Meine nackten Füße trafen hart auf der kalten Erde auf, während ich über das leere Feld rannte. Spitze Steine bohrten sich dabei immer wieder in die empfindliche Haut meiner Fußsohlen. Es schmerzte und dennoch blieb ich nicht stehen, konnte es nicht.
Irgendetwas trieb mich immer weiter voran und ließ ich zu, dass ich anhielt um zu verschnaufen. Dabei wollte ich dort nicht hin, wollte es nicht sehen.
Inzwischen wusste ich, was mich am Ende des Feldes erwartete. Blut, so unglaublich viel Blut, das sich warm zu meinen Füßen sammelte und diese merkwürdige Frau umgab.
Nein, nein, nein, schrie es in meinem Kopf, der Teil, welcher die Augen vor diesem grausamen Bild verschließen wollte. Und trotzdem rannte ich weiter, haltlos – bis ich wieder direkt vor ihr stand.
Das lockig, braune Haar der Frau lag wie ein Fächer, um ihren Kopf verteilt. Ihre Augen, die meinen so sehr glichen, waren starr auf den Himmel gerichtet, während sich ihre Brust nur noch flach hob und senkte und sich ihr Kleid mit immer mehr von ihrem Blut voll saugte. Sie starb..., dachte ich und ein leises Schluchzen drang aus meiner Kehle, dann gaben auch schon meine Knie nach und ich sackte vor ihr zusammen. Ich wollte das nicht sehen, wollte nicht mit ansehen, wie sie ihren letzten Atemzug tat, ohne, dass ich es verhindern konnte.
Plötzlich legte sich eine eisige Hand auf meine und ließ mich zusammen zucken. Sofort blickte ich die Frau zu meinen Füßen an. Ihre Augen waren immer noch starr, doch sie lagen auf mir, während sich ihre Lippen kaum merklich bewegten und leise Worte formten: "D-Du...musst...dich..."Ich erwachte schweißgebadet und mit klopfenden Herzen. Mein Atem ging stoßweise und viel zu schwer. Irgendetwas drückte auf meine Brust und hielt mich am Bett gefesselt. Panisch versuchte ich mich davon zu befreien, strampelte und schlug um mich, bis das Objekt neben mir zu Boden fiel – meine Decke.
Ich stöhnte und fuhr mir mit der Hand über meine kalte Stirn. Dann schwang ich auch schon die Beine über die Bettkante und lief zum Lichtschalter. Sobald das Licht die Schatten aus meinem Zimmer verdrängte, begann sich mein Herzschlag zu beruhigen.
Besser, dachte ich, ehe mein Blick unwillkürlich von dem Spiegel neben meiner Tür angezogen wurde. Im ersten Moment, als mir die zwei grün glühenden Augen entgegen sahen, erschrak ich und wich zurück, nicht in der Lage zu erkennen, dass diese zu mir gehörten.
„Was zum Teufel...", murmelte ich, nachdem mir dies allerdings bewusst wurde und legte mir eine Hand auf die Brust. Dann drehte ich mich leise fluchend zu meinem Fenster um von dem aus das Mondlicht hell auf mein Bett schien.
Ich schnaubte, während ich wieder zu meinem Bett rüber marschierte und mich darauf fallen ließ. „Ja klar, Vollmond!"
Nach so einem Alptraum und dem noch immer hoch am Himmel stehenden Vollmond war nun nicht mehr an Schlaf zu denken. Und so kam es, dass ich stattdessen die ganze Nacht durchwachte und mir darüber Gedanken machte, wie der Satz der Frau aus meinem Traum wohl geendet hätte.
Dementsprechend müde war ich am nächsten Morgen, als mich meine Mutter pünktlich halb sieben zum Frühstück zitierte.
„Mum, ich glaub' mir geht's nicht so gut", nuschelte ich und stotterte lustlos in meinem Frühstück herum. Auf der Stelle lag die ungeteilte Aufmerksamkeit meiner Eltern auf mir.
„Schon wieder? So oft warst du doch noch nie krank", meinte meine Mutter besorgt und legte mir sogleich eine Hand an die Wange. „Du bist, wie immer ziemlich warm, aber das ist ja normal für dich. Trotzdem...." Ein Seufzen entwich ihren Lippen, ehe sie mich kurz an ihre Brust drückte. „Du siehst ziemlich müde aus, mein Schatz."
„Vielleicht ist es dann doch besser, wenn du noch mal einen Tag Zuhause bleibst", mischte sich nun auch mein Vater ein und tauschte einen kurzen Blick mit Mum. Diese nickte zustimmend und scheuchte mich dann sogleich wieder die Treppen hoch in mein Bett.
Dort blieb ich schließlich auch für den Rest des Morgens und als meine Eltern samt Leon letztendlich das Haus verließen, ging ich in das Wohnzimmer und schaltete ich den Fernseher, um dort die restliche Zeit des Tages zu verbringen bis meiner Eltern am Abend wieder zurückkehren würde.
So hatte zumindest mein Plan ausgesehen, aber nachdem ich bereits den dritten Film, den sie heute wiederholten, hinter mich gebracht hatte und die Mittagssonne hoch am Himmel stand, hielt ich es in unserem Haus einfach nicht mehr aus.
Binnen weniger Minuten hatte ich mich umgezogen, meine langen Haare zu einem hohen Zopf zurückgebunden und war durch die Tür verschwunden. Draußen umgab mich sofort die eisige Winterluft, welcher meinem ausgelaugten Körper neue Stärke zu verleihen schien. Ich atmete tief durch, dann setzte ich mich auch schon in Bewegung.
Meine Füße schienen ganz von allein zu wissen, wohin sie mich bringen mussten und schon bald erkannte auch ich den Weg, den sie einschlugen. Er führte mich zum Strand von La Push, einer unberührten Ecke hinter den Felsen, die zu dieser Uhrzeit sicherlich keiner mehr aufsuchen würde.
Kaum, dass ich diesen Ort erreichte, setzte ich mich auf einem der aus dem Sand ragenden Felsen und ließ den Blick hinaus über das trübe Meer schweifen. Der Himmel über meinem Kopf war grau, doch draußen war die See ruhig. Sie lag einfach nur da und ließ sich treiben. Ganz anders als das Wasser zu meinen Füßen, welches sich durch den aufkommenden Wind zu immer höheren Wellen auftürmte. Dieser Teil des Meeres war ungezähmt, stark und laut.
Ein leichtes Schmunzeln huschte über meine Lippen, während ich seinem stetigen Rauschen lauschte. Das Meer erzählte eine Geschichte. Eine Geschichte, die man nur verstand, wenn man die Augen schloss und ganz genau hinhörte...
„Ich wusste, dass ich dich hier finden würde", riss mich eine Stimme unsanft aus der Ferne, welche ich eben noch in meinen Gedanken durchschritten hatte. Wie viel Zeit war vergangen? Eine Minute, eine Stunde oder doch schon fünf? Blinzelnd wandte ich mich dem Sprecher, dem die Stimme gehörte, zu. Aber kaum, dass ich seinen bernsteinfarbenen Augen begegnete, stieg die Röte in mein Gesicht und ich drehte mich hastig wieder weg. „Ach ja?", krächzte ich, da sich meine Stimme nicht ganz entscheiden konnte, ob sie nun glücklich oder verärgert klingen sollte.
„Ja, dieser Ort scheint uns beide irgendwie anzuziehen." Acht Worte, unscheinbar und dennoch genug, um meinen Herzschlag aus dem Takt geraten zu lassen.
Liam kam zögernd auf mich zu, setzte sich dann jedoch dicht neben mich und starrte ebenso wie ich auf die raue See hinaus. Ich hielt das Schweigen für einen Augenblick lang aufrecht, dann zog ich die Knie an meine Brust und knurrte ohne ihn anzusehen: „Du hast dich gestern, wie ein Arsch benommen."
Kurz lachte er auf, bevor er ein tiefes Seufzen ausstieß: „Ich weiß..."
„Warum?", ließ ich nicht locker, trotz, dass mir der Grund bekannt war. Er suchte nach mir. Nein, das stimmte nicht. Er suchte nach der Wölfin, die er im Wald gesehen hatte, einem Teil von mir und dennoch jemand anderen.
Aus den Augenwickeln schielte ich sachte zu ihm hinüber und bekam so gerade noch mit, wie er ratlos mit den Schultern zuckte. „So genau, weiß ich das nicht..."
Verblüfft hob ich den Kopf, der bis eben noch auf meinen Knien gelegen hatte an und zog überrascht die Stirn kraus. „Ach nein?", hakte ich nach und stotterte hastig, als ich bemerkte, wie sich seine Augen auf mein Gesicht legten, hinterher: „I-Ich meine d-du s-s-siehst immer s-so aus als w-würdest du auf j-jemanden warten..." Eilig biss ich mir auf die Unterlippe. Was redete ich da verdammt noch mal?!
Liam warf mir einem belustigten Blick so. Scheinbar fand er auch, dass ich vollkommenen Unsinn erzählte. „Soso. Ich warte also auf jemanden...Warum sollte ich das deiner Meinung nach tun?"
Überrascht schaute ich ihm nun doch direkt in die Augen. Er fragte tatsächlich weiter nach? Wieso?
Nachdenklich begann ich auf der Innenseite meiner Wange zu kauen. „Ich bin mir nicht sicher...Aber jedes Mal, wenn du denkst, dass es keiner mitbekommt, schaust du mit diesem hoffnungsvollen Blick in der Gegend rum suchend nach dieser einen Person. Du wartest, doch...sie kommt nicht und so wartest du weiter stets diesen Ausdruck in deinen Augen." Ein trauriger Laut kam mir über die Lippen, während ich ihn wieder vor mir sah. „Ich wünsche dir, dass du diese Person bald findest nach der sich dein Herz so sehr sehnt..." Auch wenn nicht ich diejenige bin, die diesen Platz einnehmen kann.
Noch während dieser Gedanke trübsinnig durch meinen Kopf streifte, wurde meine Hand plötzlich von einer anderen gepackt und herum gerissen. Mit einem hellen Aufschrei landete ich in dem kalten Sand, Liam über mir.
„Ey, was soll da...", wollte ich protestieren, doch da legten sich seine Lippen auch schon auf meine. Dort, wo er mich berührte, breitete sich plötzlich ein elektrisches Kribbeln in meinem ganzen Körper aus. Ich krallte meine Hände in den kühlen Sand unter mir, bevor sich meine Augen ganz von allein schlossen und ich seinen Kuss erwiderte.
Liam legte eine Hand an meine Wange. Er leitete mich, führte mich, während ich ihm nach und nach verfiel. Ich lächelte an seinem Mund und zwickte ihn dann ganz zaghaft in die Lippen. Nun musste auch er lächeln, ehe er sich weiter über mich beugte und den Kuss vertiefte.
Es war unglaublich, was für eine Wirkung er auf mich hatte. Mein Körper reagierte ganz instinktiv auf ihn. Bewegte er sich, bewegte auch ich mich. Holte er Luft, so tat auch ich dies. Wir waren verschmolzen zu einer Einheit aus Herzrasen, Liebe und Verlangen.
Letzteres erweckte jedoch mit einem Schlag die Wölfin und gewann überhand, als Liam mich dazu drängte seine Zunge in meinen Mund zu lassen. Erschrocken wollte ich mich zurück ziehen, aber er ließ es nicht zu, küsste mich weiter voller Leidenschaft.
„Liam", hauchte ich zwischen zwei Küssen und versuchte ihn von mir zu schieben. Ich wollte diesen Moment nicht zerstören. Gott, am liebsten wäre ich darin versunken, aber die Wölfin übernahm bereits überhand.
„Liam", startete ich deshalb fast panisch einen weiteren Versuch. Aber als er noch immer nicht reagierte, nahm ich den einzigen Ausweg, der mir noch einfiel. Ich biss ihn. Wie ein Blitz schossen wir auseinander, er überrascht, ich auf Abstand gehend.
„D-Du hast mich gebissen", stellte der Uley-Junge überrascht fest und betrachte das Blut an seinem Finger. Ich wich weiter vor ihm zurück.
Und dann landete sein Blick auf mir. Ich wusste war er sah. Leuchtend grüne Augen, die ihn geschockt aus einem Gesicht ansahen, welches die ersten Anzeichen einer Verwandlung aufwies. Aber anstelle von Überraschung zeichnete sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht ab. „Ich wusste es!", lachte er plötzlich befreit los und machte mich damit vollkommen sprachlos. Dann stand er auch schon auf den Beinen und kam auf mich zu. „Ich wusste, dass du es bist, die Wölfin aus den Wäldern. DU bist diejenige, dich ich solange gesucht habe! Oh man und dabei warst du die ganze Zeit direkt vor mir", schüttelte er grinsend den Kopf und streckte eine Hand nach meiner Wange aus. Doch statt die Berührung, welche sich eben noch so gut angefühlt hatte, zu zulassen, schreckte ich nur davor zurück und sprang nun ebenfalls wieder auf meine Füße.
„D-Du hast es g-gewusst?", stotterte ich ungläubig, kaum in der Lage ihn länger anzusehen. Er hatte es gewusst oder zumindest geahnt und mich dann geküsst?! Um was?! „W-Wolltest du es so herausfinden?!", fragte ich mit zitternder Stimme eine Hand an meinen Lippen. „Dich so absichern?"
Augenblicklich verdüsterte sich Liam's Blick. Er hatte es tatsächlich getan! Nicht mich hatte er küssen wollen, nur sie! Noch während ich ihn kopfschüttelnd ansah, spürte ich, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten und drohten über zu laufen. Er hatte gar nicht mich – meine Seele, mein Sein gewollt, sondern nur die Wölfin in mir.
Als er bemerkte, dass etwas mit mir nicht stimmte, setzte Liam zu einer Antwort an - einer Ausrede, das erkannte ich. Doch noch bevor er die Lüge aussprechen konnte, drehte ich mich eilig um und stürmte davon, von meinem Schluchzern und seinen Rufen begleitet...
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Mondgeheul
WerewolfValerie Moore hat schon vieles in ihrem Leben durchgemacht. Als ihre Eltern jedoch auf Grund der Versetzung ihres Vaters nach La Push ziehen, bricht für sie eine Welt zusammen, denn sie muss ihr bisheriges Leben hinter sich lassen. In La Push erwart...