„Verdammt noch mal, du bist unsere Mutter! Du musst dich um uns kümmern!", brüllte ich ihr ins Gesicht und es tat unendlich gut, die angestaute Wut herauslassen zu können. Es fühlte sich an, als würde ich mir endlich den Stachel aus der Haut ziehen und, obwohl es nun blutete, legte sich der Schmerz.
Die Frau schaute mit ihren grünen Augen durch mich hindurch, strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und kehrte mir dann den Rücken zu, um mal wieder in ihrem Zimmer zu verschwinden.
Verärgert atmete ich laut aus, lief ihr nach und packte sie fest an der Hand. „Du kannst nicht immer davonlaufen, Karina. Sienna braucht dich! Ich brauche dich... Es ist deine verdammt Pflicht auf uns aufzupassen!", schrie ich ihr entgegen und ich beobachtete die Tränen, die aus ihren kalten Augen floßen.Sie verwischten ihre Mascara, verwischten alles Gute, verwischten alle Hoffnung.
„Er wird sie uns wegnehmen, ist es das, was du willst?!", kreischte ich nun panisch und rüttelte verzweifelt an ihren Schultern, versuchte sie aus dieser Trance zu befreien. Die Frau sank in sich zusammen, alle Kraft verließ sie und sie starrte einfach nur weiter auf den Boden.
„Ich wollte euch nie...", flüsterte sie dann plötzlich und, als hätte ich mich an ihr verbrannt, ließ ich sie los. Sofort erkannte sie ihre Chance und stürmte in ihr Zimmer, um es direkt hinter sich abzuschließen.Hilflos starrte ich auf das dunkle Holz, hinter welchem sich meine Mutter nun wieder versteckte und wusste nicht, was ich tun sollte. Das bittere Gefühl der Enttäuschung und auch die Verzweiflung griffen mit ihren klammen Fingern nach mir, versuchten mich zu greifen und zu zerquetschen, und hoffnungslos versuchte ich meine Atmung ruhig zu halten. Ich musste ruhig bleiben. Ich durfte nicht durchdrehen. Ich habe-
„Quinny?", flüsterte eine leise, helle Stimme und schnell drehte ich mich zu dem kleinen Mädchen um. Sienna starrte mich mit ihren großen, blaue Augen an und eine lange Strähne ihres blonden Haares war ihr aus dem Zopf gerutscht. „Ist Mama wieder sauer?".
Ihre Stimme war weich, aber voller Schmerz. Schnell lief ich zu ihr und sank vor ihr auf den Boden, um meine kleine Halbschwester in den Arm zu nehmen. Ich spürte ihren Herzschlag an meiner Brust und wusste, dass mein Herz mit ihrem schlug.„Nein, mach dir keine Sorgen. Sie kommt schon wieder zu sich", log ich sie an und nahm dann ihre kleine, weiche Hand in meine. „Ich habe Hunger", murmelte sie nun und ich nickte traurig. „Komm, wir holen dir etwas leckeres", antwortete ich lächeln, obwohl ich nicht wusste, wo ich etwas zu Essen herbekommen sollte.
Wir könnten bei den Nachbarn klingeln... Aber vielleicht riefen sie dann das Jugendamt, so wie sie es Karina angedroht hatten...?
Das konnte ich nicht zulassen. Ich musste mit meiner kleinen Schwester zusammen bleiben!
Sie war doch erst acht Jahre alt, ich durfte sie nicht alleine lassen!
Nichts wird uns trennen, dafür werde ich sorgen!———————-
„Wir hätten gerne einen Apfel", sagte ich zu dem Straßenhändler und zeigte auf einen seiner großen, saftigen Äpfel. Sienna versteckte sich hinter mir, als der riesige Mann uns misstrauisch musterte. „Einer macht 90 Cent", murrte er und schaute uns böse an, als ich keinen Geldbeutel heraus holte. „Könnt ihr bezahlen?", fragte er nun wütend und ich schüttelte den Kopf. „Bitte, meine Schwester hat wirklich großen Hunger", flehte ich ihn an und fühlte mich unglaublich wertlos dabei.
„Ich bin hier doch nicht die Wohlfahrt, verzieht euch!", schnauzte er uns daraufhin an und verzweifelt nahm ich Siennas Hand. Ihre Finger zitterten und mein Beschützerinstinkt meldete sich dadurch zu Wort, dass sich mein Puls beschleunigte.
„Bitte, ich würde für Sie auch arbeiten!", meinte ich nun, mir der Kälte, welche von meiner kleinen Halbschwester ausging, wohl bewusst. Der Mann schien kurz zu überlegen, dann fragte er mich: „Wie alt bist du?". Nervös strich ich mir meine blonden Locken aus dem Gesicht. „Elf, Sir", antwortete ich ihm und hoffte, dass Sienna endlich etwas zu Essen bekam. „Wo sind eure Eltern?", borte er weiter nach und zog fragend die Augenbrauen nach oben. „Wir haben keine", entschied ich mich dann für die Lüge, woraufhin der Mann murrte und mich dann zu sich winkte.
„Wir finden schon etwas, womit du es abarbeiten kannst". Das Grinsen des Typen entging mir. Erleichtert atmete ich aus und drückte Sienna den Apfel in die Hand, von welchem sie sofort abbiss. Ihr Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln und ich lächelte zurück. Mein Bauch grummelte, doch ich ignorierte ihn, war einfach nur froh, sie essen zu sehen.
„Komm, ich bringe dich nach Hause und dann muss ich dem netten Mann hier helfen", erklärte ich ihr und sie nickte. „Denkst du, ich bin blöd? Ihr bleibt beide hier!", rief er nun und wollte schon nach mir greifen, doch ich war schneller.
Flink packte ich meine Halbschwester an der Hand und zusammen sprinteten wir dem laut fluchenden Mann davon. Mein Herz pochte, meine Seite stach, doch ich hielt nicht an und zog Sienna einfach weiter hinter mir her, bis zu unserer kleinen Wohnung. Dort schloß ich erleichtert die Haustüre hinter uns ab und schob das Mädchen ins Wohnzimmer.
„Hast du deinen Apfel?", fragte ich sie, als ich wieder Luft bekamen. Traurig schüttelte sie den Kopf. „Ich habe ihn verloren".
Lächelnd holte ich weitere Früchte aus meiner Jackentasche hervor. „Macht nichts, auf was hast du Lust?". Ihre blauen Augen strahlten mich an und da wusste ich, dass ich alles richtig gemacht hatte.
DU LIEST GERADE
Fragile - Falling like the stars || boyxboy
Подростковая литератураSind wir nicht alle etwas kaputt? Etwas defekt? Etwas zerbrechlich? Gebrochen vom Leben, sodass wir irgendwie in diese Gesellschaft passen? Quinn hasst Marek. Marek hasst Quinn. Dabei sind sie sich gar nicht so unähnlich: Sie sind beide kaputt...