chapter 107

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Mit verschränkten Armen stand ich in der Werkstatt. Der ADAC hatte mich zu einer Partnerwerkstatt in einem nahegelegenen Ort gefahren und dafür gesorgt, dass sich gleich jemand um meinen Wagen kümmerte. "Tja Herr Josting, das sieht absolut nicht gut aus. Selbst wenn wir hinten und die vordere rechte Seite neu machen würden-", der Werkstattmeister kam unter meinem Auto hervor. "Das wäre fast so teuer als würden Sie sich einfach einen neuen Wagen holen.". Seufzend strich ich mir durchs Gesicht. "Und wie geht es dann nun weiter?". "Sie haben bereits mit Ihrem Autohaus gesprochen?". "Ja, ich bekomme keinen Ersatzwagen vor Morgen und wenn der hier jetzt eh schrott ist, bekomm ich ganz sicher gar keinen mehr.". Verzweifelt atmete ich tief durch und sah kurz zu der großen Uhr, die über dem Eingang hang. "Wir können nach einem Hotel im Ort für Sie schauen.". Ich schüttelte den Kopf. "Ich muss heute noch nach Hof, wirklich.".

"Haben Sie dort Bekannte, die Sie vielleicht abholen können?". "Ich- mein Handy ist kaputt und ich erinnere- mich an keine Nummern.". Mitleidig sah der Mitarbeiter mich an. "Dann wird das heute bestimmt nichts mehr, das tut mir wirklich leid.". "Haben Sie nicht hier einen Wagen, den ich mir leihen könnte? Es ist wirklich unglaublich wichtig.". Kopfschüttelnd sah er nach draußen. "Tut mir leid, das sind alle Schrott-Wagen. Die können Sie nicht mehr fahren.". "Oke", murmelte ich. "Kann ich sonst irgendetwas für Sie tun?". "Ich glaube nicht, nein. Melden Sie sich einfach nochmal wegen des Wagens.". "Natürlich, ich wünsche Ihnen nur das Beste.". "Danke", murmelte ich und unterdrückte die herannahenden Tränen. Ich setzte meinen Rucksack auf und nahm meine beiden Taschen, die wir nach einer halben Stunde zerren und ausbeulen aus dem Kofferraum holen konnten. "Schönen Tag noch.".

Schweigend verließ ich den Hof und sah mich um. Ich hatte kein Navi, keine Karte oder irgendein Mittel zur Kommunikation. Orientierungslos lief ich durch die Stadt, auf der Suche nach Hilfe oder zumindest jemandem, der mir sein Telefon leihen konnte. "Wozu eigentlich Manuel? Du kennst eh keine Nummer außer die der Polizei", raunte ich bissig zu mir selbst. Es war auch bereits kurz vor 18 Uhr, was hieß, dass ich es ganz sicher nicht mehr zum Beginn der Show schaffen würde. Schmerzlich versuchte ich die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, konnte das verzweifelte Schluchzen allerdings nicht weiter zurückhalten. Auf schwachen Beinen lief ich weiter und sah in der Ferne ein großes Autohaus ragen. "Ob die Leihwagen haben?", dachte ich und wurde gleich etwas schneller. In der Hoffnung das Autohaus hätte auch noch geöffnet, betete ich still und heimlich es würde mir dort jemand helfen können.

Tatsächlich brannte noch überall Licht und aus der benachbarten Werkstatt hörte man einige Menschen. Mit einem flauen Gefühl im Magen, betrat ich das Gebäude und sah mich erstaunt um. "Guten Abend, wie kann ich Ihnen helfen?". Eine freundliche junge Dame kam auf mich zu und rückte sich die Brille zurecht. "Haben Sie Leihwagen?". "Meinen Sie wirklich Leih- oder Ersatzwagen?", fragte sie nach mit einem Blick auf meine ganzen Sachen. "Ich bin kein- ich fahre keinen- kein Kunde bei Ihnen.". Leicht nickte sie. "Ich kann schauen, wie unsere Leihwagen zur Verfügung stehen. Folgen Sie mir?". Ich nickte und folgte ihr an den unzähligen Wagen vorbei in ein kleines Büro. "Setzen Sie sich. Mögen Sie etwas trinken?". Ich schüttelte leicht den Kopf und starrte in Gedanken auf die Uhr hinter ihr. "Hatten Sie einen Unfall?". Ich konnte nur stumm nicken. "Polizei und alles weiß Bescheid?". "Mein Wagen ist schrott. Polizei weiß es, aber ich brauche nunmal einen Wagen. Heute noch.". Ängstlich sah ich nun in ihre Augen, die besorgt zurück blickten.

Sie tippte auf ihrer Tastatur und ich konnte beobachten wie Ihre Augen hin und her huschten. "Wir müssten erst einmal all Ihre Daten aufnehmen, falls wir einen Wagen finden. Das wird wohl noch eine Weile dauern.". Ich nickte leicht. "Hätten Sie vielleicht ein Pflaster und dürfte ich eben Ihre Toilette benutzen?". "Aber natürlich. Hier raus links und am Ende des Ganges die rechte Tür. Erste-Hilfe-Kasten ist unter dem Waschbecken. Benötigen Sie sonst noch medizinische Hilfe?". "Nein, ich brauche heute nur noch meinen Mann.". Mit hängenden Schultern verließ ich das Büro und ging ins Badezimmer. Aus dem Erste-Hilfe-Kasten nahm ich ein größeres Pflaster und sah anschließend hoch in den Spiegel. "Du siehst so scheiße aus Manuel.". Vorsichtig säuberte ich mit einem nassen Tuch die Platzwunde und klebte anschließend ein Pflaster drüber. Kurz begutachtete ich es, dann ging ich noch auf Toilette und anschließend zurück zu der Frau.

"Es tut mir leid Herr Josting, wir haben heute keinen Leihwagen mehr frei. Der letzte ist vor knapp zehn Minuten vergeben worden.". "Nein", murmelte ich und schluchzte schwer auf. "Nein!". Schwer atmend strich ich mir durchs Gesicht und musste die aufkommende Übelkeit runterschlucken. "Ich kann versuchen-". "Nein, schon oke.". Erschöpft und mit den Nerven am Ende stand ich auf. "Wirklich. Es soll wohl nich so sein.". Noch einmal sah ich zu ihr, dann auf die Uhr und ich konnte nur noch weinen. "Schö- schönen Abend", murmelte ich und verließ Hals über Kopf das Autohaus. Im Halbdunklen ließ ich mich davor auf einem Stein sinken und begann ungehemmt zu weinen. Pure Verzweiflung beherrschte meinen Kopf und die Angst nicht mehr weiter zu wissen. Ich hatte kein Telefon mehr, hatte kein Auto und absolut keine Ahnung wo genau ich hier war und wo hier irgendein scheiß Hotel auf war.

Schwer atmend starrte ich auf den Gehweg vor mir und seufzte tief auf. "Manuel?". Ich schreckte hoch und sah Lennard, den jungen Mann vom Unfall, vor mir. "Hey, was machst du hier? Du siehst gar nicht gut aus. Wolltest du nicht nach Hof zu deinem Mann?". "Ich hab kein Handy, kenne keine Telefonnummern und niemand hat einen Ersatzwagen.". Verzweifelt schluchzte ich auf und strich mir eilig einige Tränen weg. "Ich komm hier nicht weg und weiß auch nicht wohin.". Ohne mich überhaupt zu Ende denken zu lassen, legte Lennard seine Hand auf meinen Arm und sah mich mitfühlend an. "Ich hab eben einen Ersatzwagen bekommen, ich fahr dich. Ich kann es nicht wieder gutmachen, was heute passiert ist aber lass mich dich wenigstens zu deinem Ziel fahren.". Er nahm meine beiden großen Taschen und hielt mir die Hand hin. "Du kannst während der Fahrt etwas schlafen und ich hab bestimmt noch Ibuprofen in meinem Rucksack.". "Wirklich?". "Natürlich, komm", erwiderte er und lächelte mich an. Dankbar ergriff ich seine Hand und zog ihn einfach fest in meine Arme. "Du weißt gar nicht, wie wichtig mir das ist.".

Wir verpackten meine Sachen auf der Rückbank und Lennard fand tatsächlich noch eine Schmerztablette und eine Wasserflasche. "Wohin genau in Hof?". Er stellte gerade das Navi ein und sah mich fragend an. "Freiheitshalle Hof.". Erstaunt blieb sein Blick kurz auf mir hängen. "Ehrlich Brothers?". Lächelnd nickte ich und schloss erschöpft die Augen, meinen Kopf ließ ich an die Lehne fallen. "Mein Mann ist einer von ihnen.". "Na dann drücken wir mal aufs Gas, dass du da noch pünktlich hinkommst.". "Ich bin eh schon zu spät", murmelte ich traurig. "Aber dein Auftritt ist doch erst in der zweiten Hälfte und wenn wir jetzt losfahren, sind wir kurz vor 21 Uhr da und du hast vielleicht noch genug Zeit.". Er startete den Motor und fuhr sofort vom Hof des Autohauses. Leicht lächelte ich, wohl bewusst, dass er sowohl meine Jungs kannte als auch mich nun erkannt hatte. "Vielen Dank Lennard, wirklich.". "Ich bin Schuld an der ganzen Misere, ich möchte einfach nur noch, dass du dahin kommst und dich endlich erholen kannst.".

Die Fahrt verlief schweigend und tatsächlich hielt er schon um kurz nach halb neun vor der Halle. "Soll ich noch warten?". "Nein ach, alles gut. Ich danke dir vielmals Lennard. Mach dir kein Stress wegen meines Wagens oder der Versicherung, du brauchst mir nichts zahlen.". Ein verlegenes Lächeln huschte über seine Lippen. "Danke, macht euch einen schönen Abend.". Er deutete auf die Halle. "Und verzaubert euch nicht.". Mit einem Lächeln auf den Lippen stieg ich aus und rannte sofort zum Eingang der Halle, wo die Security stand. "Wo wollen Sie hin?". Grob hielt jemand den Arm vor meine Brust. "Manuel Josting, ich bin Veranstaltungstechniker für die Ehrlich Brothers.". "Haben Sie einen Pass, mit dem Sie Zutritt haben dürfen?". "Klar ehm-". Ich stellte meine Taschen ab und fasste in meine Jackentasche. "Fuck", hauchte ich. "Ich- der muss noch im Auto- bitte.". Mit einem Kopfschütteln lehnte er alle weiteren Versuche ab. "Holen Sie bitte Kai Kolbe oder von mir aus einfach den ersten Techniker, der Ihnen über den Weg läuft.". Mit einem genervten Blick sahen sich die beiden Männer an und wollten gerade etwas sagen, als ich eine zierliche Stimme hinter mir wahrnahm. "Manuel? Du bist doch noch da?".

Straight Against The Feelings - Of Suffering and Joy [Part Two]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt