22. Blauer Pulli

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Felix Perspektive:

Die Show war zwar nicht scheiße gelaufen, aber meine Laune war im Arsch. Dass Kaya abgehauen war, anstatt mit mir darüber zu reden störte mich mehr als ich es zugeben wollte. Natürlich war es nicht optimal gewesen, dass Julian uns fast erwischt hatte, aber wieso hatte sie gleich so durchdrehen müssen? Was sie mir an den Kopf geworfen hatte, war hart gewesen. Allgemein war sie plötzlich so verändert drauf gewesen und hatte gar nicht mehr darüber reden wollen. Hätte ich nicht auf die Bühne gemusst, wäre ich ihr natürlich hinterher gelaufen, doch ich konnte die paar tausend Menschen ja nicht warten lassen.
Enorm froh war ich deshalb, als ich im Backstage wieder ankam. Fotos mit den Fans hatte ich gemacht und somit war mein Job für heute erledigt.
„Hast du Julian gesehen?" fragte ich Nadja, welche gerade den Raum betrat und sich fertig vom Tag neben mich fallen ließ.
„Das letzte mal kurz vor Ende der Show. Er wollt eine rauchen" sagte sie schulterzuckend und fing an, an ihrem Handy zu spielen.
„Hm" machte ich nur.
Irgendwie war das komisch. Eigentlich stand Julian immer hinter der Bühne, doch ich hatte ihn seit der Pause nicht mehr gesehen.
Becci kam kurz darauf ins Backstage und setzte sich zu uns. Dass sie nicht weiter mit auf Tour gehen würde, hatte sie mir heute Mittag schon gesagt. Zusammen warteten wir mit Kawus auf das Catering. Immer mal wieder schaute ich auf mein Handy, ob mir Julian geschrieben hatte, doch es gab keine Nachricht von ihm. Auch von Kaya hatte ich nichts gehört.

Seit einer halben Stunde lag ich nun im Hotel in Stuttgart und starrte an die Decke. Julian und ich hatten in Erfurt noch kurz telefoniert und abgemacht, dass ich mit den anderen vor fahren würde. Er und Kaya wollten dann zusammen nachkommen. Was genau los war hatte ich nicht gefragt. Er hatte nur gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen sollte. Lustig. Wie sollte ich mir keine Sorgen machen, wenn ich vielleicht die Frau verloren hatte, welche mir angefangen hatte etwas zu bedeuten. Ich wollte am liebsten alles mit ihr klären, wollte mich erklären, doch ich hatte sie nicht mehr gesehen.
Ob die beiden überhaupt schon unterwegs, geschweige denn im Hotel waren wusste ich nicht. Dass Kaya sich nicht bei mir melden würde war klar, aber von Julian hätte ich etwas anderes erwartet.
Ich wollte das doch einfach nur mit Kaya klären. An sich hatte ich kein Problem, wenn ich mit Menschen Meinungsverschiedenheiten hatte oder es Stress gab, aber bei Kaya störte es mich. Ich konnte nicht schlafen, da ich nicht die Ruhe fand. Immer wieder spielte ich mit in Gedanken die Situation von vorhin ab.
Sie hatte es völlig falsch verstanden, was ich gesagt hatte. Im Nachhinein hätte ich mich Ohrfeigen können, doch in dem Moment war es mir nicht bewusst gewesen.
Plötzlich piepte mein Handy.
>Können wir reden?< stand dort und dazu ihr Name.
Mein Herz machte einen Sprung. Es schien sie genauso zu belasten wie mich. Sie wollte es vermutlich klären.
>Ja klar. Soll ick rüber komm?< antwortete ich ihr noch in der selben Minute.
Ich würde ihr erklären wollen, wie ich das heute gemeint hatte.
Ich schaute auf die Uhr. Es war bereits halb zwei. Dass ich so lange wach gelegen hatte, hatte ich nicht mitbekommen.
Anstatt einer Antwort von ihr, ertönte ein klopfen an meiner Tür. Sie schien sich anscheint auf den Weg zu mir gemacht zu haben. Eilig stand ich auf und öffnete die Tür. In Jogginghose und T-shirt stand Kaya vor mir. Über ihrem Arm lag mein blauer Pulli, welchen ich ihr geliehen hatte. Das war kein gutes Zeichen. Die Alarmglocken schrillten bei mir. Irgendwie war sie Situation komisch. Ein Unwohl sein machte sich in mir breit.
„He, komm rein" bot ich ihr trotzdem an und trat beiseite.
Ebenfalls unsicher lief sie in mein Zimmer und setzte sich auf einen der Stühle, welche an einem kleinen Tisch standen. Kurz stand ich lost im Raum herum, bis ich mich ihr gegenüber setzte.
„Ich bin eigentlich nur hier, um das einmal abschließend zu klären" fing sie mit neutraler Stimme an und wirkte dabei im Vergleich zu vorhin sehr gefasst.
„Ich bin weder für One Night Stands zu haben, noch bin ich dafür da, dass du dich mal soeben mit mir vergnügen kannst, wenn du mal Lust hast. Den scheiß mach ich nicht mit" sagte sie und ich musste schlucken.
So dachte sie von mir? Mein Herz rutschte mir in den Bauch.
„Zwar dachte ich, dass es was anderes zwischen uns wäre, aber da hab ich wohl falsch gedacht" sagte sie und lachte hässlich bitter einmal kurz auf, bevor sie weitersprach.
„Ich habe zwar mit Julian geredet und er meinte du wärst kein Player oder so, aber anscheint hat er ein ebenso falsches Bild von dir, wie ich es hatte" sagte sie und rammte mir damit ein Messer ins Herz.
„Was du macht und mit wem kann mir eigentlich egal sein, weil wir nie darüber gesprochen hatten, was das zwischen uns ist. Jetzt weiß ich ja, dass es wohl nichts ernsteres war...".
An dieser Stelle musste ich sie unterbrechen. Das Gespräch nahm eine ganz falsche Richtung an. Ich hatte mich bei ihr entschuldigen wollen und es ihr erklären. Stattdessen hörte es sich bei ihr so an, als würde sie mit dem allen abgeschlossen haben.
„Kaya... ick... du... du hast das vorhin alles ganz falsch verstanden" probierte ich stotternd mich zu erklären.
„Felix du musst dich nicht rechtfertigen. Es ist okay. Was soll ich da denn falsch verstanden haben?" fragte sie mich und blickte mich zum ersten Mal heute Abend an.
Ich konnte erkennen, dass sie geweint hatte. Ihre sonst so warmen Augen schienen leerer und waren blutunterlaufen. Sie sah bleib aus.
„Ich hab die Autofahrt über nachgedacht. Ich würde Julian so gerne glauben, aber es macht kein Sinn. Das mit uns ging zu schnell. Nie haben wir darüber geredet, was das ist oder ob einer von uns Interesse an dem anderen hat. Ob du gleichzeitig mit Anderen was hattest weiß ich nicht und will ich auch gar nicht wissen" sagte sie und den Schmerz hörte ich in ihrer Stimme.
„Kaya warte. Du hast das alles ganz falsch aufgenommen" versuchte ich, doch sie unterbrach mich wieder.
„Du hast gesagt, dass Julian sowas öfter sehen würde und noch nie jemandem davon erzählt hätte" rief sie mir ins Gedächtnis.
„Aber das hab ick doch gar nich so jemeint" sagte ich übereilt.
„Ich wollte damit nicht sagen, dass ich mit vielen Frauen rummachen würde und du mir nichts bedeutest. Das is nämlich nicht so. Kaya du bedeutest mir für diese kurze Zeit viel zu viel".
Ich atmete tief durch. Ich musste jetzt mit offenen Karten spielen, wenn ich ihr Vertrauen wiedergewinnen wollte. Alles ging gerade den Bach runter.
„Ich habe das vorhin doof ausgedrückt, aber ick hatte sagen wollen, das Julian meen Privatleben respektiert und noch nie etwas dazu gesagt hat, wenn ich Interesse an einer Frau hatte oder so, was aber nich oft vorkam. Wir reden nich besonders viel über sowas, aber er würde davon nie etwas weitersagen, wenn er wat mitbekommt. Er is meen Bruder" erklärte ich ihr und hoffte, dass sie verstehen würde, was ich ihr probierte zu erklären.
„Ich bin nicht gut darin über... über Gefühle oder so Zeug zu sprechen" erklärte ich und atmete einmal tief durch.
Kaya schwieg und betrachtet mich ausdruckslos, was fast noch schlimmer war, als wenn sie mich anschreien würde.
„Kaya es tut mir leid, dass das missverständlich rüber kam, aber so war es nicht jemeint. Du bedeutest mir viel und du bist für mich nicht nur eine Ablenkung von irgendwas. Dass ich dich traurig gemacht habe, hab ich wirklich schlecht ertragen können, aber ich bin keener, der mal eben mit Frauen rummacht ohne dass es was bedeutet. Das musst du mir wirklich glauben" bat ich sie und ich hörte, wie sie ebenfalls tief durchatmete.
„Wie kann ich dir das glauben Felix?" flüsterte sie und wirkte dabei verzweifelt.
Panisch fing ich an zu überlegen.
„Frag Julian, frag Kawus, frag Nadja oder Becci. Die können alle bestätigen, dass ich seit Mandy an niemanden mehr ernsthaft interessiert war. Du bist die Erste, welche wieder Gefühle in mir hervorruft, von denen ich dachte, sie nicht noch einmal spüren zu können" meine Stimme fing an zu Zittern und ich räusperte mich schnell, um es zu verbergen.
„Fuck Kaya ich hab mich in dic-".
Sie unterbrach mich.
„Bitte sag es nicht. Ich muss erstmal über alles nachdenken. Ich brauche Zeit" bat sie mich und ich nickte.
Ich hatte ihr gerade wirklich sagen wollen, dass ich mich in sie verliebt hatte. Fuck. Diese Frau bedeutete mir so viel. Zu viel eigentlich.
„Aber so geht das nämlich nicht weiter" flüsterte sie und es hörte sich fast so an, als würde sie es selber bedauern.
„Kann ich denn irgendwas tun, damit du dich besser fühlst?" fragte ich sie sanft.
Ich würde für sie alles tun. Von mir aus konnte sie mit Fränki reden oder sonst wem. Ich würde ihr alle Fragen beantworten, welche sie mir stellen würde. Sie leiden zu sehen tat so stark weh, wie ich niemals für möglich gehalten hatte. Wie hatte ich sie nur so verletzten können? Ich spürte die Wut auf mich selber.
„Ich weiß nicht. Glaube gerade nicht" sagte sie leise.
Einen Moment schwiegen wir beide und das Gespräch schien beendet, doch sie machte keine Anstalten aufzustehen oder so.
„Darf ich dich was fragen und du antwortest ehrlich?" fragte sie mich leise und ihr Blick lag ruhig auf mir.
„Klar. Ick bin immer ehrlich" sagte ich und probierte sie anzulächeln, doch mein Lächeln erreichte nicht meine Augen.
Zu sehr nahm mich die Situation gerade mit. Ich hatte er verkackt und dafür hasste ich mich selber, weil ich mir die Chance auf eine Zukunft mit einer besonderen Frau wahrscheinlich selber genommen hatte.
„Mit wie vielen Frauen hattest du was, seit dem das mit Mandy vorbei ist?" hörte ich sie fragen und kurz spürte ich ein Stich bei dem Namen von Mandy.
„Mit zwei Frauen. Beides muss aber schon über ein Jahr her sein. Die eine war nur für eine Nacht um mich abzulenken von Mandy. Ick weiß selber, dass das dreckig ist, aber so is es nunmal. Mit der zweiten hatte ich zwei drei Mal etwas, aber da passte einfach vorne und hinten nix. Der Sex war einfach nur okay. Wir waren jedes Mal betrunken, weil wir feiern gewesen waren" gestand ich ihr ehrlich.
Sie nickte kurz verstehend.
Schweigen kehrte in den Raum, bis sie es durchbrach.
„Vielleicht ist es besser, wenn wir etwas Abstand haben die nächsten Wochen, solange wir noch auf Tour sind. Das zwischen uns darf nicht sein" sagte sie mit zitternder Stimme.
Ich versuchte die Fassung zu wahren, auch wenn ich mich beschissen fühlte.
„Ick weiß nicht, ob das die beste Idee ist, wir können das auch anders lösen" probierte ich es, doch verstummte schnell.
„Felix wir sollten das lieber hier beenden bevor es zu spät ist. Du bist mein Chef und ohne gemein sein zu wollen, bist du auch einfach etwas zu alt für mich" sprach sie ihre Bedenken aus.
Ich vermutete, dass sie das Alter nur als Ausrede vorschob, aber es war egal. Ich konnte nichts tun.
„Außerdem dürfte es niemandem mitbekommen und wie schwer das ist, ist uns beiden bewusst. Es soll einfach nicht" sprach sie leise weiter.
Das Gespräch lief in die komplett falsche Richtung. Das durfte nicht sein.
„Wir riskieren zu viel. Wir sind einfach nicht für einander geschaffen. Ich kann das nicht" sagte sie und stand langsam auf.
Den blauen Pulli, welchen ich ihr geliehen hatte, drückte sie mir auf den Schoß, bevor sie sich in Richtung der Tür machte. Ein letztes Mal drehte sie sich um und lächelte mich traurig an, bevor sie mein Zimmer verließ und mich gebrochen zurück ließ.

Kayas Perspektive:

Ich war stolz und gleichzeitig verletzte. Ich hatte beschlossen das mit Felix erwachsen zu klären, doch der Schmerz wurde dadurch nicht weniger schlimm. Weinend schmiss ich mich auf mein Bett. Wieso musste genau mir das passieren. Zum ersten Mal fand ich einen Mann, welchen ich gerne hatte und dann passten die äußeren Umstände und alles andere nicht. Dass ich doch noch heute zu ihm gegangen war, um alles zu klären ließ mich einen Moment stark fühlen. Ich war eigenständig und unabhängig. Zumindest fühlte ich mich gerade so, auch wenn ich spürte, wie ein Gefühl der Leere sich in mir breit machte. Kein Stechen oder Drücken. Eher ein allgemeines unwohl sein. Dass es objektiv die Richtige Sache gewesen war das zu beenden wusste ich, doch war es das auch wirklich? Allein der Gedanke, nicht mehr mit ihm rumzuhängen und rumzualbern schmerzte und irgendwas in mir hoffe, dass Felix an der Tür klopfen würde um mir zu sagen, dass das alles Blödsinn sei und wir für einander bestimmt waren. Doch ich wartete vergebens auf das Klopfen.

Fokus (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt