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Caleb

Dichter Nebel hängt zwischen den Bäumen, der Himmel selbst jedoch ist klar und wolkenlos. Jeder einzelne Stern scheint heller leuchten zu wollen als all die anderen, doch gegen den Mond sind sie alle nicht mehr als helle Tupfen am nächtlichen Schwarz.
Meine Pfoten trommeln über den feuchten Waldboden, das dabei entstehende Rascheln des toten Laubs ist das einzige Geräusch, das die Nacht durchdringt. Als hätten sich selbst die Tiere zurückgezogen.
Die Baumstämme verschwimmen ineinander während ich laufe, die kalte Luft sticht angenehm in meinen Lungen. Am Rand einer Klippe halte ich an und werfe meinen Kopf hin und her, um den feinen Wassernebel von mir abzuschütteln.
Keiner der anderen ist hier, aber ihre Schritte dringen ohrenbetäubend laut an meine Ohren. Nahezu intuitiv hebe ich die Schnauze und stoße ein langes Heulen aus.
Schlagartig gehen die Lichter der vor mir liegenden Stadt aus, die Anspannung der Menschen wird spürbar.
Antworten meiner Freunde erfüllen die Luft mit einer unheilvollen Stimmung.
Der Vollmond hat den Lichtkegel der Laternen, der die Stadt umgeben hat, mit einem schummrigen und mystischen Schein ersetzt.
Wie viele Menschen haben schon unter einer dieser Nächte gelitten? Wie viele Familien habe ich in diesen Nächten schon entzwei gerissen, wie vielen hoffnungslosen Gedanken ein jähes Ende gesetzt?
Schon seit vielen Monden verwandele ich mich in diese Bestie, ein Monster mit dem schrecklichen Durst nach Blut.
In der Umgebung ist mein pelziges Ich als Dark Demon bekannt, ein kleingeistiger und zurückgebliebener Name für ein mordendes Tier. Als wäre ich ein böser Geist, der einen überdeutlichen Namen braucht, um besser einschätzbar zu sein, vielleicht auch realer.
Gemeldet bin ich jedoch als Caleb Vanroy und obwohl man mich in beiden Gestalten zu meiden versucht, werde ich mit nichts in Verbindung gebracht, was bei all den Legenden um diese Stadt schon fast an ein Wunder grenzt.
Als Wolf fehlt mir die nötige Beherrschung und die animalischen Triebe lassen mich alles töten, was mir vor die Pfoten kommt. Wer mich in den Tagen vor einer Vollmondnacht nervt macht unter Umständen bald Bekanntschaft mit meinen Fängen und verweilte die längste Zeit auf Erden.
Als Mensch bin ich mürrisch und leicht reizbar, auch wenn ich das anderen gegenüber niemals zugeben würde. Viele haben Angst vor mir, da mir mein schlechter Ruf voraus eilt, doch irgendwie gefällt mir das. Es macht mir all das hier leichter.
Langsam trabe ich am Rand der Klippe entlang, meine Pfoten lösen kleine Steine die klackernd in den Abgrund stürzen.
Als ich diese eine Stelle erreicht habe springe ich in die Tiefe und lande 20 Meter weiter unten direkt auf meinen Pfoten. Meine gelben Augen glühen hell, als ich erneut zum Mond aufblicke und heule. Von einem Himmelkörper dazu gezwungen auf vier Beinen zu laufen, der nun auch noch über mir steht um mich zu verspotten.
Mit einem zornigen Knurren schiebe ich die Gedanken beiseite und pirsche mich an die Stadt an, die im Dunkeln liegt. Jedes mal wieder denken sie, es würde ihnen helfen, die Lichter zu löschen, wenn sie uns heulen hören. Als würde die Gebäude und geteerten Straßen dadurch unsichtbar.
Sobald ich den ersten Menschen wahrnehme, werde ich die Kontrolle verlieren und mich auf ihn stürzen. Da gibt es kaum etwas, das ich dagegen tun kann.
Man denkt immer, im Zeitalter des Internets und der Smartphones können Absurditäten wie Werwölfe nicht existieren, sie verharmlosen das Rudel zu Bären oder etwas zu groß geratenen Wölfen. Doch das sind wir nicht, ich bin nichtmal ein normaler Werwolf. Die Fähigkeiten eines Alphas heben mich vom Fußvolk ab.
Ein Geräusch ruft mich in die Gegenwart zurück - Krallen die über Holz schaben.
Mehrstimmiges Heulen dringt an meine Ohren, verheißungsvoll hallt es von den Gemäuern wider.
Ich schieße aus dem Dickicht, in dem ich mich verborgen hatte, und stürze in die Straßen. Ein großer Schatten rennt direkt auf mich zu, weshalb ich springe, um Alaric unter mir durch rennen zu lassen.
Als mir ein köstlicher, frischer Geruch in die Nase steigt beschleunige ich unweigerlich. Meine Pfoten tragen mich die Hauptstraße entlang, durch einen bist jetzt schön angelegten Garten, über einen Spielplatz und letztlich in eine Sackgasse. Der Geruch, den ich reflexartig verfolgt habe, wird hier von dem Gestank einiger Mülltonnen der umgebenden Geschäfte überdeckt. Ich kann die Spur nicht verloren haben!
Irritiert werfe ich den Kopf herum und schärfe meine anderen Sinne, als ein leises, kaum hörbares Schluchzen meine Aufmerksamkeit wieder auf die großen metallenen Müllcontainer lenkt.
"Versteck dich nicht, das bringt dir sowieso nichts. Warum bist du denn hier und nicht zuhause, Süße?" Sprechen ist für mich in dieser Gestalt nahezu unmöglich, aber das Rudel und ich haben die Fähigkeit, uns nicht nur untereinander per Gedanken zu halten. Meine Stimme hallt leicht abgeändert in ihrem Kopf, als würde ich tatsächlich sprechen.
"Ich... Ich bin daheim. Meine Familie starb und... Ich konnte nicht bei den Pflegeeltern bleiben. B-bitte, ich habe doch niemandem etwas getan."
"Na dann vereinen wir zur Abwechslung mal wieder jemanden mit seiner Familie", dröhnt nun die belustigte Stimme meines Betas in meinem Kopf.
"Wir wollen doch nur spielen." Ich lege mich ruhig hin und wedle leicht mit dem Schwanz, während ich sie aufmerksam beobachte. Sie fängt an ruhiger zu werden, man kann es in ihrem Gesicht lesen. Auch ihr Puls geht zurück, als sie der Maske des friedfertigen Wolfes zum Opfer fällt, obgleich sie dennoch nicht jegliches Misstrauen ablegt.
Das einzige, was uns wirklich grausamer erscheinen lässt, als normale Tiere, ist unser Verstand. Wir reden mit unseren Opfern, wägen sie in Sicherheit und scheuchen sie dann wieder auf, um ihren Gestank nach Adrenalin für unsere Hetzjagd zu missbrauchen.
Der Gedanke, dass all dies umgangen werden könnte, wäre hier etwas anspruchsvolleres zu jagen, quält mich immer wieder, doch unsere natürlichen Feinde meiden unser Gebiet - und setzen die Menschen damit unserem unbefriedigten Jagdtrieb aus.
"Lauf, Mädchen. Du hast 10 Minuten", knurrt Alaric, der meine Abwesenheit registriert hat, und schnappt nach ihr, woraufhin sie panisch schreit und sich an uns vorbei zwängt. Ihr panischer Blick ruht für einen kurzen Augenblick auf mir, bevor sie die Straße hinab hetzt.
Langsam trudelt der Rest des Rudels bei uns ein und leckt sich die blutverschmierten Lefzen.
"Schon eure Beute gehabt?" In meiner Stimme liegt ein wenig Zorn. Als würde eine Tote nicht reichen. Die Regeln sind eigentlich klar: Alaric und ich suchen das Opfer aus und dann wird gemeinsam gejagt. Das Bedürfnis, dem Alpha zu gehorchen, ist das einzige Mittel, das mir bleibt, um ein paar unglückliche Seelen zu schützen - also allen voran uns, da mehr Leichen auch mehr Jäger in den Wäldern bedeuten.
"Nur einen Hirsch", beteuert Nick ängstlich und erntet dafür ein verachtendes Schnauben von seinem Bruder.
"Ich hoffe es. Für euch."
"Beruhige dich, wir finden es früh genug raus, wenn sie lügen. Abgesehen davon gibt es spannenderes. Was meinst du, hat sie schon die Hoffnung, uns zu entkommen?"
Missmutig akzeptiere ich Alarics Versuch das Thema zu wechseln und erhebe mich auf meine Pfoten.
Mit hoch erhobenem Kopf stolziere ich an meinem Rudel vorbei, Alaric flankiert mich.
Das Tier in mir wird unter der Aussicht auf Blut wieder stärker. Ich lege die Ohren an, senke den Kopf auf Schulterhöhe und wetze meine Krallen einmal über den Teer, wobei ein paar Funken entstehen.
"Dann lasst die Jagd beginnen."

Howl - Das Heulen der WölfeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt