| Chapter Ninety-Six |

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In meinem Kopf schwirrten so viele Gedanken, gleichzeitig war er komplett leer.
Es fühlte sich an, als hätte ich einen riesigen Fehler gemacht und gleichzeitig fühlte ich mich freier, als ich es jemals getan hatte.
Konnte es dann falsch gewesen sein?

Warum hatte ich das nur getan...?
Was war nur los mit mir?
Nun lief ich doch wieder davon, es hatte sich also nichts geändert.

„Quinn! Warte!".
Erschrocken blieb ich stehen und drehte mich zu der Person, die mir gefolgt war und mein Herz rutschte mir in die Hose.
Seine dunklen Haare flogen beim Laufen immer wieder in seine Augen, doch Chester strich sie sich nicht aus der Stirn, sondern blieb kurz vor mir stehen und atmete tief durch.

Einen unendlichen Moment standen wir uns einfach nur gegenüber und starrten uns an, als würden wir uns nicht kennen.
Ich sah unglaublich viele Emotionen in dem Gesicht meines besten Freundes aufblitzen.
Verwirrung, Unsicherheit, Angst.
Dann Wut und da wusste ich, dass ich nun auch ihn verloren hatte.
Ich verschloss alles in mir, damit ich nicht hier und jetzt zusammen brach.

„Warum bist du nicht tot?", flüsterte Ches und funkelte mich sauer an.
Seine Worte bohrten sich tief in mein Fleisch, rissen tiefe Wunden und ich schluckte schwer, bevor ich ihn fragend ansah.
„Der Schwur. Unser Schwur, Quinn. Du hast ihn gebrochen", erklärte mein bester Freund und nun klang er nicht mehr wütend, sondern unendlich traurig.
Das war tausend mal schlimmer.

Unser Schwur...
Ja, ich sollte tot sein und nicht so hilflos vor ihm herum stehen.
Ich sollte auf die Knie fallen und ihn um Verzeihung bitten.
Mein ganzes Leben lang hatte er auf mich aufgepasst und sich um mich gekümmert und ich hatte es nicht mal für nötig gehalten ihn mein wahres Ich zu offenbaren.

„Ich...", murmelte ich, unsicher, was ich sagen sollte. „Es tut mir leid".
Gebrochen richtete ich den Blick auf den Boden, konnte nicht in seine verurteilenden Augen schauen.
Ich konnte nicht mehr.

„Wieso hast du nichts gesagt?", wollte er wissen und nun war es an mir, sauer zu sein.
„Willst du mich verarschen?!", fuhr ich ihn an, musste meiner Panik und der Wut Platz machen. „Was ist mit den ganzen homophoben Witzen? Ich dachte, du würdest mich hassen!".
Tat er nur so oder konnte er das wirklich nicht verstehen?
Hatte er wirklich nie bemerkt, wie sehr ich darunter gelitten hatte?!

Geschockt schaute Chester mich an, kurz sprachlos. „Aber das war doch alles nur Spaß, Quinn! Das solltest du doch wissen. Ich würde dich nie hassen", verteidigte er sich nun und wie wild schüttelte ich meinen Kopf, wollte ihn nicht weiter ausreden lassen. „Nein, Chester, das hatte nichts mit Spaß zu tun. Du hast zugelassen, dass sie sich über mich lustig machen! Jahrelang! Weißt du, wie ich mich gefühlt habe?".

Stille.
Ich wusste, dass es unfair war, was ich tat.
Ich versteckte mich hinter meinen falschen Taten und griff nun meinen besten Freund an, der gerade jedoch total im Recht war.
Doch ich konnte die Emotionen, die ich mein ganzes Leben nun schon unterdrückte, einfach nicht mehr in mir behalten.

Momente, in denen ich klein gemacht wurde, gehänselt wurde, blitzten mir durch den Kopf, raubten mir die Sinne.
Ich konnte nicht denken, konnte es nicht aufhalten.
Wellen der Verzweiflung, der Wut und des Hasses krachten gegen meinen Damm, der sich aufhalten sollte, und rissen ihn ein.
Ich ertrank in dem Gefühlschaos und gab auf.

Dann schnaufte Chester laut aus.
„Nein. Nein, eben nicht! Das ist ja das Problem, Quinn! Ich weiß es nicht! Denkst du nicht, dass ich es geahnt habe. Verdammt, du bist doch mein Bruder! Ich kenne dich in- und auswendig. Als ich es bemerkt habe, habe ich sofort aufgehört mit den dummen Witzen und es tut mir wirklich leid, wenn ich etwas gesagt habe, was dich verletzt hat. Ich wollte, dass du es mir sagst, man. Ist das so schwer?! Ich wollte, dass es von dir kommt. Ich dachte, wir sind eine Familie?", rechtfertigte sich mein bester Freund, doch es war, als würden seine Worte einfach an mir abprallen.

Eigentlich sollte ich erleichtert sein. Er hatte es bereits gewusst und hat mich nicht gehasst.
Ich sollte glücklich sein, doch stattdessen fühlte ich...

Nichts.
Einfach nichts.

Gerade noch wusste ich nicht, wie ich mit den zu vielen Gefühlen auf einmal umgehen sollte.
Nun waren sie einfach weg.
Davon gespült, vergessen, verloren.

„Nein. Nein, sind wir nicht. Die Menschen, die du deine Freunde nennst haben mir mein Leben zur Hölle gemacht und du hast nichts dagegen getan", beschwerte ich mich weiter, meine Stimme ohne irgendein Gefühl, denn da war nichts, dass ich hätte fühlen können.
Das Entsetzen und die Verletztheit in Chesters Blick schüchterte mich ein, trafen mich aber nicht so sehr, wie sie es hätten tun sollen.

„Ist das dein Ernst...? Ich-... Quinn, ich bin nicht dein Babysitter!", wurde Ches sauer und auch ich ballte meine Hände erneut zu Fäusten.
Dass er genau dieses Wort benutzte war Absicht, das wussten wir beide und, dass er es tat, ließ mein Herz brechen.
„Ich hätte doch nur etwas Unterstützung gebracht. Ich bin doch kein kleines Kind mehr!".
Er wusste genau, wo meine Schmerzpunkte waren und raste genau darauf zu.

„Dann hör auf, dich wie eins zu benehmen, verdammt noch mal!", schrie er mich beinah an und mein Herz schlug schneller.
„Freunde erzählen sich alles und lügen nicht. Freunde unterstützen sich und verstellen sich nicht. Freunde-", wollte Chester einer seiner Reden halten, doch ich ließ ihn nicht ausreden.
Ich wusste nicht, was mich ritt, doch ich konnte mich nicht aufhalten.

„Tja, vielleicht sein wird einfach keine Freunde mehr".

Es war still.
So still, als wäre die Welt stehen geblieben.
Vielleicht war sie das ja auch.
Die Stille war unglaublich laut und dröhnte in meinen Ohren.

Ich wusste, dass meine Worte auch mich verletzt hatten, doch ich fühlte es nicht.
Es war, als würde ich auf eine offene, blutende Wunde schauen, doch den Schmerz nicht fühlen.
Als wäre alles taub.

„Das meinst du nicht so...", flüsterte Ches, gab mir noch eine Chance, meine Worte rückgängig zu machen, doch ich war nicht ich.
Ich war ein Roboter, ohne Gewissen, ohne Gefühle.
Vor ein paar Stunden noch wäre ich lieber gestorben, als meinen besten Freuden zu verlieren.
Nun stand ich ihm gegenüber, hatte eine Wahl und entschied mich für die falsche.

In meinem Kopf hatte sich etwas zusammen gebraut.
Etwas Dunkles, etwas Trauriges, etwas Böses.
Diese Idee verschlang mich und verwischte alles andere.

„Auf Wiedersehen, Chester".
Ich drehte mich um und ging davon.

Fragile - Falling like the stars || boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt