Kapitel 1

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Der ruckartige Stopp des Zuges riss mich aus meinen Gedanken – ich war angekommen. Schnell richtete ich mich auf, strich die Falten in meinem Top glatt und wischte gleichzeitig ein paar Krümel vom Saum, die wohl von dem Donut stammten, den ich vor einer Stunde gegessen hatte. Hecktisch griff ich nach meinem Koffer und verließ mein Abteil, die zweite Klasse und schlussendlich auch den Zug. Endlich würde ich ihn wiedersehen. Als ich damals die Stadt verlassen hatte, hatte ich mir geschworen nie mehr hier her zurück zu kommen, aber meine aufkeimenden Gefühle für Will hatten das alles etwas verkompliziert. Ich hatte mich so nach ihm gesehnt – bis eben war mir nicht mal ansatzweise klar wie sehr. Doch als meine Füße den kühlen Asphalt des Bahnhofes von Williamsport betraten, kam es zu einer regelrechten Gefühlexplosion.

Plötzlich wollte ich nichts mehr als auf dieses verdammte Klassentreffen zu marschieren – wen kümmerte es, dass ich ein fleckiges Top und eine Jogginghose trug – ihn am Kragen packen, zu mir zu ziehen und meine Lippen auf seine drücken. Ich konnte förmlich seine angespannten Muskeln unter meinen von der Kälte zitternden Händen spüren.

Aber ich würde es nicht tun – das wusste ich – also beschloss ich schleunigst aus dieser verdammten Kälte zu verschwinden. Außerdem war ich nicht hier um ihm eine schnulzige Liebeserklärung aufzutischen, sondern um ein für alle Mal mit diesem Thema abzuschließen. Ich durfte mein Herz nicht hier lassen, wenn ich am Ende des Wochenendes zurück nach Boston fuhr – das würde unter keinen Umständen passieren.

Der Gehweg war leicht beschneit und auch auf den Straßen konnte man den inzwischen eher zu Schlamm gewordenen Schnee erkennen – wie ich den Winter nur hasste. Williamsport hatte sich deutlich verändert – alles war aufgeräumter, moderner und irgendwie ... lebendiger. Die Straßen waren regelrecht überfüllt und ich konnte mir nur mit Mühe den Weg zum Stadthotel durchschlagen. Wie konnte sich eine Stadt in nicht einmal 10 Jahren so verändern?

Eigentlich hätte ich ebenso gut bei meinen Eltern unterkommen können – einer günstigeren und weniger aufwendigen Variante – doch ich konnte mich mit diesem Gedanken alles andere als anfreunden. Wie hatten uns nie wirklich gut verstanden und ich hatte damals förmlich die Tage bis zu meinem Abschluss gezählt in der Erwartung endlich von hier zu fliehen.

Als ich schließlich stehen blieb – in der Annahme ich hätte mich verlaufen – und mich hilfesuchend im Kreis drehte, konnte ich das alte, aus Backsteinen gefertigte, Haus am Ende der Straße nur zu gut erkennen – das Stadthotel. Außer einem neuen Anstrich hatte sich dieses so gut wie gar nicht verändert – der verblichene bronzene Löwe thronte immer noch wie ein Wächter über dem Eingangstor und die etlichen Fenster waren immer noch mit den grasgrünen Fensterläden bestückt.

Mein Check in verlief ohne Komplikationen und ich war erleichtert als ich die Frau am Schalter keinem der Gesichter zuordnen konnte, die mir von damals noch im Gedächtnis herumspukten – jetzt müsste ich mich wenigstens nicht rechtfertigen warum ich ein überteuertes Hotel meinem Elternhaus vorzog.

Als ich dann schließlich mit der Schlüsselkarte mein Zimmer öffnete, warf ich einen erschöpften Blick auf mein Handy – noch 4 Stunden. Mit einem Seufzer ließ ich mich auf das Bett fallen – ohne mir die Mühe zu machen Schuhe oder Jacke auszuziehen – mit der Absicht gleich wieder aufzustehen. Doch das Bett zog mich an, wie Licht die Mücken und ehe ich mich versah war ich tief ins Reich der Träume abgetaucht. 

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