| Chapter Seventy-Six |

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„Ach was, das bildest du dir doch nur ein", wiedersprach ich ihr und schüttelte den Kopf, was sie aber natürlich nicht sehen konnte. „Doch, wirklich, Quinny. Sie hasst mich! Dabei wäre ich soo gerne ihre Freundin!", jammerte sie in den Hörer und am liebsten hätte ich meine Schwester in den Arm genommen. „Nana, sei einfach du selbst, dann kann sie dich ja nur mögen", gab ich ihr den Rat und bemerkte, dass ich sie irgendwie aufmuntern musste. „Oder... Nein, warte. Sei lieber weniger du selbst, dann klappt das wohl ehr", zog ich sie auf und hörte Sienna auf der anderen Seite des Anrufes kichern. „Du bist echt doof, Quinny", bemerkte sie und ich spürte, wie sich mein Herz zusammen zog, so gerne wäre ich jetzt bei ihr.

Joy hatte nicht ins Krankenhaus gewollte und, nachdem wir noch den ganzen Tag bei ihr verbracht und uns vergewissert hatten, dass es ihr gut ging, hatte sich jeder am Abend auf den Weg nach Hause gemacht.
Für mich hieß das also, dass ich mich im angrenzenden Park auf eine Bank gesetzt und meine kleine Schwester angerufen hatte.

Zwar wollte ich bei Joy bleiben, doch sie hatte uns alle weggeschickt und wollte Zeit mit ihrer Familie verbingen, was ich natürlich respektiert hatte.
Meine Schuldgefühle erdrückten mich und ich hatte keine Ahnung was ich tun oder wohin ich gehen sollte.

„Findest du, dass mir grün steht? Papa will mir ein Kleid kaufen, aber ich weiß nicht, ob es das richtige ist...", überlegte meine Schester laut und ich seufzte leise.
Mädchen...
„Natürlich würde dir das stehen! Seit wann bist du denn so selbstkritisch, Nana?", fragte ich etwas besorgt nach und hörte sie schnaufen. „Manchmal nervst du echt, Quintus".

„Autsch", antwortete ich, konnte mir ein Grinsen aber nicht verkneifen.
„Wann kommt du mich endlich wieder besuchen?", hörte ich sie nun fragen und mein Lächeln verschwand wieder von meinen Lippen.

„Bald, Nana. Bald. Wenn ich endlich meinen Abschluss hab, dann suche ich mir einen richtigen Job und eine Wohung und dann können wir endlich das Leben leben, das wir verdienen", sagte ich in den Hörer und spürte, wie sich die Glücksgefühle bei diesen Gedanken in meinem Bauch ausbreiteten und ihn wärmten.
Dadurch vergaß ich wenigstens für kurze Zeit die Kälte um mich herum und in meinem Kopf.

„Quinn... Wie? Was? Wie meinst du das?", hörte ich Sienna verwirrt fragen und meine Freude bekam einen kleinen Dämpfer.
Wie, wie sollte ich das meinen?!

„Na... So, wie ich es gesagt habe?", hackte ich nach und konnte das Zittern in meiner Stimme nicht ganz unterdrücken.
Meine Schwester seufzte und dann hörte ich Geräusche. „Ich muss auflegen, Papa kommt gerade Heim. Tschüss, Quinn", waren ihre Worte, bevor das Freizeichen ertönte und sie mich ziemlich sprachlos zurück ließ.

Was war das denn?
War sie überrascht? Wieso? Ich dachte, dass das alles ziemlich klar war? Oder...?

Fragen über Fragen häuften sich in meinem Kopf, doch ich ließ keine andere Begründung zu, als, dass sie einfach nur überrascht war.
Natürlich wollte sie mit mir zusammen ziehen.
Etwas anderes kam auch gar nicht in Frage.

Was sollte ich denn jetzt tun?
Mir war so verdammt kalt und ich wusste nicht wohin.
Ich wollte auf keinen Fall zu Chester, ich war einfach viel zu sauer auf ihn. Zwar hatte ich seine SMSn beantwortet, da er sich nicht unnötig Sorgen machen sollte, trotzdem wollte ich ihn jetzt nicht sehen.

Ratlos stand ich auf und steckte mein Handy wieder in meine Hosentasche. Dabei streiften meine Finger das kühle Metall.
Laut seufzend machte ich mich auf den Weg.

„Hi", sagte ich, steckte meine Hände unsicher in die Jackentaschen und sah in sein Gesicht.
„Hey", grüßte er zurück, fuhr sich mit seinen Händen durch seine Haare und brachte somit ein noch größeres Durcheinander hinein. „Wieso klingelst du?", fragte der Dunkelhaarige nun nach und verschränkte die Arme vor der Brust. Unsicher kramte ich den Schlüssel hervor und hielt ihm diesen vor die Nase. „Hier... Da sich unsere Deal erledigt hat...", murmelte ich und hoffte, dass sich der Boden auftat und ich einfach ins Nichts verschwand.

Ich schämte mich so sehr...
Zuerst sagte ich zu ihm, dass ich nichts mehr von ihm wollte und nun stand ich doch wieder vor seiner Türe...
Wie peinlich konnte man sein.

„Mach dich nicht lächerlich. Komm rein", sagte Marek jedoch, packte meinen Arm und zog mich nach drinnen. Dann schloß er hinter uns wieder ab und ging bereits die Treppen hinauf, während ich noch völlig perplex im Flur stand.
Ignorierte er jetzt einfach die ganze Sache?
Sollte ich das... Auch tun?
Scheiße, was tat ich hier eigentlich?! Ich hätte nicht mal herkommen sollen!

„Wo bleibst du denn?", hörte ich ihn rufen und mein Körper setzte sich wie selbstverständlich in Bewegung.
Ferngesteuert ging ich die Treppen nach oben und es ängstigte mich, wie sehr sich das alles wirklich nach Zuhause anfühlte.
Es war falsch. So verdammt falsch...

„Wie geht es Joy?", fragte Marek mich, während er sich auf sein Bett setzte und ich noch meine Jacke auszog. „Ganz okay. Sie hat nichts mitbekommen, aber es macht sie natürlich trotzdem fertig", antwortete ich ihm und setzte mich dann auf die Bettkante, unsicher, ob es das richtige war. „Ich kann nicht glauben, dass Chester das so verharmlost hat. Er hat sie trotzdem berührt, es ist trotzdem schlimm, egal wieviel passiert ist, es war zu viel", regte ich mich auf und spürte seine Hand, als er mich sanft nach hinten zog. Ich fiel seufzend in seine Arme und entspannte mich sofort.

Mein Rücken lag an seinem Bauch, seine Hände hatte er um mich gelegt und sein Kopf lag direkt hinter meinem.
Mein Herz schlug aufgeregt, aber irgendwie war ich trotzdem völlig entspannt und ruhig.
„Ich glaube, dass Ches die Situation einfach nicht ganz überblicken konnte. Sei ihm nicht böse, er hat das sicher nicht so gemeint", versuchte Marek mich zu beruhigen und irgendwie schaffte er es auch.

„Wie geht es deiner Mutter?", fragte ich ihn leise nach einer kurzen Stille und spürte, wie er sich etwas verkrampfte. Vorsichtig nahm ich eine seiner Hände in meine und fuhr beruhigend über seine weiche Haut. „Sie würde nie zugeben, dass es ihr nicht gut geht, weißt du...", murmelte er und ich fühlte, wie er sein Gesicht etwas in meine Haare drückte.

Das bereits bekannte Mitgefühl befiel mich mal wieder und umständlich drehte ich mich in seiner Umarmung um, damit ich nun meinerseits meine Arme um ihn legen konnte. Marek vergrub sein Gesicht an meiner Halsgrube und gegenseitig hielten wir uns fest.

Es war komisch und doch schön und ich wusste nicht, ob ich das hier gerade lieber verhindern oder einfach genießen sollte.
Noch nie hatte ich mich einem Menschen so nah, noch nie hatte ich mich so verstanden, so frei gefühlt, aber ich konnte mich trotzdem nicht fallen lassen.
Ein kleiner Teil in meinem Gehirn hielt mich auf und so verdrängte ich einfach weiterhin meine Gefühle, anstatt sie zu akzeptieren.

„Frohes neues Jahr, Quinn".
Neues Jahr, neues Glück?
„Frohes neues Jahr, Marek".

Wir wollten beide nicht reden.
Sein Geruch war in meiner Nase und während mir die Augen zu fielen spürte ich seine Hände, die mich fest, die mich sicher, die mich zusammen hielten.

Fragile - Falling like the stars || boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt