chapter 108

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"Lilly, Gott sei Dank. Ich hab meinen Pass nicht mit. Bitte sag den Herren, dass ich rein darf. Bitte, ich muss da unbedingt rein.". Sie nickte kurz und sah die beiden Securities an. "Er ist der Mann von einem der Brüder, ich nehme ihn mit rein.". "Danke", murmelte ich als sie mir die Tür aufhielt und ich reinhuschte. "Ich dachte du kommst heute nicht mehr.". "Doch natürlich, nur-". "Chris hat dich als abwesend eingetragen und jemand anderes deine Position machen lassen.". Ich nickte nur. "Ich muss nur eben meine Sachen in seine Garderobe bringen, dann bin ich sofort bereit. Wirklich.". Ihr Blick fiel auf das Pflaster an meiner Stirn. "Was ist da passiert?". "Ic-ich hatte einen Unfall, deshalb- bin ich erst jetzt hier.". "Ich bring dich zu den Sanis Manu, du bist auch total blass.". "Nein, ich komme klar. Ich will jetzt einfach nur noch auf die Bühne.". Ohne überhaupt eine Antwort abzuwarten, lief ich durch eine Tür in den Backstagebereich und suchte hektisch nach Chris' Garderobe, die ich am Ende des Ganges auch fand.

Ich zog mir lediglich den schwarzen Crew-Hoodie über und lief auch schon wieder raus und in Richtung Bühne. Gerade um die Ecke gebogen, stieß ich mit jemandem zusammen und fiel zu Boden. "Guck doch mal wohin du gehst!", fauchte mein gegenüber mich an, da es ihn ebenfalls zu Boden geworfen hatte. "Sorry, lass mich dir hochhelfen.". Ich stand schnell auf und zog ihn an der Hand zu mir. "Ach du bist es. Ich dachte du kommst heute nicht.". Verständnislos sah ich den älteren Bruder an. "Natürlich komme ich, hab ich doch gesagt.". "Nur scheiße, dass die Show bereits fast vorbei ist.". Mit weit aufgerissenen Augen sah ich den mächtigen Todesengel im Hintergrund von der Bühne geschoben werden. Andreas folgte meinem Blick. "Pascal hat deinen Part übernommen heute und ganz ehrlich Manuel, ich bin einfach nur enttäuscht von dir. Nach deiner Nachricht gestern Abend hatte Chris total Hoffnung und Euphorie und dann kam gar nichts mehr.".

"Das stimmt nicht, ich hatte heute morgen angerufen und heute Mittag eine Sprachnachricht geschickt Andy. Ich konnte mich nicht mehr melden, mein Handy ist-". "Ich wills gar nicht wissen", schnaubte er verächtlich. "Ich seh dich heute nicht mehr auf der Bühne und du solltest jetzt auch lieber ganz schnell wieder aus dem Backstage verschwinden, bevor Chris dich sieht. Ich muss nicht haben, dass seine Konzentration gleich wie weggeblasen ist.". Schwer schluckte ich. "Aber ich-". "Es interessiert mich nicht!". Ruppig schob er sich an mir vorbei und verschwand eilig zum Umziehen hinter den Vorhang. Fassungslos blieb ich stehen und strich mir verzweifelt durchs Gesicht. Von meiner Position aus hatte ich einen weiten Überblick auf die Bühne und den Zuschauerraum, der gerade fleißig jubelte als Chris die Emoji-Nummer abschloss. Mein Herz sehnte sich unglaublich nach ihm, dass es beinahe schmerzte. Allerdings hatte Andreas wohl Recht. Ich hatte alles ruiniert heute, was man hätte verpatzen können. Keine Antwort, keine Nachrichten mehr, keine Pünktlichkeit.

Schweren Herzens verließ ich die Stage wieder und ging zurück zu Chris Garderobe. Auch wenn es vielleicht nicht die beste Möglichkeit wäre, direkt nach einer erfolgreichen und noch so wichtigen Show mit ihm zu diskutieren. Aber ich musste einfach. Ich hielt es nicht länger aus als nötig, zumal das Pochen hinter meiner Stirn wieder stärker geworden war und mir die Übelkeit in den Magen brachte. Schwer atmete ich durch und ließ mich auf dem bequemen Stuhl fallen, der vor dem großen Spiegel stand. Seine Klamotten lagen wie immer wild verstreut und beinahe bescherte es mir ein Lächeln, wäre da nicht die Gewissheit, dass ich eigentlich derjenige hätte sein sollen, der ihm bei der Vorbereitung auf die Show half. Der ihm half seine Outfits zu ordnen und seine Freizeitsachen ordentlich zusammenzulegen, der-

Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch als die Tür geöffnet wurde. Ich konnte ihn bereits lachen hören, allerdings blieb er noch mit dem Rücken zu mir in der Tür stehen. "Klar, ich mach mich eben fertig, gehe duschen und so und dann können wir noch einen trinken gehen.". Als Antwort vernahm ich die Stimme seines Bruders, der wie ich gesehen hatte, die Garderobe genau gegenüber hatte. "Kein Stress, ich ruf Steffi noch an. Bis gleich.". Ich hörte seine Tür ins Schloss fallen und stand langsam auf. "Chris.". Erschrocken fuhr er herum und starrte mich mit großen Augen an. Nur langsam schloss er die Tür während ich deutlich die aufsteigende Wut in seinen Augen sehen konnte.

"Etwas spät hm?". "Ja, ich-". "Ich dachte du tust alles um mit mir hier zu stehen? Um mit mir zu feiern und auf diesen Restart anzustoßen?". Seine Stimme bebte während er sprach und die bodenlose Enttäuschung war nicht zu überhören. "Hör bitte zu, ich-". "Nein Manuel, du hörst mir jetzt mal zu! Ich habe heute Morgen deine Nachricht angehört und mich verdammt nochmal mega gefreut, dass du doch herkommst! Ich hab dir geantwortet doch die Nachricht ging nichtmal durch, bei Anrufen ist die Mailbox angesprungen und du warst offensichtlich zu dicht von gestern Nacht um dich überhaupt zu melden! Ich hab darauf gezählt, dass du heute hier bist und mich unterstützt! Ich habe bis zum Showstart gewartet und bei jeder Regung meines Handys gehofft, dass du doch noch aufkreuzt und jetzt sitzt du hier und willst Friede Freude Eierkuchen spielen?!". Aufgebracht baute er sich vor mich auf, doch ich schaffte es weder seinem Blick zu erwidern noch mich überhaupt zu rechtfertigen. "Du hast alles ruiniert Manuel! Fahr nach Hause, ich will dich gerade nicht sehen und in Nürnberg brauchst du genauso wenig auftauchen wie heute!". Er gab mir eine ordentliche Backpfeife, die mich schwer Luft holen ließ und augenblicklich die heißen Tränen zurück brachte.

"Ich bin bei Andreas, du hast zehn Minuten um deine Sachen zu nehmen und dich zu verpissen!". Er entfernte sich von mir und riss wütend die Tür auf. "Ich wäre pünktlich gewesen, aber der Unfall kam dazwischen", hauchte ich schwach und schluchzte schwer auf. Es fiel mir schwer mein Gleichgewicht zu halten, vor Übelkeit und vor Angst. "Was?". Ich konnte nicht reagieren, sondern setzte alles daran nicht zu fallen. "Manuel, was hast du gesagt?". Die plötzliche Besorgnis in seiner Stimme ließ mich kalt und ich hob leicht den Kopf. "Mein Wagen- ist sch-schrott, ich-". Völlig durcheinander huschte mein Blick zwischen seinen Augen hin und her. Meine Beine gaben allmählich nach und ich hielt mich krampfhaft am Stuhl fest. "Manu hey, hey ruhig.". Sofort war Chris bei mir und legte seinen Arm um mich. "Setz dich hin honey.". Vorsichtig brachte er mich zum Sofa und half mir mich zu setzen. "Was sagst du da? Ein Unfall?". Ich nickte schwach und strich mir einige Tränen von der Wange. "Ich-ich hab dir Audio geschickt. Hi-hinter Leipzig, dass ich kur-kurz vor vier da bin.".

Leise schluchzte ich auf und hielt mir den Kopf. "Ganz doller- Regen ne Stunde von Hof entfernt und- und plötzlich war einer hinter mir.". Tief holte ich Luft und versuchte ruhig zu bleiben. "Er ist mir aufgefahren und zusammen sind wir- in die Leitplanke und- und dann Polizei, ADAC und Werkstatt und ich kein Ersatzwagen und Handy kaputt-". Schwer schluchzend brach ich ab und legte den Kopf in meine Hände. "Ich hatte so Angst", flüsterte ich. Zaghaft nahm Chris meine Hände und sah in meine rot-verweinten Augen. "Ist dir etwas passiert? Was ist unter dem Pflaster honey?". Seine Stimme zitterte und doch beruhigte es mich ungemein seine warmen Hände zu spüren und ihm nahe zu sein. "Platzwu-wunde.". "Hast du dich untersuchen lassen? Was fehlt dir?". "Keine Zeit gehabt", murmelte ich und lehnte vorsichtig meinen Kopf an seine Brust. "Ich wol-wollte doch zu dir und- keine Zeit für Arzt. Mir brummt so der Schädel Chris", hauchte ich verzweifelt. "Ich hab so Kopfschmerzen und Übelkeit und- ich- ich-". "Hol tief Luft Schatz, ich hol direkt die Sanitäter. Du musst dich durchchecken lassen.". "Ich hab so Angst", gab ich leise zu und schluchzte auf. "Ich- ich hab eure Telefonnummern vergessen und was- was wenn die- die Amnesie-". Erschrocken sah mein Mann mich an. "Ich hab so doll Kopfschmerzen", hauchte ich wieder und nahm ihn mittlerweile auch nur noch verschwommen vor meinen Augen wahr. "Wir fahren sofort ins Krankenhaus Schatz.". Ganz langsam zog er mich auf die Beine und legte seine Arme um mich. "Es tut mir so leid, dass ich dich so angefahren habe", flüsterte er und gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Schon ok, ic-ich bin einfach froh jetzt bei dir zu sein.". Noch immer schwer atmend vor Angst ließ ich mich fest in seine Arme ziehen und atmete den vertrauten Duft seines Parfums ein. "Ich zieh mir ne Jacke über und dann fahren wir direkt los. Wir lassen am besten sofort ein CT machen, ja?". Leicht stimmte ich ihm zu und war einfach nur noch erleichtert nicht mehr allein mit meinem Schmerzen zu sein. "Ich liebe dich Manuel, vergiss die vergangenen Stunden einfach. Wir kümmern uns um dich und morgen früh um alles andere.". "Ich liebe dich auch", gab ich leise zurück.

Straight Against The Feelings - Of Suffering and Joy [Part Two]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt