chapter 70

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P.o.V. Manuel

Sechs Tage. Solange war es nun her, dass ich seine Stimme gehört, sein Gesicht gesehen und überhaupt etwas von ihm gehört hatte. Die Station fauchte mich am Tag seines Zusammenbruchs an, dass sie besseres zu tun hätten als Angehörige zu beruhigen und ich nur in Notfällen anrufen sollte. Dass meine Angst um den Mann, den ich liebte, ein Notfall war, sah die Klinik allerdings nicht so. Seufzend strich ich mir durchs Haar und öffnete die Haustür, um unsere Post reinzuholen. "Morgen!". Mein Schwager kam auf mich zu und lächelte. "Hab gehört dein Test von gestern is negativ, unserer auch und ich dachte, du hättest vielleicht Lust gemeinsam zu frühstücken?". Verlegen lächelte er mich an und hielt eine Tüte Brötchen hoch. "Sehr gerne, komm nur rein.". Ich ging beiseite und ließ ihn schon rein, während ich unseren Briefkasten leerte.

"Wie war es mit den Kids die letzten Tage?". Andreas hing seinen Mantel im Flur auf und sah mich an. "Extremst anstrengend Manuel. 'Papa, wann können wir wieder raus?', 'Papa, warum müssen wir auch drin bleiben nur weil du unterwegs warst?', 'Papa! Paaaaapa!'". Kopfschüttelnd folgte er mir in die Küche. "Kinder sind ja was schönes, aber ich will das Wort Papa erstmal nicht mehr hören.". Leicht lachte ich und schaltete die Kaffeemaschine ein. "Hier war es das genaue Gegenteil. Ruhe wie noch nie, richtig befremdlich.". "Gabs Neuigkeiten?". Besorgt sah Chris älterer Bruder mich an und es tat mir unglaublich leid seine Frage zu verneinen. Seufzend ließ er den Kopf hängen. "Ich hab gestern nochmal versucht jemanden zu erreichen, kannst vergessen.". Er holte aus unseren Schränken Teller und Kaffeetassen heraus. "Wie geht es dir damit Manu?". "Ich mach mir einfach so Sorgen um ihn", murmelte ich und sah kurz aus dem Fenster.

"Ich mir auch. Ich will einfach nur ein Lebenszeichen.". Ich füllte uns Kaffee ein und stellte noch Aufschnitte und Milch auf den Tisch. "Danke, dass du hergekommen bist. Ich wäre vermutlich sonst langsam am Durchdrehen gewesen.". "Geht mir genauso. Steffi liebt Chris ja auch echt total als Schwager, sie kann meine Angst aber eben nicht so nachvollziehen wie sein Mann.". Leise stimmte ich zu und nippte leicht an meinem Kaffee. "Es war so schlimm Andy. Wie er aufgeschreckt ist und keine Luft mehr bekommen hat, dann waren da Ärzte und auf einmal wurde aufgelegt. Seitdem ist sein Handy aus.". "Ich hab ihm ständig geschrieben in der Hoffnung, dass die Nachrichten nun doch ankommen.". Ich nickte und zuckte dann mit den Schultern. "Müssen wir wohl noch abwarten.".

Gemeinsam begannen wir zu frühstücken und unterhielten uns noch über Gott und die Welt. "Also die Hochzeit könnten wir ganz zur Not auch bei uns feiern, du weißt der Hof ist groß genug und Steffi und ich haben kein Problem euch zu empfangen.". Leicht lächelnd sah ich zu ihm. "Je nachdem wie kurzfristig wir heiraten, wäre das echt super lieb.". "Chris fiebert dem Sommer schon entgegen.". Grinsend nickte ich. "Nicht nur er.". Andreas strich sich leicht über den Bart und sah mich dann an. "Ich hab so Angst vor meiner Rede Manuel", gab er leise zu. "Wieso das? Du bist ein großartiger Redner Andreas, das wissen doch alle.". "Das ist es ja", murmelte er. "Ihr und vor allem Chris haben so viel verdient, so viele Dinge, die ich noch nie ausgesprochen habe-", schwer seufzte er auf. "Ich bin mir unsicher, ob das too much wird. Wenn ich da erstmal mit meinen Gefühlen ankomme.". "Andy-". Zaghaft legte ich meine Hand auf seinen Arm und sah in seine feuchten Augen. "Chris liebt es wenn du dich ihm öffnest und es gibt keinen besseren Anlass als die Hochzeit deines kleinen Bruders.".

"Aber-". Er brach ab als er mein Handy aufleuchten sah. "Manu! Herforder Nummer, geh da ran!". Aufgeregt drückte er mir das Telefon in die Hand und starrte mich an. "Jos- Josting?". Meine Hände zitterten und gleichzeitig waren sie so schwitzig wie noch nie. "Lukas-Krankenhaus Bünde, schönen guten Tag, Hagen mein Name.". Eine zierliche weibliche Stimme begrüßte mich. "Spreche ich mit Manuel Josting, dem Mann von Christian Josting?". "J-ja, wie geht es ihm?". Eilig platzte mir diese Frage raus und ich konnte das Zittern in meiner Stimme nicht mehr unterdrücken. "Er wird morgen früh auf Station verlegt, runter von der Intensivstation. Ich rufe an, um Sie zu fragen, ob Sie noch einmal Sachen für Ihren Mann bringen könnten?". "Nochmal?", murmelte ich. "Hat er die Tasche von letzter Woche bekommen?". "Genau, er hatte vergangenen Montag danach gefragt und liegt seitdem mit einem Ihrer Pullover im Arm im Bett.".

Mein Blick glitt zu Andy, der immernoch nervös neben mir stand. "Alles ok?", murmelte er. Schluchzend gab ich ihm das Handy und setzte mich zurück an den Tisch. Ich hatte das Bild vor Augen, wie er da lag: An den Sauerstoff angeschlossen, blass wie die weißen Wände des Krankenhauses und völlig in sich zusammengezogen. Und dann sein Kopf auf meinem schwarzen Crew-Hoodie, den ich ihm eingepackt hatte, die Nase tief darin vergraben und versuchend zu atmen. "Hier ist Andreas Reinelt, der Bruder, wie geht es ihm?". Ich hörte Andreas nur leicht im Hintergrund mit der Ärztin weiter telefonieren. "Hm-hm, das ist lieb. Ja vielen Dank, wir kommen morgen gegen Mittag rum mit einer Tasche.". Ich hob den Kopf und analysierte jeden einzelnen Gesichtszug meines Schwagers. "Vielen vielen Dank, richten Sie ihm aus, dass wir ihn lieben. Danke, bis dann.". Er nahm das Handy vom Ohr, legte es weg und kniete sich vor mir hin. "Es geht ihm wieder besser Manu, das Medikament hat endlich angeschlagen", flüsterte er und bevor er überhaupt ausgesprochen hatte, warf ich mich laut weinend in seine Arme.

Straight Against The Feelings - Of Suffering and Joy [Part Two]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt