37. Jacob

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Hey, vorweg einmal kurz, in diesem Kapitel geht es um Trauer und Tod. Wenn ihr euch damit nicht gut fühlt, dann lest dieses Kapitel nicht. Ich schreibe zu Beginn des nächsten Kapitels eine kurze Zusammenfassung.
An die, die das Kapitel lesen, ich hoffe es gefällt euch und ihr könnt die Emotionen nachfühlen.

Kayas Perspektive:
Dienstag nach dem Club

Am Freitag hatte ich Felix das letzte Mal gesehen. Wir waren zusammen Taxi gefahren und er hatte mich nachhause gebracht. Flüchtig hatten wir uns im Taxi verabschiedet, weil der Fahrer schon argwöhnisch geguckt hatte und eigentlich waren wir für den Sonntag verabredet gewesen. Wir hatten abgemacht nochmal zu schreiben, doch daraus war nichts geworden. Ich hatte keine seiner Nachrichten mehr beantwortet seit über drei Tagen.

Niedergeschlagen saß ich in meinem Bett und die Tränen liefen wir über die Wangen. Heute war es wieder soweit. Es war wie jedes Jahr an diesem Tag. Ich hatte kein Kraft für irgendwas und vor mir im Bett lagen die Fotos, auf welche ich starrte. Schon Samstag hatte es mich überrollt und meine Kraft hatte mich verlassen. Weinend betrachtete ich die Fotos vor mir. Ich sah so glücklich aus auf ihnen. Unbeschwert und ohne Sorgen.
Gut erinnerte ich mich an die verschiedenen Abende, an welchen die Fotos gemacht worden waren. Der Geburtstag von einem guten Kumpel, wo wir Nachts in ein Freibad am Stadtrand eingebrochen waren. Das blaue Licht des Beckens zog die gesamte Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich. Die Personen waren nur verschwommen zu sehen. Ich wusste aber, dass wir zusammen auf dem Fünfer gestanden hatten, während eine Freundin das Foto vom Beckenrand gemacht hatte. Bis auf die Lichter im Schwimmbecken war es dunkel, was einen automatisch dazu brachte das blau zu betrachten, doch es brannte sich in meine Augen.
Bilder von Krankenwägen tauchten vor meinem inneren Auge auf. Das Blaulicht, die Absperrungen mit Flatterband und die Polizisten, welche an der Unfallstelle gestanden hatten. In den Nachrichten waren die Bilder damals rumgegangen und schmerzlich erinnerte ich mich noch daran, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Der Schmerz war fast unerträglich gewesen. Zu wissen, dass bei dem Unfall, welcher überall in den Nachrichten thematisiert wurde, mein bester Freund verstorben war, hatte mich krank gemacht. Für alle anderen Menschen war es nur ein normaler Unfall. Bemitleidenswert, aber schlussendlich doch egal. Keiner hatte so lange die Bilder angestarrt wie ich. Mit jeder Sekunde war der Scherz, wie ein Messer tiefer in mich eingerungen. In den U-bahnen waren Bilder zu sehen gewesen, auf welchen das schreckliche blau zu sehen war. Ich zuckte heftig, als ich daran dachte.
Schnell drehte ich das eigentlich schöne Bild aus dem Schwimmbad um. Das blau konnte ich gerade nicht ertragen. Es erinnerte mich zu sehr an den Tag vor sechs Jahren. So lange war Jacob nun schon weg. Von heute auf morgen. Es hatte sich alles verändert. Ich hasste den 23.11.
Mein Blickfeld war verschwommen durch die Tränen, doch ich griff zielstrebig nach einem Foto, welches uns zusammen zeigte, als wir ungefähr zehn Jahre alt gewesen waren. Es war Karneval gewesen und wir hatten uns beide als Vampire verkleidet. Seit unserer Kindheit hatten wir uns immer zusammen verkleidet. Ein Jahr hatten wir uns als Hanni und Nanni verkleidet, was ich damals entschieden hatte. Ein anderes Jahr waren wir als Tim und Struppi gegangen, seine Idee. Das Vampirkostüm war damals meine Idee gewesen. Frech grinsten wir auf dem Foto in die Kamera. Auch hier waren wir so glücklich gewesen, in dem Moment hätte ich niemals daran gedacht, dass es irgendwann mal nicht mehr zwischen uns so sein könnte. Dass er plötzlich weg sein könnte und wir uns nicht mehr zusammen verkleiden konnten. Ein anderes Bild zeigte uns beim Feiern. Es muss gut einen Monat vor seinem Tod entstanden sein. Wir standen gegenüber voneinander, grinsten uns an und prosteten uns mit den Bieren zu. An seinem Finger schimmerte der silberne Ring, welchen er so geliebt hatte.
Meine Hand ballte ich zu einer Faust, fest um seinen ehemaligen Lieblingsring, welchen ich seit dem immer bei mir hatte. Eigentlich hasste ich es diesen Ring zu tragen. Ich wünschte mir so oft, dass er ihn einfach selber tragen würde und ich ihn wieder an seinen Händen sehen könnte. Er gehörte zu Jacob. Das sah man sofort. Er passte perfekt zu ihm, wie auch das Foto zeigte. Genau so lustig und liebevoll hatte ich ihn in Erinnerung. Daran erinnerte mich auch der Ring.
Seine Mutter hatte ihn mir auf seiner Beerdigung geschenkt und gesagt, dass er gewollt hätte, dass ich ihn bekam. Seit dem trug ich ihn. Ich betrachtete den silbernen Ring an meiner Hand. Ich wollte ihn nicht tragen, er sollte ihn tragen können. Ich wollte einfach nur wieder den Scherz spüren, wenn wir bei unserem Handschlag zu dolle eingeschlagen hatten und der Ring gegen meine Knöchel gehauen war. Ich wollte ihn wieder auslachen, wenn er im Sommer den Ring abnahm und nur an dieser Stelle noch weiß war. So viel würde ich dafür tun, dass er seinen Ring selber tragen könnte, doch das würde niemals wieder passieren. Nun war ich die, die im Sommer müde lächelte, wenn die Stelle unter dem Ring hell blieb, während der Rest von mir von der Sonne gebräunt wurde. Ich hasste es den Ring zu tragen. Gleichzeitig liebte ich den Ring jedoch auch. Er erinnerte mich an so viel Schönes und wie wertvoll das Leben doch war.
Als ich das nächste Foto in die Hand nahm, hörte ich die Klingel im Flur, doch regte mich nicht. Finn hatte Urlaub und war schon letzten Donnerstag für zwei Wochen zu einem Kumpel nach Frankreich gefahren. Er wusste wie es mir die Tage vor Jacobs Todestag immer ging und dass ich diese Zeit am liebsten alleine verbrachte. Dass er ungerne wegfuhr wenn es mir so ging, wusste ich. Ich hatte es auf seinem Gesicht genau gesehen, doch es war besser so. Niemand sollte mich so sehen. Zum Glück war auch Samuel weg. Er war irgendwo mit der Arbeit unterwegs und Samstag morgen losgefahren. Ich war somit alleine hier in der Wohnung. Es fühlte sich besser an, weil ich das Gefühl hatte meine Emotionen rauslassen zu können, ohne mich erklären zu müssen. Ohne darauf zu achten, was die anderen beiden dachten und ohne jemanden zu stören. Ich konnte hier sitzen und für mich alleine leiden ohne dass es mir unangenehm sein musste. Wer gab schon gerne Schmerzen vor anderen zu?
Dass Felix schon mehrfach versucht hatte mich zu erreichen hatte ich immer ignoriert. Ich wollte ihn nicht sehen, ich wollte niemanden sehen. Viel zu sehr war ich in meiner Traurigkeit und auch dem Selbstmitleid gefangen. Gestern hatte es richtig schlimm angefangen. Samstag hatte ich etwas verkatert nur hier verbracht. Am Abend hatte dann die Trauer eingesetzt. Früher als die letzten Jahre, doch seit gestern Mittag war es wieder so schlimm wie damals. Ich hatte keine Kraft gehabt Felix zu antworten, als er mir Sonntag geschrieben hatte und mich versucht hatte anzurufen.
Ich hatte mich lediglich von der Musik aus den Boxen bedröhnen lassen. Felix hatte mich Sonntag Abend noch einmal versucht zu erreichen und gestern zwei weitere Male. Ich hatte nicht reagiert und als ich heute morgen aus meinem schlechten Schlaf erwacht war, hatte ich drei neue Nachrichten von ihm vorgefunden.
>Ist bei dir soweit alles okay?< 23:47
>Hab ich etwas falsch gemacht?< 00:34
>Kaya ich mach mir irgendwie sorgen. Ich hab seit Freitag Abend nichts mehr von dir gehört. Was ist los?< 03:09
Ich hatte mich schlecht gefühlt, aber als ich eine Antwort tippen wollte, war mein Kopf leer gewesen und meine Finger taub. Mein Handy hatte ich dann runtergefahren. Ich lag seit dem nur weinend auf meinem Bett. Mir fehlte die Kraft. Dass ich es dieses Jahr zum Friedhof schaffte, bezweifelte ich und dafür hasste ich mich schon wieder. Was war ich für eine beste Freundin? Seit drei Jahren war ich nicht mehr dort gewesen. Die ersten Jahre war ich mit Jacobs Familie gegangen, doch mit der Zeit hätte ich den Kontakt zu ihm verloren. Selten schrieb ich noch mit seiner Schwester. Uns verband nichts mehr, außer dem Schmerz Jacob verloren zu haben.
Wieder klingelte es an der Tür, doch ich rührte mich nicht.
Ein Gefühl sagte mir, dass es Felix war, der klingelte und ich streckte mich, um nach meinem Handy zu greifen. Ich schaltete es wieder an und es dauerte keine zehn Sekunden, bis mein Handy klingelte. Felix Profilbild erschien auf dem Display. Ich wollte ich wegdrücken, doch durch die Tränen sah ich nicht klar und drückte genau den falschen Knopf.
„Kaya?" hörte ich ihn sanft fragen.
Ich erkannte die Sorge, welche er in der Stimme hatte. Vermutlich wollte er wissen war los war, schließlich hatte ich mich seit Freitag nicht mehr bei ihm gemeldet. Wir waren verabredet gewesen, erinnerte ich mich, aber ich hatte es nicht geschafft aufzustehen oder mit dem weinen aufzuhören.
Ich schniefte einmal und wischte mir mit dem Hoodie die Tränen aus den Augen.
„Kaya, machst du mir auf?" fragte er ruhig, nachdem er mein schniefen gehört haben musste.
„Ich kann nicht" brachte ich gerade so hervor und der Schmerz traf mich vollkommen, als ich sprach.
„Wieso kannst du nicht?" fragte er leise und ich hörte das Rauschen der Autos bei ihm im Hintergrund.
In meiner Brust zog es sich zusammen und meine Atmung wurde schneller. Panisch fing ich an nach Luft zu schnappen. Ich fühlte mich eingeengt und der Schmerz traf mich direkt in der Brust. Ich hatte das Gefühl keine Luft zu bekommen und versuchte dem durch schnelles Atmen entgegen zu wirken. Ich konnte einfach nicht.
„Kaya ich bin da. Bitte versuch langsam zu atmen" hörte ich Felix Stimme aus meinem Handy.
In der Not hatte ich ihn fast vergessen. Ich schaffte es jedoch auch nicht ihn jetzt wegzudrücken. Ich hielt einfach nur zitternd das Handy in meiner Hand. Doch ich konnte nicht atmen. Ich konnte einfach nicht.
„Kaya langsam ein und aus atmen. Ich bin im Treppenhaus bei dir. Schaffst du es die Tür aufzumachen?" fragte er, doch ich konnte gar nicht richtig über das nachdenken was er sagte, viel zu sehr war ich damit beschäftigt Luft bekommen zu wollen.
„Kaya ich bin hier. Versuch ganz langsam zu atmen. Ich bin mir sicher du schaffst das" sagte er und seine Stimme hörte sich so sanft und liebevoll an.
„Wieso?" brachte ich nur krächzend hervor.
„Ich will für dich da sein. Ich will dir helfen" sprach er sanft und zerriss mir damit noch mehr mein Herz.
Ich schniefte laut und versuchte noch immer genügend Sauerstoff zu bekommen.
„Bist du in deinem Zimmer?" fragte er dann und mit einem komischen Geräusch stimmte ich ihm zu.
„Du bist auf deinem Bett richtig?" wollte er dann wissen und wieder stimmte ich ihm zu, während ich mich taub durch den Schmerz fühlte.
Meine Lunge brannte schon und wieder atmete ich viel zu hektisch ein.
„Langsam Kaya, langsam" erinnerte er mich liebevoll.
„Wir schaffen das zusammen. Versuch bitte langsam aufzustehen" bat er mich und ohne dass ich wusste was ich tat, bewegte sich mein Körper und ich stand auf.
„Wenn du mir die Haustür öffnest, kann ich dir helfen" sprach er leise und ich lief langsam in den Flur auf unsere Haustür zu.
„Stehst du an der Tür?" fragte er dann und ich versuchte >ja< zu sagen, doch meine Stimme versagte.
Trotzdem schien er es verstanden zu haben. Leise hörte ich es an die Haustür klopfen.
„Hörst du mich?" fragte er und ich schaffte es leise „ja" zu flüstern.
„Leg deine Hand auf die Klinke und drück sie langsam runter" wies er mich sanft an, doch plötzlich kam die Panik wieder hoch.
„Ich kann nicht" schluchzte ich und ließ mich neben der Tür an der Wand auf den Boden gleiten.
„Ick bin mir sicher, dass du das kannst" sprach er, doch ich schluchzte schon wieder und ächzte nach Luft.
Einen Moment wurde es ruhig.
„Ich bekomme keine Luft" flüsterte ich kratzig.
„Liegt hier irgendwo ein Ersatzschlüssel?" fragte er dann und plötzlich fiel mir ein, dass wir wirklich unter dem einen Blumentopf im Treppenhaus einen Schlüssel für unsere Wohnung versteckt hatten.
„Ja" krächste ich aus trockenem Hals, es tat so weh.
„Okay. Ich bin gleich bei dir" sagte er und ich hörte, wie er einige Dinge hochhob und zu suchen schien.
„Blume" schaffte ich es noch ihm den Tipp zu geben, bevor ich wieder laut nach Luft schnappte.
Es dauerte keine Minute, bis ich hörte, wie der Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde und er ihn drehte.
Langsam öffnete sich unser Wohnungstür und Felix trat herein. Sobald er die Tür zugemacht hatte, kniete er sich zu mir.
„Darf ich dich in den Arm nehm?" fragte er und seine Stimme war gerade mal ein flüstern, was durch meine hektische Atmung und mein schniefen fast übertönt wurde.
Trotzdem hatte ich ihn verstanden und nickte knapp, bevor ich seine Berührung spürte. Er zog mich von der harten Wand weg und nahm mich zwischen seinen Beinen in den Arm.
„Ich bin da. Versuch bitte ruhig zu atmen"
Ich schniefte und drückte mein Gesicht an seine Brust. Beschützend legte er seine Hand auf meinen Hinterkopf und strich mir mit der anderen über den Rücken.
„Ganz langsam atmen" erinnerte er mich immer wieder und half mir somit wieder zu Luft zu kommen.
Er atmete extra laut und langsam, so dass ich mich dem anpassen konnte.

Fokus (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt