| Chapter One-Hundred-Four |

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Ich konnte es nicht glauben, als wir keine fünf Minuten später auf der Brücke hielten.

Tatsächlich stand er dort.
Direkt am Abgrund.
Der Wind zerrte an seinen Locken und, da es langsam dunkel wurde, konnte man den Fluss unter uns kaum sehen, aber hören.
Das bedrohliche Rauschen klingelte in meinen Ohren und verweifelt hielt ich den Atem an.

Nein, nein, nein. Was tat er da nur für eine Scheiße?!

"Ich weiß nicht, was ich hätte sagen sollen", begrüßte uns Silas und ich sah die gleiche Verzweiflung in seinen Augen, wie ich sie in mir spürte. "Danke, man", meinte Chester zu unserem Freund und zusammen gingen wir langsam auf Quinn zu.

Mein Herz pochte hart und schnell und kurz dachte ich, es würde aus meiner Brust fallen.

Meine Gedanken flogen wild umher und immer, wenn ich nach einem greifen wollte, floh er wieder und verschwand.

Ich konnte nicht denken, nicht fühlen, nicht... Nichts.
Alles in mir schrie zu ihm zu rennen und ihn vom Abgrund wegzuziehen.

Wieso?
Wieso tat er das nur?!
Wir konnten ihm doch helfen, verdammt!
In meinem Kopf versuchte ich Sätze zu formulieren, die ich ihm sagen könnte, doch nicht einmal das schaffte ich.

„Quinn!", schrie Ches gegen den pfeifenden Wind und den dröhnenden Sturm und in dem Schrei hörte ich die Panik und die Angst, die auch mich beherrschten.

Als Quinn sich umdrehte, hörte ich kurz auf zu existieren.
Seine Augen waren leblos, ohne seinen üblichen Glanz.
Sein Gesicht zeigte keine Gefühle, keine Gedanken, nichts.

Dann sah er uns.
Es war, als würden wir ihn daran erinnern, dass er noch lebte, dass er noch nicht tot war.
Sein Gesicht veränderte sich, verzog sich vor Wut, Trauer, Schmerz.
Tränen liefen über sein Gesicht und mein Herz brach in Tausend Stücke.

War ich mitschuld daran?

Unsere Blicke begegneten sich und ich versuchte all meine Gefühle und Gedanken darin zu legen.

Bitte, tu das nicht.
Bitte.
Wir helfen dir.
Wir bekommen das wieder hin.
Bitte.
Es tut mir leid.
Es tut mir so unendlich leid.
Bitte.
Du bedeutest mir alles.
Bitte!
Ach, fuck.

Ich liebe dich...

„Bitte, komm da weg und lass uns über alles reden, ja?", versuchte Chester ihn zu beruhigen, während er langsam auf Quinn zu ging.
Sie waren nur einige Meter von einander entfernt und mit jedem Schritt, den Ches sich Quinn näherte, wurde dieser deutlich nervöser.

Er schüttelt den Kopf und schluchzte laut auf.
Als wäre eine Mauer, ein Damm, in Quinn gebrochen und erst jetzt erinnerte er sich daran, wie man etwas fühlte.

„Verschwindet endlich!", kreischte er und ich hatte unglaublich Angst, dass er los ließ oder ausrutschte und fiel.
Verdammt, er konnte nicht schwimmen!
Ich musste endlich etwas tun!

„Bitte, mach keine Scheiße. Wir bekommen das alles wieder hin. Versprochen", sagte ich nun, so sanft ich konnte und versuchte meine Panik zu überspielen. Ich durfte nicht zu hecktisch werden und nach ihm greifen, auch, wenn es in meinen Fingern juckte.

Leider hatten meine Worte bei Quinn nicht den gewünschten Effekt, ganz im Gegenteil.
Ein Ruck ging durch seinen Körper und Tausend Gedanken schienen ihm durch den Kopf zu gehen.

„Lasst mich in Ruhe!", schluchzte er nur, bekam nicht mehr heraus.
Unendlich viele Tränen quollen aus seinen Augen, liefen über sein Gesicht und hörten einfach nicht auf.

„Quinn, du bist mein Bruder, daran hat sich nichts geändert! Bitte, bitte tu das nicht. Wir bekommen das alles wieder hin. Du bist nicht alleine, ich schwöre es, ich werde dich niemals wieder alleine lassen", versuchte es Chester weiter und trat noch einen Schritt auf Quinn zu.

Nur noch einige Meter, dann konnt er ihn zurück ziehen.
Wir mussten es einfach schaffen!
Etwas anderes würde ich nicht zulassen.

Als hätte dieser ihn nicht gehört, drehte Quinn sich auf der kleinen Plattform zu uns um, sodass er uns nun gegenüber stand.
So langsam und vorsichtig, wie nur irgend möglich, ging ich neben Ches und atmete tief durch.
Ich wusste, dass das hier auch meine Schuld war und ich musste endlich etwas tun!

„Es tut mir alles so unendlich leid. Ich... Ich hatte Angst, Quinn. Ich hatte Angst vor dir und den Gefühlen, die du in mir auslöst", gestand ich ihm, ignorierte die anderen zwei, blendete alles andere aus.
Blendete Chester aus, blendete Silas aus, blendete die ganze Welt um uns herum aus.

Da waren nur er und ich.
Nur wir.

Ich sah in seine Augen, versuchte ihn zu erreichen, doch er schien Meilenweit entfernt zu sein.

Verzweifelt versuchte ich zu ihm durchzudringen, zu berührend, zu überzeugen, doch es gelang mir einfach nicht.
Seine Augen sagten nicht das, was sie sonst sagten.

Waren sie sonst ein ruhiger See, so sah ich nun einen wild tobenden Ozean, geplagt von Gewitterwolken und Blitzen.

Ich schaffte es nicht ihn zu überzeugen...
Er glaubte mir nicht.
Er glaubte mir meine Gefühle nicht und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln.

„Hört endlich auf zu lügen!", schrie er wütend und ich zuckte, als ich sah, wie er sich nur mit Mühe noch an dem Geländer fest halten konnte.
Wenn er weiter so zitterte, würde er fallen!
Verdammt, was sollte ich nur tun?!

„Hört endlich auf so zu tun, als würde es euch ohne mich nicht besser gehen. Chester, du hättest ein viel besseres Leben. Ich bin ein Klotz an deinem Bein und-", schrie Quinn uns an, musste jedoch abbrechen, da er zu sehr weinte und keine Luft mehr bekam.

Mein Herz schrie bei seinen Worten.
Was zum Teufel sagte er da?!
Wir konnte er nur so einen Bullshit denken?

„Red nicht so einen Scheiß, du Idiot. Du macht mein Leben erst schön, man", versuchte es Chester weiter, ging einen weiteren Schritt auf Quinn zu.
Ich folgte ihm.

Drei.
Nur noch drei Schritte.

In Quinns Kopf schien es zu arbeiten. Seine Augen huschten umher, suchten nach Halt und ich versuchte ihm diesen zu geben.

Vorsichtig tapste ich weiter nach vorne.
Nur noch zwei Schritte trennten uns.

Ich sah Verweiflung und Trauer in seinen Augen.
Ich sah Hilflosigkeit.
Ich sah Wut.
Ich sah...

Mit einem mal schien er etwas zu beschließen.
Mein Herz rutschte mir vor Schreck in die Hose.
Ich ging noch einen Schritt nach vorne.

Einer.
Nur noch einer fehlte.
Ein kleiner Schritt!

Quinns Gefühle schienen sich aufzulösen.
Er schien sich aufzulösen.

Nein!

„Danke, für alles", war alles, was er noch sagte.

NEIN!

Und dann ließ er sich nach hinten fallen.

So schnell ich konnte tat ich den letzten Schritt nach vorne und streckte meine Hand nach ihm aus, versuchte ihn zu greifen und festzuhalten.
Doch da war nichts mehr, was ich hätte festhalten können.
Da war...

„Nein!".

Nichts...

Er war fort.

Fragile - Falling like the stars || boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt