| Chapter Ninety-Seven |

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Ich spürte meine Beine kaum, als ich bei dem alten Haus ankam.
Eigentlich spürte ich gar nichts mehr.
Doch es war mir egal. Tatsächlich begrüßte ich die Leere.
Sie half mir mich auf meinen Plan zu konzentrieren und den Fokus darauf zu bewahren.

Mit müden Beinen und hängenden Armen schlurfte ich die Treppen nach oben und schloss die heruntergekommene Türe auf.
Ich hörte Stimmen und Geräusche, doch es war mir egal.

Völlig fertig ging ich einfach direkt in mein Zimmer, schloss die Türe hinter mir und ließ mich auf das Bett fallen.
Einen Augenblick lag ich einfach nur da und starrte an die Decke.
Ich dachte an nichts, wollte nichts, fühlte nichts.

Dann wurde die beruhigende Stille durch etwas lautes unterbrochen und verwirrt schaute ich zu der Person, die mitten in meinem Zimmer stand.
Ihre Hände hatte sie an ihre Hüften gestellt, ihre blonden Haare waren zu einem losen und unaufgeräumten Dutt gebunden und ihre hellen Augen hatte sie etwas mit Wimperntusche betont, welche bereits etwas verlaufen war.

Sie sah noch genauso aus, wie beim letzten mal, als wir uns gesehen hatten und ich bemerkte, dass ich sie überhaupt nicht vermisst hatte.
Ganz im Gegenteil sogar.

„Sieh mal einer an, wer sich bequemt nach Hause zu kommen", beschwerte sich Karina bei mir und ich richtete mich in dem unbequemen Bett auf.
Die hatte mir gerade noch gefehlt...

„Lass mich einfach in Ruhe", murmelte ich und fuhr mir müde über mein Gesicht. Sie sollte einfach wieder gehen. Ich wusste nicht, was ich heute noch aushalten würde...
„Geht's noch?! Seit Wochen bist du weg! Ich musste hier alles alleine stemmen, weißt du eigentlich, wie schlecht es mir in den letzten Wochen ging?! Ich musst alle Schichten alleine schaffen, die Miete zahlen! Du faules Stück Dreck, wo warst du?!", schrie sie mich nun an und überrascht keuchte ich auf, als sie mich an der Schulter packte und mich aus dem Bett zerrte. „Das habe ich bezahlt. Raus da!".

Überfordert und zitternd rappelte ich mich auf und stand ihr nun gegenüber.
Meine Beine wollten unter mir nachgeben, doch ich hielt stand, so, wie ich es immer getan hatte.

Bilder und Erinnerungen blitzen durch mich hindurch.
Momente, in denen ich meine Mutter gebraucht hätte und nur diese enttäuschende Frau, so wie sie nun vor mir stand, bekommen hatte.
Hass und Abscheu krochen in mir hoch.
Was hatte ich eigentlich noch zu verlieren?

Sie hatte mich und Sienna einfach so aufgegeben.
Einfach weggeschmissen, entsorgt, verbannt.
Ich hasste sie.

Ich hasste sie dafür, dass ich kein Kind sein durfte.
Ich hasste sie dafür, dass ich alles alleine tun musste.
Ich hasste sie dafür, dass ich hier gelandet war.

„Du bist eine schlechte Mutter. Eigentlich bist du gar keine Mutter, denn als Mutter kümmert man sich um seine Kinder!", schleuderte ich ihr entgegen und wusste, dass ich mich nun nicht mehr aufhalten konnte. „Seit Dad tot ist, hat es dich einen scheiß interessiert, wo ich bin, Hauptsache ich bringe Geld mit nach Hause. Dir war es scheiß egal, wie es mir geht, oder wie es Sienna ging! Du hast sie einfach so gehen lassen!".

Erst war sie verwirrt und überfordert von meinen Worten, dann sah ich Wut in ihren Augen aufblitzen und sie trat noch einen Schritt auf mich zu.
„Wenn ich nicht deine Mutter bin, dann verschwinde", giftete sie einfach nur, ging gar nicht auf meine anderen Worte ein und zeigte auf die Türe. „Ich will dich nie wieder sehen!".

Ich lachte laut auf. So laut, wie ich es schon lange nicht mehr getan hatte. Das Lachen klang kalt und verbittert und passte zu der ganzen trostlosen Situation.
Karina starrte mich an, als wäre ich verrückt geworden und wahrscheinlich war das auch so.
Verrückt, verloren, verdammt.

„Denkst du, das würde mir etwas aus machen? Von dir weg zu sein, ist das Beste, was ich tun kann. Du vergiftest alle um dich herum mit deinem Hass. Du hast mir immer das Gefühl gegeben, Schuld an allem zu sein und-", wollte ich meine Gedanken der ganzen Jahre laut äußern, doch Karina unterbrach mich.

„Weil du es bist!", schrie sie und erschrocken stockte ich.
„Weil du es verdammt noch mal bist! Du bist Schuld, an allem!".

Mein Herz stolperte, doch ich versuchte einfach weiter ruhig zu atmen. Ihre Worte durften mich nicht erreichen. Es war mir doch egal, was sie dachte!
„Du bist an allem schuld, Quintus. Deinetwegen ist das alles passiert! Deinetwegen ist die Familie kaputt gegangen!".

Nicht an mich ran lassen, einfach ignorieren...
Doch ich konnte nicht.
Mit zitternden Händen ging ich einen Schritt auf sie zu.
„Ich bin schuld?! Ich?! Wer hat denn Dad betrogen, obwohl sie ihn angeblich so sehr geliebt hatte?! Wer ist Nächte lang, angeblich mit ihren Freundinnen, unterwegs gewesen und hat Dad alleine mit uns gelassen? Das warst alles du! Du hast Dad allein gelassen! Du hast ihn verraten, du-".

Einen Schlag mit der flachen Hand in mein Gesicht unterbrach mich. Das Klatschen hallte durch den Raum und ich war so überrascht und überfordert, dass ich mich nicht bewegen konnte.

„Nein, du verdammter Lügner! Du bist Schuld. Das war alles wegen dir! Er hat dich so viel mehr geliebt, als mich!", kreischte sie hysterisch und wütend ignorierte ich das Brennen auf meiner Wange.
„Du warst eifersüchtig auf deinen eigenen Sohn? Weil der Vater ihn geliebt hat?! Willst du mich verarschen?!", rief ich und konnte es einfach nicht glauben. War das ihr verdammter Ernst?!

„Wir waren so glücklich, so glücklich, ohne euch Kinder! Du hast mein Leben zerstört. Ich wollte nie Kinder haben. Deinetwegen ist dein Vater tot!", warf sie mir vor und alle Wut verpuffte in mir. Zurück blieb Panik, Angst und Trauer.
Dinge, die ich seit Jahren dachte, kamen in mir auf und verzweifelt versuchte ich sie zu unterdrücken.

„Das ist nicht wahr. Es war ein Autounfall", versuchte ich ruhig zu bleiben und trat noch einen Schritt von Karina weg, doch sie kam mir sofort wieder entgegen. „er ist wegen dir gestorben! Weil er dich abholen sollte! Er war auf dem Weg zu dir! Du bist Schuld, du allein. Ich wünschte, du wärst nie geboren worden!".

Mein Herz blieb stehen und mein Magen drehte sich um.
Ich wusste es.
Ich hatte es immer gewusst.

„Das wünschte ich auch", murmelte ich einfach nur, schnappte mir meine Schuhe und stürmte an der Frau hinaus, die mal meine Mutter gewesen war.
„Verschwinde und lass dich hier nie wieder blicken! Ich will dich nie wieder sehen!".

So schnell, wie noch nie, rannte ich die Treppen hinunter, zur Türe hinaus.
Mein Plan formte sich, immer weiter und innerlich akzeptiere ich ihn bereits.
Nur noch eine Person stand mir hierbei ihm Weg.

Fragile - Falling like the stars || boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt