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Hatte ich vor knapp zwei Minuten noch behauptet, dass es nicht mehr schlimmer werden konnte? Ja? Oh man, ich sollte was so etwas anging wirklich die Klappe halten!
Bereits, als ich das dumpfe Geräusch sich nähender Schritte vernahmen, sprangen alle meine Alarmglocken an. Sollte ich bis dahin noch nicht vollkommen im Chaos versunken gewesen war, tat ich dies spätestens, als eine vertraute Stimme mich ansprach und fragte: „Ist hier noch Platz."
Ich musste noch nicht einmal den Blick von meinem Handy abwenden, um zu erkennen, wen ich da vor mir hatte. Dennoch hob ich den Kopf an und sah direkt in Liams Gesicht, auf dem üblicherweise sein typisches Badboy Grinsen lag.
"Nein", zischte ich und hob gleichzeitig abwehrend die Hände. Solange es mir Möglich war keinen Kontakt zu ihm zu haben, wollte ich das ausnutzen.
Leider schien dieser Idiot das nicht zu verstehen, denn er nahm trotz meines Einwandes wortlos neben mir Platz.
Ein Knurren löste sich aus meiner Kehle. Kein Brummen oder etwas ähnliches, sondern das echte Knurren eines Raubtieres. Hastig wandte ich den Kopf ab und schaute nach Draußen. Verflucht! Ich musste die Kontrolle behalten.
"Hey, alles klar bei dir?", erkundigte sich Liam bei mir und klang seltsam besorgt. Ich ballte die Hände zu Fäusten noch immer im Kampf mich nicht hier und jetzt zu verwandeln.
„Ja, alles gut", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Aus dem Augenwinkel erkannte ich eine Bewegung und ahnte bereits, was er vorhatte, weshalb ich schnell noch hinzufügte: „Fass mich bloß nicht an!"
"Ist ja gut." Ergeben zog Liam seine Hand zurück und begann stattdessen mit seinem Stuhl zu kippeln. Geschafft legte ich den Kopf auf der Tischplatte vor mir ab. Bloß noch vier Stunden.
Wie aufs Stichwort platzte Mrs. Johnson herein, einen Stapel bunten Papiers in der Hand. „Hello Everybody."
Im Chor gab die gesamte Klasse, abgesehen von mir und dem Uley neben mir, die freundliche Begrüßung zurück. In mir war jegliche Freude, welche ich bisher noch an diesem Tag empfunden hatte, verflogen. Weshalb Liam jedoch schwieg, wusste ich nicht.
Gut gelaunt, wie eh und je klatschte meine Englischlehrerin in die Hände. „Dann lasst uns gemeinsam in unser Projekt starteten." Man konnte ihr deutlich ansehen, welche Begeisterung sie allein bei der Erwähnung unserer nächsten Stunden erfüllte. Wie konnte man in ihrem Alter noch so viel Energie verspüren? Es war mir ein Rätsel.
Indessen Mrs. Johnson weiterhin mit ihrem Unterricht fortfuhr, klinkte ich mich aus dem Geschehen aus.
Im Moment war mir die Tatsache, dass ich mich mal wieder verwandeln musste deutlich wichtiger, als die Poesie. Heute würde ich es wohl oder übel versuchen müssen. Ein Seufzen kam mir über die Lippen, als ich erneut daran dachte, welches Risiko ich damit eingehen würde. Niemand durfte mich sehen.

Vollkommen überraschend schnipste mir jemand gegen die Stirn, woraufhin sich von dieser Stelle aus ein dumpfer Schmerz in meinem Kopf ausbreitete.
Wütend fuhr ich zu dem Schuldigen herum und blaffte ihn an: „Was soll' das Uley?!"
Gelassen lehnte sich der junge Quileute gegen die Lehne seines Stuhles und wagte es sogar mich frech anzugrinsen. Von neuem wollte die Wölfin in mir erwachsen, doch ich drängte sie ein weiteres Mal zurück.
"Also?", bohrte ich beherrscht weiter, während sich meine Finger um meinen Lieblingskuli verkrampften.
"Eigentlich wollte ich bloß höflich sein und dir die Wahl unseres Themas überlassen", feixte er und deutete mit dem Daumen auf Mrs. Johnson, die plötzlich vor uns aufgetaucht war. In ihrer Hand befand sich dieselbe Schüssel, die sich auch schon zur Verlosung der Partner benutzt hatte.
Dummerweise wusste ich durch meine Abwesenheit nicht, was ich damit sollte, weshalb mir sogleich eine simple Frage entwich: „Was soll ich damit?"
"Sie", nahm meine Lehrerin mein Desinteresse an ihren Unterricht jedoch recht gelassen auf. „Sollen jetzt ein Thema ziehen, welches sie im Aspekt der Poesie behandeln werden, verstanden?"
Hastig nickte ich und griff in die Schale. Nicht lange, dann umschlossen meinen Finger auch schon einen der gelben Zettel. Der sollte es also sein.
Ohne zu zögern nahm ich das zusammengefaltete Papier aus dem Gefäß und öffnete es. Thema: Licht und Schatten.
Mein Mund klappte auf. Was sollte man dann dazu schreiben?
Liam, den mein entsetzter Blick wohl kaum entgangen sein konnte, entriss mir den kleinen Zettel. „Was ist denn das für ein Müll?", stieß er keinen Herzschlag später aus und erntete dafür sofort ein empörtes Zischen unserer Lehrerin.
Kopfschüttelnd wedelte sie dann vor seiner Nase herum. „Nicht Müll. Dieses Thema ist ein Rohdiamant, der erst noch geschliffen werden muss."
Ein Rohdiamant? Mein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Doch während es mir noch gelang diese aufrechtzuerhalten und nicht loszulachen, prustete Liam vollkommen haltlos seinen Spott heraus.
"Sie werden schon noch verstehen, was ich ihnen damit sagen will, Mr. Uley. Dieses Thema scheint beinahe wie gemacht für sie beide." Mit diesen Worten wanderte Mrs. Johnson hoch erhobenen Kopfes zu dem nächsten Paar.

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