| Chapter Two |

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„Ich hab aber wirklich gar keine Lust, Joy!", klagte ich Johanna mein Leid und packte sie am Arm, um sie weiter hinter mir herzuziehen. „Ach, stell dich nicht so an, Quinn. Außerdem sind wir auch noch da, das wird lustig!", brachte Joy den ultimativen Einwand und befreite sich dann von meinem Klammergriff, um mit ihren blauen Augen die Umgebung zu scannen.

Wenn sie doch nur den wahren Grund wüsste, warum ich nicht zu der Party wollte... Sie würde mir den Kopf abreißen...

„Ah, da sind sie ja", murmelte meine Freundin dann, als sie die anderen zwei am Mensatisch entdeckte. Da wir zwei noch vor dem Essen auf die Toilette mussten, waren Griffin und Isabelle schon mal vorgegangen, um uns einen Tisch freizuhalten. Nun winkte Isa uns zu und ihre langen, dunklen Haare flogen dabei wild umher.
Lächelnd näherte ich meinen Freunden, ließ mich auf den Stuhl neben Griff sinken und schlug ihm zur Begrüßung auf den Rücken.

„Na, alles klar?", sagte ich zu ihnen und schenkte Isa, die mir nun gegenüber saß, mein schönstes Lächeln. „Na, schau mal, wer mal wieder zu spät kommt. Schon das zweite Mal heute, Quinn", tadelte sie mich und ihre braunen Augen glitzern mit ihren weißen Zähnen um die Wette. „Quatsch, ich komme immer zum richtigen Zeitpunkt", erwiderte ich nur und nahm mir die Kartoffeln, um mir ein paar davon auf meinen Teller zu Schaufeln.

Ein bisschen blöd fühlte ich mich schon, hier bei meinen Freunden zu sitzen und zu wissen, dass ich für das Essen kaum etwas zahlte, während sie den vollen Preis abgeben mussten. Um mich von den aufkommenden, schlechten Gefühlen abzulenken goß ich etwas Soße über die Kartoffeln, nahm mir noch Gemüse und füllte meinen Mund mit dem guten Essen. Die einzige Mahlzeit am Tag und sie schmeckte immer hervorragend.

„Griff, wann treffen wir uns eigentlich fürs Englischreferat?", fragte Isa in einer Gesprächspause, während um uns herum die anderen Schüler unglaublich lauten Lärm veranstalteten, sodass man sich stark konzentrieren musste, um ihre helle Stimme verstehen zu können. Griffin strich sich kurz durch seine kurzen, blonden Haare und kaute schneller, um den Mund zu leeren, während sich seine braunen Augen auf Isabelle richteten. Sie wären ein schönes Paar, kam mir der Gedanke auf und schnell schüttelte ich den Kopf, um diesen gleich wieder zu verwerfen. Das würde unsere Vierer-Clique doch völlig zerstören...

Griff und Isa waren beide Achtzehn, Joy sogar Neunzehn Jahre alt und zwischen den ganzen Älteren fühlte ich mich mal wieder wie ein Kleinkind, doch versuchte ich das alles einfach weiter wegzugrinsen.

Während sich die zwei noch weiter über ihre Englischaufgaben unterhielten, wurde ich plötzlich von hinten angetippt: „Ey, Quinn. Wann hast du denn heute Zeit? Hab gehört du bläst einem hinter der Turnhalle einen?", fragte mich ein mir wildfremder Typ und ich hörte Gelächter vom Nachbartisch. Ich muss schlucken, als ich sie erkannte, und mein Herzschlag beschleunigte sich.
Arschlöcher.

„Klar, macht aber 100 Euro, und die Reinigung musst du auch zahlen, ich mags schmutzig", grinste ich den Typen an und drehte mich dann wieder zu meinem Essen um.
„Hör doch auf darauf einzugehen, Quinn", beschwerte sich Isa leise bei mir und sendet Todesblicke zu dem Arschlochtisch, an welchem diese sich laut amüsierten. „Quatsch, Isa, ist doch nur Spaß", grinste ich weiter und schob mir eine Kartoffel in den Mund, damit niemand mein schweres Schlucken sehen konnte. „Ich find es nicht mehr lustig, lass sie einfach reden und antworte nicht mehr", riet mir Griff nun, doch ich winkte einfach ab. Wir brauchten dringen ein anderes Thema.
„Habt ihr schon gehört, dass Anna mit Hannes Schluss gemacht hat?", berichtete ich meinen Freunden und sah amüsiert, wie Joy die Augen aufriss. „Nein!". „Doch!", bestätige ich und sofort war der Zwischenfall wieder vergessen.

———-

„Also, bis später", rief Joy uns zu, als sich unsere Wege trennten. „Bis später, Jo!", rief Ches ihr nach und grinste mich siegessicher an. Wieder schnaufte ich laut aus. „Nur, weil Joy mitgeht, heißte es noch lange nicht, dass du mich überredet hast".

Chester setzte seinen Welpenblick auf und sofort musste ich lachen. Dieses weiche Gesicht wollte einfach so gar nicht zu seinem wilden Charakter passen. „Och, komm schon, Quincy. Bitte!", bettelte er und zog die Vokale unnötig in die Länge. Genervt verdrehte ich wieder die Augen, doch wusste er, dass er gewonnen hatte.
„Na schön, aber, sobald ich gehen will, gehen wir, okay!". Freudig quietschend fiel mir mein bester Freund um den Hals und wuschelte mir durch meine Haare, sodass er ein völliges Chaos hinterließ, als er sich wieder von mir löste. „Du bist der Beste! Bis später!", rief er, während er die Straße entlang sprintete und hinter der nächsten Ecke verschwand.

Tief durchatmend setzte ich einfach weiter einen Schritt vor den anderen, einfach immer weiter laufen, einfach immer weiter atmen.
Ich wollte nicht nach Hause, doch meine Beine trugen mich völlig automatisch zu dem heruntergekommenen Mehrfamilienhaus. Kurz bleibe ich vor dem hässlichen Gebäude stehen.

Ich hasste es, jeden Ziegel, jeden Backstein, jedes Staubkorn davon.

Seufzend öffnete ich die alte Eingangstüre, überwand die Treppenstufen, in die zweite Etage, und betete, dass Karina und Ben nicht da waren. Meisten hatte ich Glück und die beiden trieben sich wo anders herum, doch leider kam es auch vor, dass sie zusammen in der Wohnung verwesten, wenn der Joint wieder zu stark gewesen war.

Ich hasste Ben, von ganzem Herzen.
Karina war seit zwei Jahren mit diesem Vollidioten zusammen und bemerkte nicht, wie sehr er sie ausnutzte. Gerne würde ich dieses Arschloch rausschmeißen, doch er war doppelt so groß und doppelt so breit, wie ich. Seine Tattoos, seine Glatze und seine bösen, braunen Augen schüchterten mich zusätzlich ein. Ich wusste wirklich nicht, was meine Mutter von dem Vierundvierzig-Jährigen wollte.

Mir kam in den Kopf, wie schön sie einmal war, mit ihren verspielten, grünen Augen und den langen, blonden Haaren, doch, dass war lange her. Jetzt war ihr Gesicht eingefallen, ihre Haare stumpf und splissig, vom vielen färben, und ihre Augen glänzten nur noch, wenn sie betrunken oder high war. Sie war Siebenunddreißig Jahre alt, doch sah sie nun aus, wie Fünfzig.

Innerlich leer steckte ich den Schlüssel in das alte Türschloss und öffnete es. Vorsichtig horchte ich in die Wohnung, doch es war nichts zu hören, zum Glück. Erleichtert betrat ich die Wohnung und stolperte prompt über ein Paar platte Bierdosen. Fluchend schnappte ich diese, schmiss sie vor Karinas Zimmer und begab mich in die Küche, um mir etwas Wasser zu holen. In den Kühlschrank musste ich nicht schauen, wusste ich doch ganz genau, dass dieser leer war.

Nur langsam floß das kühle Nass aus dem Wasserhahn in mein Glas und, nachdem es voll war, ließ ich mich erschöpft auf einen der maroden Stühle nieder. Um mich herum herrschte das reinste Chaos, doch war ich bereits daran gewöhnt.
Überall lagen Klamotten, Essensreste, leere Alkoholflaschen und benutzte Kippen. Da es nichts brachte, es aufzuräumen, ignorierte ich es einfach, wusch das Glas ab und machte mich auf den Weg in mein Zimmer.

Dort angekommen begrüßte mich gähnende Leere. Es war klein, doch mein.
Links stand mein Bett, welches verhältnismäßig groß war, daneben mein Schreibtisch und auf der anderen Seite stand mein kleiner Schrank, in dem nur ein paar Kleidungsstücke Platz fanden. Traf sich ja gut, dass ich nicht viele besaß.

Gedankenverloren öffnete ich diesen und fischte mir den roten Pulli und eine dunkle Jeans heraus. Dann ging ich ins Bad, duschte mich und zog mir meine Auswahl an Kleidung an.

Kurz schoß mir durch den Kopf, dass Karina mich gebeten hatte, heute ihre Schicht an der Tankstelle zu übernehmen, doch ignorierte ich den Gedanken. Nur, weil sie zu voll war, konnte sie nicht arbeiten und ich hatte vor ein paar Tagen beschloßen, ihr nicht mehr zu helfen.
Ja, sie war meine Mutter, aber endlich hatte ich eingesehen, dass ich ihr deshalb noch lange nichts schuldig war.
Ganz im Gegenteil...

Zitternd strich ich mir meine Locken aus den Augen und atmete tief durch. Du schaffst das schon, Quinn. So schlimm wird es nicht, nur wieder ein paar dumme Sprüche und das wars. Ist doch nichts Neues!

Wird schon.

Fragile - Falling like the stars || boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt