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Mit den geliehenen Sachen von Liv, die eigentlich Olivia hieß, war es mir letztendlich möglich doch noch bei Sport anzutreten, was mein Glück war. Denn ausgerechnet heute stand eine Leistungskontrolle an vor der mich noch nicht einmal mein Schulwechsel rettete.
Gott sei dank handelte es sich dabei jedoch um eine Ausdauer Note. Ich musste nur an Liv's Seite eine Dreiviertelstunde überstehen und hätte meine eins sicher.
Meine neue Freundin neben mir stöhnte allerdings genervt. „Findest du es nicht auch schlimm, dass irgendjemand festgelegt hat, dass man die sportliche Fähigkeit eines jeden Menschen bewerten muss?"
Ich verkniff mir ein Kichern antwortete jedoch: „Also ich mag Sport."
Erschrocken riss Liv die Augen auf und sah mich so an, als wäre ich irgendein außerirdisches Wesen.
Ein Pfiff schallte über das Feld und machte allen klar, dass es an der Zeit war loszulaufen. Im Gleichschritt machten Olivia und ich uns auf den Weg eine erste Runde hinter uns zu bringen, wobei ich mich an ihr Tempo anpasste.
"Oh man Val, du machst das tolle Bild, dass ich bisher von dir hatte kaputt", jammerte sie, während ihre Wangen zu glühen begannen.
Nun konnte ich das Glucksen in mir nicht mehr unterdrücken. „Nur, weil ich Sport mag?"
"Genau", nickte Liv ernst, fiel dann aber in mein Lachen ein.
Bald schon hatten wir vier Runden geschafft und die ersten fünfzehn Minuten totgeschlagen. Liv's Atem, welcher zu Beginn noch recht kontrolliert gewesen war, ging nun unregelmäßig. „Wie machst du das? Was ist dein Geheimnis?"
Bei dem Wort Geheimnis fuhr ich unwillkürlich zusammen. Selbstverständlich spielte sie auf meine Ausdauer an, dennoch hatte ein kleiner Teil sofort an meine zweite Hälfte gedacht. Nochmal Schwein gehabt.
"Ich weiß nicht, ich renne einfach, wie die." Damit deutete ich auf drei Jungs, die uns nun schon zum gefühlt zehnten Mal überrundeten und sich noch immer unterhielten.
Augenblicklich erschien Olivias Zeigefinger vor meiner Nase und wedelte tadelnd davor herum. „Nein Valerie, nein. Die..." Sie wies auf die Gruppe. „...sind keineswegs normal."
Verdutzt runzelte ich die Stirn. Was meinte sie? Auf mich wirkten diese Typen vollkommen normal – mal abgesehen von ihrem unglaublich guten Aussehen. Aus meiner Verwirrung heraus fragte ich sogleich nach: „Warum? Sie sind genau wie wir."
Erneut schlug sich meine Freundin gegen die Stirn. „Sind sie nicht, Val und können wir vielleicht ein wenig langsamer..." Schwer atmend fiel sie zurück. Unwillkürlich hatte ich das Tempo angezogen, sodass ich mich nun erst einmal wieder zurück fallen lassen musste.
"Danke", seufzte Liv und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Also das sind Embry, Jacob und Liam aus unserer Parallelklasse. Ebenso wie einige weitere Jungs, darunter auch Liams Bruder gehören sie zu einer Art Gang. Lass dich also nicht von ihrem Aussehen täuschen sie sind gefährlich!"
Die Warnung war klar und deutlich angekommen. Trotzdem kam ich nicht umher mich zu fragen, warum sie in ihren Augen solch eine Bedrohung darstellen. Mal abgesehen von dem einen, der ganz außen rannte, sahen die anderen Zwei echt freundlich aus.
Zehn weitere Minuten später jammerte Liv neben mir: „Ich kann nicht mehr. Du musst ohne mich weiter rennen."
Wie einige andere vor ihr verabschiedete sich meine Freundin somit an den Rand und ließ mich allein auf der Bahn zurück. Ich wollte ihren Abgang noch verhindern, aber da bedeutete sie mir weiter zu machen.
Fortan auf mich allein angewiesen, wechselte ich von ihrer Geschwindigkeit auf meine, sodass ich nun ein ähnliches Tempo drauf hatte, wie diese Gangmitglieder.
Der Gegenwind der dadurch erzeugt wurde, zurrte an meinen Haaren. Dennoch fand ich, dass ich nicht schnell genug war und vergrößerte die Abstände zwischen meinen Schritten noch.
Nach einiger Zeit kam ich dadurch schließlich an die Jungs heran. Kurz überlegte ich, ob ich jetzt weiter hinter ihnen bleiben oder zu einem Überholmanöver ansetzen sollte. Ich entschied mich für die letzte Variante und zog mit hocherhobenem Kopf an der Gruppe vorbei.

"Wahnsinn Val, du hast sie einfach hinter dir gelassen", gluckste Olivia neben mir noch immer erfreut über meine kleine Darbietung.
Unwillkürlich stieg Stolz in mir auf. Ein Empfindung, die eigentlich gar nicht da sein sollte und dennoch war sie das. Liv's Begeisterung steckte mich schlichtweg an und verlieh mir das Gefühl etwas Großartiges vollbracht zu haben.
Zum Ende des Sportunterrichtes hatte sie mit ihrer Lobeshymne angefangen und hörte damit nicht eher auf, bis wir die Mensa erreichten. Ebenso wie in den Korridoren herrschte hier ein Chaos aus Körpern. Eine endlos lange Schlange hatte sich vor der Essensausgabe gebildet, in die wir uns nun einreihten. Innerlich stieß ich einen Schrei aus und fügte auf meine Hassliste Warteschlangen hinzu.
Mein Magen knurrte und verlangte nach Nahrung und dennoch war ich verpflichtet zu warten. Zumindest wusste Olivia, wie sie mich ablenken konnte, denn sie verwickelte mich sogleich in ein Gespräch über Musik. Überrascht stellten wir fest, dass wir einen ähnlichen Geschmack besaßen. Anders als erwartet hörte Liv nämlich keine Charts, sondern hielt sie genau wie ich eher in der unbekannten J-Rock Branche auf. Kurzerhand wurden mir drei neue Bands empfohlen von denen ich bisher noch nie etwas gehört hatte.
"Nicht zu fassen, dass du noch nie etwas von On Ok Rock gehört hast", schüttelte meine neue Freundin den Kopf. Inzwischen standen wir ziemlich weit vorne, sodass uns bloß noch zwei Schüler von unserem verdienten Mittagessen trennten. Schon lange erfüllte der leckere Geruch von Spaghetti Bolognese meine Nase, doch als ich das Gericht tatsächlich vor mir sah, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Gleich gibt's Futter.
So wäre es zumindest gewesen, hätte sich nicht indem Moment, in welchem ich an der Reihe gewesen wäre, jemand vor mich gestellte. Entrüstet riss ich den Kopf hoch und noch bevor ich ein genaues Gesicht erkannte, fauchte ich: „Stell dich gefälligst hinten an."
Keine Sekunde später erkannte ich, wer vor mir stand. Einer der Jungen von vorhin. Tatsächlich hatte er allerdings nicht bloß die Frechheit sich vorzudrängeln, sondern auch mich unverschämter Weise zu ignorieren. „Einmal die Spaghetti."
"Ähm hallo?", knurrte ich ihn weiter an und verengte meine Augen zu Schlitzen. Endlich sah er mich an – nur kurz, doch immerhin realisierte er mich und dann schnaubte er belustigt.
War das denn die Höhe? Erst vordrängeln und sich jetzt noch über mich lustig machen?! Nicht mit mir!
Kaum das der Teller über den Tresen geschoben wurden, schnappte ich ihn mir und lief auf Olivia zu, welche bereits mit offenem Mund auf mich wartete.
Ein Schmunzeln huschte über meine Züge. „Wir können los."
"Nicht so schnell", hinderte uns allerdings eine Stimme am Gehen. Eine Gänsehaut legte sich über meine Arme, ehe ich mich mit einem unschuldigen Gesicht zu demjenigen herumdrehte. „Ist etwas?"
"Ja", knurrte der Junge vor mir und erst jetzt nahm ich ihn so richtig wahr. Wie beinahe jeder an dieser Schule besaß er rabenschwarzes Haar, welches kunstvoll verstrubelt sein markantes Gesicht umrahmte. Ich musste aufschauen um ihn in die bernsteinfarbenen Augen zu sehen, was bedeuten musste, dass er mindestens 1,80 war. Gebannt verfolgte ich weiterhin das Spiel seiner Muskeln, während ich seinen Worten folgte. „Das war mein Essen."
Vorbei war der Zauber. Erbost baute ich mich vor ihm auf, was in Anbetracht der fünfzehn Zentimeter Größenunterschied sicherlich witzig aussehen musste. „Falsch. Ich war vor dir dran und dadurch gehören die Nudel mir."
Sobald die Worte meinen Mund verlassen hatten, machte ich auf dem Absatz kehrt und ließ ihn stehen.

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"Und, wie war dein erste Schultag?", fragte mich meine Mum mehrere Stunden nachdem ich die letzten zwei Stunden Englisch überstanden und mich von Liv verabschiedet hatte. Unwillkürlich musste ich an die Mensaszene denken und ein zufriedener Ausdruck erschien auf meinem Gesicht. „Gar nicht mal so übel." 

MondgeheulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt