Kapitel 18

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Der Alkohol ließ mir keine Zeit zu zögern, sondern nahm sofort ab. Ein Schluchzen war am anderen Ende der Leitung zu hören – Tamy?!

>> Hallo? << ich versuchte so wenig wie möglich zu lallen. Die Stimme am anderen Ende schniefte, bevor sie antwortete – nur ein Piepsen, doch ich konnte sie trotzdem verstehen.

Als sie meinen Namen aussprach wurde ich plötzlich wieder nüchtern >> Lucy? <<

>> Mum? Mum, bist du das? Was ist los? << ich hatte in den letzten Jahren höchstens 20 Worte mit meiner Mum gewechselt und war dementsprechend auch ziemlich überrascht von ihrem Anruf.

>> Lucy ... Oh, Gott. Lucy ... Gut das du rangehst! << sie schniefte immer wieder zwischen den Worten, was mich noch skeptischer machte – meine Mum weinte nie.

Die schlechte Leitung, ihr dauerndes Schluchzen und mein betrunkener Zustand machten das Telefonat hier zu einem Spießrutenlauf. Also versuchte ich sanft und beschwichtigend auf sie einzureden, in der Hoffnung sie würde aufhören zu heulen.

>> Mum, beruhig' dich erst einmal. << ich ließ sie zwei Mal tief durchatmen, bevor ich weiterredete >> Und jetzt erzählst du mir was los ist. <<

>> Es ... es geht um ... um deinen Vater. << Mein Atem stockte – meinem Vater? Ich malte mir die schlimmsten Szenarios aus und ich schien ziemlich blass geworden zu sein, da mir der Barkeeper meinen Drink abnahm und mir stattdessen ein Glas Wasser in die Hand drückte.

>> Mum ... << sagte ich schon fast drohend >> Was ist mit Dad? Sag es mir ... sofort! << ich konnte die Verzweiflung in meiner Stimme nicht unterdrücken.

>> Er ... << meine Mutter brach wieder in Tränen aus >> Dein Vater ist im Krankenhaus, Lucy. Er ist im Krankenhaus. << ich schwieg, da ich absolut nicht wusste, was ich sagen sollte – bitte lass es nur eine Schnittwunde sein oder so, bitte! >> Er hatte einen Herzinfarkt << meine Kinnlade klappte nach unten und ich ließ das – noch immer nicht angerührte – Wasserglas fallen.

Nein. Nein, das konnte einfach nicht sein. Nicht mein Vater.

>> Wie ... Wie konnte das passieren? Geht es ihm jetzt wieder gut? Bist du bei ihm? Kann ich ihn sprechen? << Ich ratterte die Fragen herunter ohne auch nur einmal Luft zu holen.

>> Er ... war in seiner Werkstatt und ... und dann ... dann ist er einfach ... und ich habe ihn dann gefunden ... Gott, es war so schrecklich, Lucy ... << ich konnte in diesem Moment – und auch in keinem anderen – irgendeine Art von Mitleid mit meiner Mutter haben. Alles was mich interessierte – und warum ich noch nicht aufgelegt hatte – war mein Vater und dessen Wohlbefinden.

>> Ich melde mich sobald ich am Flughafen bin << kürzte ich das Gespräch ab, obwohl mir bewusst war, dass sie nicht mal annähernd all meine Fragen beantwortete hatte. Aber aus meiner Mutter würde ich heute nichts mehr heraus bekommen – also legte ich, ohne ihre Antwort abzuwarten, auf.

Ich konnte nicht behaupten, dass ich wirklich Kontakt mit meiner Familie pflegte – ganz zu schweigen von einer Beziehung – aber mein Vater war der Mensch gewesen, der meine Kindheit etwas erträglicher gemacht hatte und dafür war ich ihm einiges schuldig – wenn es sein musste würde ich ihm sogar mein eigenes Herz geben. Alles nur damit er nicht sterben musste.

Das war alles nicht so einfach. Sollte ich hier weiter sitzen bleiben und all meine Sorgen in Alkohol ertrinken? Sofort in das nächste Flugzeug steigen? Zu der Familie, vor der ich 18 Jahre gar nicht warten konnte davonzulaufen?

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