brust, woraufhin sich seine Arme wieder ganz von alleine um mich legten. „Du sollst dich nicht entschuldigen", murmelte ich an seiner nackten Haut und genoss es seinen Geruch um mich zu haben. Er hatte keinen anderen Ausweg gesehen, um mich zu schützen. Der Biss an sich hatte nicht weh getan. Er war kurz und schnell, ebenso wie Liams Worte mit denen er den Anderen mitteilte, dass ich nun zu ihm gehörte – Prägung hin oder her. Von diesem Moment an war ich für Sam und den Rest so unantastbar geworden, wie die anderen Gefährtinnen. Wenn sich ein Wolf erst einmal band, durfte seinem Gefährten nichts mehr angetan werden. Das war ihr oberstes Gesetzt über das sich noch nicht einmal Sam hinwegsetzen konnte.
„Ich hab' dich ohne dein Einverständnis an mich gekettet", seufzte Liam, lehnte seine Stirn gegen meine und schloss die Augen. Gekettet, wiederholte ich das Wort nachdenklich in Gedanken. Zwar war solch eine Bindung nicht so stark, wie eine Prägung, aber dennoch spürten beide Parteien das schmale Band, welches von nun an ihre Schicksale miteinander verwob. 
„Ich bereue nicht, dass du es getan hast. Ich wünschte nur...", begann ich, hielt dann aber inne. Sollte ich ihm wirklich sagen, was ich eigentlich dachte? Ja! Nicht, weil ich mich schuldig fühlte. Nein, ich wollte, dass er verstand wie und was ich fühlte. „Ich wünschte nur wir wären für uns gewesen und der Biss nicht nur ein Akt, um mich zu beschützen. Ich hätte es...schöner gefunden...." Unverzüglich wurde ich rot. Ich hatte es doch tatsächlich ausgesprochen! Ich wollte bereits wegsehen, da umschlossen Liams Hände mein Gesicht und seine Lippen pressten sich auf meine. Der Kuss war anders, als bisher. Nicht mehr zurückhaltend, sondern gefüllt von den Gefühlen, die uns in den letzten Tagen begleitet hatten. Ich schnappte nach Luft, als Liams Zunge über meine Lippen strich und Einlass in meinen Mund verlangte, den ich ihm nur zu gerne gewährte. Ich vergrub meine Hände in seinen Haaren, zog ihn – sofern das überhaupt möglich war – noch näher zu mir, während mein Herz einen immer schnelleren Takt anschlug und meine Selbstbeherrschung flöten ging. Liam stieß ein zufriedenes Knurren aus, ehe er mich hochhob und sich meine Beine um ihn legten. Besitzergreifen strichen seine Hände über meinen Körper – erst langsam, dann immer fordernder und jagten mir dabei heiße Schauer über den Rücken.
Ich wusste nicht, was mich dazu antrieb so weit zu gehen, aber mir gelang es einfach nicht aufzuhören. Erst recht nicht, als Liams scharfe Reißzähne verführerisch über meine Schulter kratzten. Ich stöhnte auf und wartete bloß noch darauf, dass er zu biss.
Doch bevor es dazu kommen konnte, räusperte sich jemand lautstark neben uns und wir stoben, wie vom Blitz getroffen auseinander.
„Wow, also wirklich wow", stotterte Leah und sah sprachlos zwischen mir und dem Uley-Jungen hin und her. „Das war beinahe so gut, wie ein Softporno", meinte sie dann und fächerte sich übertrieben Luft zu.
Während ich anlief, wie ein reife Tomate, verdrehte Liam nur genervt die Augen und verlangte zu wissen, was sie von uns wollte.
„Oh ach ja, die Blutsauger wären dann soweit", knurrte sie und bedeutete uns ihr zu folgen.
Verständnislos sah ich zu Liam. Wie konnte sie jetzt einfach von uns erwarten ihr nachzulaufen? Ich wusste ja nicht, wie es bei mir aussah, aber mein Werwolf verströmte noch immer den betörenden Geruch nach Lust und mehr und so wollte ich diesen Vampiren definitiv nicht unter die Augen treten.
„Wir kommen in einigen Minuten", rief Liam Leah hinterher. Er schien meine Gedanken gelesen zu haben, denn als er mich an sich zog, knurrte er: „Ich werde sicherlich nicht zulassen, dass ein anderes männliches Wesen dir in den nächsten Minuten zu nahe kommt. Sorry mein Engel, aber du riechst nach purer Versuchung und ehrlich gesagt, muss ich ziemlich mit mir kämpfen, dass von eben nicht auf der Stelle fortzusetzen."
Meine Augen wurden mit jedem seiner Worte größer und mein Mund klappte immer wieder auf und zu, ohne das er irgendwelche Worte hervorbrachten. Noch nie hatte ich solch einen Kontrollverlust erlitten und bisher hatte ich auch noch nie den Drang danach verspürt jemanden so nahe zu sein. Was hatte sich geändert? Was stimmte nicht mit mir?
Auf einmal legte sich Liams Hand um mein Kinn und zwang mich ihn anzusehen. „Egal, was du jetzt denkst. Es ist nichts verkehrt daran sich so zu einer Person hingezogen zu fühlen. Wenn du wüsstest, wie gern ich dich jetzt mit zu mir in mein Bett entführen und an derselben Stelle, an der wir aufgehört haben, weiter machen würde – bloß damit du vollkommen zu mir gehörst..."
Ich klappte bereits den Mund auf, um etwas zu sagen, aber da brachte er mich auch schon mit einem flüchtigen Kuss zum Schweigen. „Keine Sorge Val, ich werde nie etwas tun, zu dem du noch nicht bereit bist."
Mein Herz drohte beinahe von dem Glück, das mir das Leben mit ihm geschenkt hatte, zu zerplatzen. Ich schaffte es kaum die Worte auszusprechen, die meiner Meinung nach noch nicht einmal annähernd an das heran kamen, was ich tatsächlich für ihn empfand. „Ich liebe dich, Liam Uley."
Liam lächelte und zog mich noch einmal an seine Lippen. „Ich liebe dich auch, Valerie Moore. Meine Kratzbrüste."
Unwillkürlich musste ich lachen und verpasste ich einen sanften Klaps auf den Hinterkopf.
„Hey", protestierte er ebenfalls lachend und wirbelte mich herum.
„Das war dafür, dass du den Moment zerstört hast", kicherte ich und auch Liam stieg in mein Gelächter ein.
Als er mich schließlich wieder abstellte, wurde sein Gesicht jedoch ernst. „Es wird Zeit", flüsterte er dann und hielt mir seine Hand entgegen.
Ich verschränkte seine Finger mit meinen und nickte: „Lass uns gehen."

Das Haus der Cullens war anders, als ich erwartet hatte. Es hatte kein bisschen etwas von einem alten Schloss oder einer Burg, noch nicht mal dunkel war es. Statt der erwarteten Dracula-Behausung, ragte mir ein moderner Neubau mit riesigen lichtdurchlässigen Fenstern entgegen.
Liam neben mir lachte leise, woraufhin ich ihm einen verwirrten Blick zuwarf. „Du siehst so enttäuscht aus."
Nun musste auch ich grinsen. „Ich habe es mir eben ganz anders vorgestellt – mehr Dracula-mäßig. Allerdings...dieser Geruch ist nicht gerade einladend."
„Daran wirst du dich gewöhnen müssen", erwiderte Liam nur schulterzuckend und zog mich weiter eine kleine Treppe hinauf. Als wir kurz darauf vor der Haustür ankamen, wurde diese auch gleich von einem blonden Mann geöffnet. Er sah jung aus und ich würde ihn vermutlich auf Ende zwanzig Anfang dreißig schätzen, wenn er nicht so eine unglaubliche Aura verströmen würde. Ohne es zu wollen starrte ich ihn an.
„Du musst bestimmt Valerie sein", sagte er lächelnd und ergriff meine Hand, als ich keine Anstalten machte mich zu bewegen. Sein Lächeln warf mich komplett aus der Bahn, ebenso die Wärme, welche aus seinen bernsteinfarbenen Augen strahlte. „Sie sind ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe", platzte es aus mir heraus und ich errötete auf der Stelle.
Carlisle hingegen lächelte mich nur noch breiter an. „Ich hoffe, dass ist nichts Schlechtes." Dann trat er zur Seite und ließ uns herein, bevor er wieder die Führung übernahm. Ich folgte ihm eine Treppe nach oben und erhielt dabei Rückendeckung von Liam. Carlisle führte uns in ein großes Wohnzimmer, das bereits prall gefüllt war mit Vampiren und Werwölfen, deren Blicke nun alle auf uns lagen. Offensichtlich wurden wir erwartet.
Ich spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte, während ich mir nach und nach die Gesichter anschaute. Neben Sam, Leah, Jakob und Seth befanden sich mit uns sechs Vampire und ein Mensch im Raum. Ich runzelte die Stirn und sah zu dem braunhaarigen Mädchen, welches sich hinter einem der Jungen versteckte. Kurz schnupperte ich, um zu überprüfen, ob ich mich nicht geirrt hatte. Doch spätestens als ich ihren schnellen Herzschlag hörte, war ich mir sicher. Sie war nicht übernatürlich.
„Das ist Isabella Swan", erklärte mir Carlisle, der meinen skeptischen Blick wohl bemerkt hatte. „Keine Sorge, sie ist eingeweiht."
Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Ich denke sowieso, dass ich tiefer in der Scheiße stecke als sie, oder nicht?" Ich konnte mir ein bitteres Lachen nicht verkneifen. „Immerhin entscheiden wir hier über mein Schicksal."
„Moment mal. Du bist die neue Wölfin?" Der braunhaarige Vampir, der eben noch so dicht bei Isabella gestanden hatte, stand von einem Moment auf den anderen direkt vor mir. Erschrocken zuckte ich zurück. Ich hatte ihn nicht kommen sehen. Mit offenem Mund starrte ich ihn an, während er mich ebenso entsetzt anschaute. Wie schnell zum Teufel war er?
Carlisle legte dem anderen Vampir besorgt eine Hand auf die Schulter. „Edward, was ist los?"
Edward also, notierte ich in Gedanken und musterte ihn genauer. An und für sich war er ein echter Hingucker mit der blassen Haut, dem kantigen Kinn und diesen genialen Augen, die jeder in dieser Familie zu besitzen schien, allerdings schlug mein Herz bereits für jemand anderen. Unwillkürlich wanderte mein Blick über meine Schulter zu Liam, der sofort meine Hand ergriff und seine Finger mit meinen verflocht. Allein diese Berührung jagte kleine Funken durch meinen Körper, welche mich unweigerlich an den Kuss im Wald erinnerten. Ich biss mir auf die Unterlippe. Wie gern ich das doch wiederholen wollte...
„An was denkst du gerade?", fragte Edward mich und packte mich bei den Schultern. Sofort gab Liam hinter mir ein bedrohliches Knurren von sich, was den Vampir dazu veranlasste mich wieder loszulassen. „Entschuldige", murmelte er dann und wandte sich an die Anderen. „Ich kann ihre Gedanken nicht lesen."
Ein Keuchen ging durch den Raum und schon wieder lagen alle Augen auf mir. Dieses Mal spiegelten sich jedoch allerlei verschiedener Gefühle in ihnen. „W-Was ist los?", stotterte ich und musterte sie misstrauisch. Was hatte ich nun schon wieder falsch gemacht? Hatte ich etwas Falschen gesagt? Nein, er hatte von Gedankenlesen gesprochen! Oh mein Gott würden sie mich hier und jetzt umbringen?! Die Wölfin in mir jaulte, flehte mich an sie freizulassen. Panisch verstärkte ich den Griff um Liams Hand, sodass mein Wolf kurz auf keuchte. Er fing sich jedoch schnell wieder. „Hört auf sie so anzustarren!", bellte er. „Ihr macht ihr Angst!"
Schuldbewusst senkten alle Anwesenden ihren Kopf oder sahen plötzlich wo ganz anders hin. Alle, bis auf Isabella, die nun aufstand und zu Edward herüber kam. Bei ihm angekommen, wandte sie sich jedoch mir zu und nicht ihm. „Vielleicht bist du ja, wie ich?", mutmaßte sie und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.
Doch alles, was sie damit bezweckte, war mich noch mehr zu verwirren. Was redete sie da? Sie war doch kein Werwolf? Oder doch?
„Ich denke nicht, dass sie wie du ist Bella", sagte Edward dann, während er mich nachdenklich musterte. Dann tauschte er auf einmal mit Carlisle einen geheimnisvollen Blick und nickte ihm zu. „Vielleicht hast du recht. Irgendetwas scheint sie zu blockieren."
„Okay Sekunde mal!", ging ich dazwischen, als mir alles zu viel wurde und mein Kopf drohte zu platzen. „Kann mir mal jemand erklären, was hier abgeht? Ich verstehe nämlich nur Bahnhof!"
Der Ältere der Vampire setzte bereits zu einer Antwort an, aber da unterbrach ich ihn auch schon, indem ich zu Edward herumwirbelte. „Also du kannst Gedanken lesen?" Er nickte.
Ich drehte mich weiter zu Bella. „Deine kann er nicht lesen."
„So wie deine", bestätigte sie mir grinsend.
Ich machte eine ausholende Geste mit der ich die Vampire einkreiste. „Habt ihr alle solche Fähigkeiten?"
„Nur ein paar von uns", lieferte mir zum ersten Mal eine von den drei Frauen eine Antwort. Sie war blond und eine echte Schönheit, aber ihre Augen waren kalt. „Dich kenne ich doch", flüsterte ich und deutete mit dem Finger auf sie. „Du bist doch die aus dem Wald."
„Und du bist die, die auf unser Land gekommen ist", zuckte sie gelassen mit den Schultern, was irgendwie meine Mundwinkel zum Zucken brachte.
Plötzlich sprang Sam auf, seine Hände wütend zu Fäusten geballt. „Deshalb sind wir doch gar nicht hier", versuchte er auf den eigentlichen Grund dieses Zusammentreffens zurückzuführen, aber dafür interessierte ich mich gerade nicht.
„Was meintest du, als du sagtest ich sei blockiert?", richtete ich mich an Edward, der noch immer fasziniert zwischen mir und seiner Freundin hin und her sah. Bella musste seine Freundin sein, denn bevor er mir antwortete, drückte er ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. „Bei Bella fühlt es sich, als würde ich gegen eine Wand rennen. Du hingegen..." Er schien die richtigen Worte zu finden. „Bei dir ist es mehr, wie ein dichter Nebel. Deine Gedanken sind da, aber ich bekomme einfach kein klares Bild, als würde ein Teil von dir mich blockieren."
Als er dies so erzählte, dachte ich plötzlich wieder an diesen Traum. Die Frau hatte mir gesagt, ich solle mich erinnern. Was, wenn diese Blockade nicht nur andere aus meinen Kopf raushielt... „Meist du es ist möglich, dass sie auch anderes herum funktioniert? Also, dass mich mein Kopf zum Beispiel davon abhält mich an etwas zu erinnern? Zum Beispiel woher diese Mauer kommt?", hakte ich nach, während mein Puls immer schneller wurde.
Nachdem er kurz über meine Worte nachgedachte hatte, nickte Edward: „Schon möglich..."    

~

Da bin ich wieder. :D
Wie immer gespannt auf eure Reaktionen und Kommentare.
Vor allem interessiert mich eure Meinung zu dem - von Leah so schön betitelten - "Softporno" ;), aber auch eure Spekulationen: wer oder was diese Mauer in Valeries Kopf verursacht und was das letztendlich zu bedeuten hat. 

Grüße an euch Mondi's
- Zoey

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 02, 2018 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

MondgeheulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt