Wir verbrachten den ganzen Sonntag in Chesters Bett und mein bester Freund zeigte mir all seine neuen technischen Spiele. Erst auf der PS4, dann seinen neuen Nintendo, danach schauten wir einen Film auf seinem riesigen Flachbildfernseher.
Der Tag tat mir gut, doch jedes mal, wenn ich meinen besten Freund ansah, musste ich an meine Lüge denken und das schlechte Gefühl griff nach mir, breitete sich immer weiter in mir aus. Ich hatte einen Fehler gemacht und das wusste ich. Er hatte die Wahrheit verdient, nach allem, was er für mich getan hatte. Würde er mich wirklich hassen, wenn er wusste, dass ich schwul war?
Meine Unsicherheit zerriss mich. Einen Bruder hasste man deswegen doch nicht, oder?
Aber dann kamen mir die ganzen homophoben Gespräche und Witze in den Kopf, die er jemals geäußert hatte und da war ich mir wieder sicher, dass er doch nichts mehr mit mir zu tun haben wollen würde.Am Montag fuhren wir zusammen zur Schule und ich war erleichtert, ihm mal nicht in die Augen sehen zu müssen. Joy, Isa und Griff begrüßten mich herzlich und ich war froh, dass wenigstens sie die Wahrheit wussten. Das Veilchen hatte ich mit etwas Make-Up von Ches Mom überdeckt, sodass mich niemand danach fragte.
Zum Glück.
Ich wusste nicht, ob ich sie hätte anlügen können, wobei ich das wohl oder übel gemusst hätte. Sie sollten sich nicht noch mehr Sorgen machen, als sowieso schon.Nach dem langen, anstrengenden Schuldtag wartete Chester bereits an seinem Auto auf mich und ich stellte erleichtert fest, dass keiner seiner Freunde da war. „Hey", begrüßte ich meinen besten Freund und informierte ihn über meinen Beschluss, welchen ich gefasst hatte: „Du weißt, ich liebe es bei dir Zuhause, aber... Ich geh wieder zu mir, ja? Ich will es wieder auf die Reihe bekommen".
Chester starrte mich erschrocken an und packte mich dann am Arm. „Bist du verrückt?! Was, wenn Ben wieder da ist?", fragte er leicht panisch und ich sah mich kurz um, dass uns niemand belauschte, um dann den Kopf zu schütteln. „Mach dir keine Sorgen, die kommen meist eh nur am Wochenende nach Hause. Außerdem war das sicherlich eine Ausnahme. Vorher hat er das ja auch nicht getan", verteidigte ich meine Entscheidung und Chester sah mich zweifelnd an.
„Bitte, Ches. Ich will mein Leben wieder in den Griff bekommen. Allein", bat ich ihn und er gab misstrauisch nach. „Na gut, aber ich fahr dich nach Hause und schau, ob Ben da ist. Ich hoffe für ihn, dass er nicht da ist...", knurrte mein bester Freund gefährlich und ich legte ihm einen Arm um die Schulter, um ihn dankbar anzusehen.
„Aber versprich mir, sofort zu mir zu kommen, falls was ist, ja? Schwöre es!", beschwor er mich, als wir uns in sein Auto setzten. Ich nickte und war froh, dass ich keinen Indianer Schwur leisten musste, denn sonst wär ich wohl gestorben. „Natürlich! Danke".
Bei mir Zuhause angekommen begleitete mich mein bester Freund nach oben und ih stellte erleichtert fest, dass Karina und Ben tatsächlich nicht da waren. Dafür sah es in der Wohnung noch schlimmer aus, als sonst. „Boar, Quinn. Sicher, dass du nicht wieder mit gehen willst?", fragte mich Chester nach einem Blick auf das Chaos nach und ich winkte ab. „Alles gut. Ich räum dann erst mal auf", seufzte ich und hob ein paar alte Bierflaschen auf. „Melde dich, ja? Bis morgen", nahm mich Chester noch schnell in den Arm und ich bemerkte, dass es ihn nicht behagte mich hier zu lassen, doch er respektierte meinen Wunsch und dafür war ich ihm dankbar. „Danke, Ches. Bis morgen".
Die Schulwoche ging schnell um und ich war froh, dass nichts Außergewöhnliches passierte. Marek hielt weiterhin seinen Mund, Chester sah täglich in der Schule nach mir und Joy, Isa und Griff gaben sich unglaublich viel Mühe mit mir. Auch Ben und Karina tauchten glücklicherweise nicht auf und zum ersten mal, seit langer Zeit, war die Wohnung wieder sauber.
Als ich Freitag nach Hause lief musste ich immer wieder an Samstag denken. Morgen würde ich neben Marek sitzen und das zwei Stunden lang, allein! Vor Aufregung drehte sich mein Magen um und nicht zum ersten mal dachte ich darüber nach, es abzusagen, doch das brachte ich nicht über mich. Zu sehr sehnte ich mich nach meiner Halbschwester und selbst, wenn es nur für eine Stunde war, freute ich mich so sehr sie wieder zu sehen.
Vorsichtig tapste ich auf dem Gehweg zu dem Mehrfamilienwohnungen und musste, vor lauter Schnee, aufpassen nicht hinzufallen. Mein warmer Atem bildete Wolken und vor Kälte legte ich meine Arme um mich. Zwar trug ich eine Jacke, doch diese war nicht ansatzweise für so einen Winter ausgestattet. Fröstelnd dachte ich an heute Abend und daran, dass ich keine Lust darauf hatte.
In vier Tagen war Weinachten und Yoldas war auf die glorreiche Idee gekommen ein Weihnachtsbesäufnis zu veranstalten und natürlich schleppte Chester mich da mit.
Da wir ab heute Winterferien hatten wusste ich nicht so recht etwas mit mir anzufangen, sodass ich mal wieder die Wohnung putzte. Es war ungewohnt über nichts zu stolpern und stolz betrachtete ich mein Werk. Ich hoffte, dass Karina und Ben nicht allzu bald wieder kamen. Es war mir egal, wo sie waren. Scheiß egal. Hauptsache sie blieben weg.Kurz überlegte ich, ob ich Chester fragen sollte, ob ich zu Weihnachten zu ihnen kommen könnte, doch verwarf ich den Gedanken wieder. Seine Familie fuhr immer zu seinen Großeltern nach Hamburg und zwar kannten mich diese, trotzdem fühlte ich mich dort ehr, wie ein Eindringling.
Dann halt wieder Weihnachten alleine, seufzte ich vor mich hin und ging dann in mein Zimmer. Kurz checkte ich mein Handy und steckte es dann an den Strom, als ich sah, dass der Akku beinah leer war. Der kaputte Display spiegelte mein Gesicht und kurz stockte ich.
So gebrochen, wie mich meine Reflektion entgegen sah, so fühlte ich mich auch.
Schnell ging ich ins Bad, hüpfte unter die Dusche und fluchte vor mich hin, als mal wieder nur eiskaltes Wasser aus dem Duschkopf tropfte.
Zitternd und schlotternd trocknete ich mich dann ab, um in eine dunkle Hose und meinen blauen Pulli zu schlupfen. Verstohlen betrachtete ich mich im Spiegel.Der Pulli passt zu meinen blauen Augen und kurz fuhr ich mir durch meine blonden Locken, um diese etwas zu bändigen. Gegen den Rest konnte ich wohl oder übel nichts tun.
Pünktlich um sieben sah ich Chesters Auto vorfahren und ich schnappte meine Jacke, um mich auf den Weg nach unten zu machen. Kurz vor der Haustüre stoppte ich und rannte in mein Zimmer zurück, um mein Handy noch schnell in die Hosentasche zu stecken. Man wusste ja nie.
Im Auto wurde ich laut begrüßt.
Joy, Isa und Griff saßen bereits auf der Rückbank und Chester grinste mir breit entgegen, als ich mich auf den Beifahrersitz nieder ließ. Die Musik aus den Boxen dröhnte mir in den Ohren, doch die gute Laune meiner Freunde übertrug sich sofort auf mich, sodass ich freudig mit ihnen mit gröhlte und beinah vergaß, wie blöd ich diese Party finden wollte.
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Fragile - Falling like the stars || boyxboy
Roman pour AdolescentsSind wir nicht alle etwas kaputt? Etwas defekt? Etwas zerbrechlich? Gebrochen vom Leben, sodass wir irgendwie in diese Gesellschaft passen? Quinn hasst Marek. Marek hasst Quinn. Dabei sind sie sich gar nicht so unähnlich: Sie sind beide kaputt...