Lena
Lena drehte sich vor dem Spiegel um die eigene Achse, lachte, als sie sah wie der Rock des Kleides um ihre Beine flog und einen Blick auf den knappen Slip freigab.
Da musst du auf der Party aufpassen! ermahnte sie sich.Ihre langen blonden Haare fielen bis weit auf den Rücken und verdeckten den ziemlich gewagten Ausschnitt etwas.
Sie zog die halbhohen Sandalen an, in denen sie sich wohlfühlte und gut bewegen konnte. Highheels lehnte sie ab.
Nur weil einige Typen darauf standen, würde sie sich sicher nicht die Köchel brechen!
Sie würde auch keine Tangas oder Strapse tragen wegen der Fantasien von Jungs!Sie würde sich nicht anmalen wie eine Puppe, weil die ganze Farbe sowieso verlaufen würde, wenn sie tanzte!
Wem ihr Gesicht nicht gefiel, wie es war, sollte eben woanders hinsehen.Gerade hatte sie noch mit Olivia telefoniert, einer Kommilitonin.
Die hatte ihren Bruder überreden können, mit auf die Party zu kommen.
Mein Gott!
Das würde eine Träne sein!
Musste sein Schwesterchen begleiten, hatte wohl keinen eigenen Freundeskreis!Sie wusste jetzt nicht wirklich, warum die andere sie angerufen hatte. So eng waren sie eigentlich gar nicht! Und warum war die so ausgeflippt vor Freude, als sie gehört hatte, dass Lena kommen würde - und auch noch alleine?
Lena hatte beschlossen, mit dem Auto zu fahren.
Sie hatte einen geheimen Stellplatz in der Tiefgarage entdeckt, auf den ihr Mini gerade passte, und der immer frei war.So auch an diesem Abend.
Berstend vor Lust am Leben machte sie sich auf den Weg zu den Mensen.
Kaum hatte sie den ersten Raum betreten, war sie auch schon umringt von Bewunderern.
Na also!
Wer braucht schon Tobias!
Sie befreite sich aus dem Pulk, wollte sich erst einmal einen Überblick verschaffen.Alex
Alex hatte beschlossen, mit dem Bus zu fahren.
Ein Einfall seines Unterbewusstseins?
Er hatte Olivia abgeholt, aber sein Auto wieder nach Hause gebracht.
Parkplätze waren Mangelware an der Uni, und er wollte die teure Karre nicht irgendwo abstellen.„Nach Hause spendiere ich dir ein Taxi!" versprach er seiner kleinen Schwester.
Die war mit allem einverstanden - Hauptsache war, er kam mit!
Noch dazu, seit sie erfahren hatte, dass Lena wieder solo war und auch da sein würde.
Na, wenn die ihn nicht rumkriegte!
Aber wenn er nun nicht ihr Typ war?Olivia konnte sich das zwar nicht vorstellen, aber wer wusste das schon!
Für sie war er der bestaussehende Mann der Welt!
Und heute hatte er sich auch total chic gemacht, also - jugendlich chic!
Enge, verwaschene Jeans, ein knallenges stahlblaues edles Shirt, ein Pulli lässig um die breiten Schultern gelegt.
Er hatte sich auch nicht rasiert, der leichte Bartschatten machte ihn höchstattraktiv!
Sie hatte gepfiffen, als sie ihn so gesehen hatte. „Gut, dass du auf deine kleine Schwester gehört hast!" meinte sie nur.
Er verwuschelte ihr die dunklen Haare, die seinen so sehr glichen, das Erbe ihres Vaters. Livy hatte auch dessen dunkle Augen abbekommen, während er selbst die grünen seiner Mutter geerbt hatte.Als sie die Räume betraten, in denen das Jungvolk feierte, traf ihn der Lärmpegel mit voller Wucht.
Lautes Lachen, brüllende Unterhaltungen, dröhnende Bässe aus dem Nebenraum.
Mein Gott!
Und das hatte ihm vor ein paar Jahren noch gefallen?
Heute bevorzugte er kleine, ruhige Clubs oder Bars.
Dort wurde er immer fündig, wenn er eine Frau für die Nacht suchte.
Er ahnte, dass Evi in den Städten, in denen sie immer übernachtete, ähnlich jagte.Es lag ihr im Blut, so wie ihm.
Umso idiotischer war es, dass sie noch immer so taten, als ob sie eine Beziehung führten.
Bei der richtigen Frau konnte er auch treu sein, er wusste es genau.
Im ersten Jahr mit ihr war er zu hundert Prozent monogam gewesen, vielleicht auch wegen des Mangels an Gelegenheit, wie er schmunzelnd einräumte.
Mit diesen Gedanken im Kopf folgte er Livy durch das Gedränge.
Sie stellte ihn ein paar Freunden und vor allem Freundinnen vor, er begrüßte alle freundschaftlich, lächelte den Damen zu, wie es von ihm erwartet wurde.„Ich lasse dich dann mal alleine!" erklärte sie ihm eine Weile später.
Sie hatte Bill entdeckt, ihren derzeitigen Schwarm. Bisher war sie bei ihm nicht weiter gekommen, aber heute würde sie alles dransetzen, ihn rumzukriegen.„Wenn was ist, texte mir, ja?" bat Alex und machte sich auf, das Geschehen der Jugend zu beobachten.
An einer der Bars holte er sich einen Whiskey mit Cola.
Er musste lächeln.
Das war früher sein Lieblingsdrink gewesen, aber er hatte das schon lange nicht mehr getrunken.
Er hatte auch schon lange nicht mehr gefeiert!
War schon lange nicht mehr unter so vielen fröhlichen jungen Leuten gewesen!Er gewöhnte sich an den Lärmpegel, an die schlechte Luft und fühlte sich nur wohl.
Ein paar Mal wurde er angeflirtet, ein paar Mal flirtete er Mädchen an.
Lächelnd kam er in die Halle, in der die Band spielte.
Nicht schlecht spielte, wie er bald feststellte.Auf der Tanzfläche drehten sich Mädchen, viele Mädchen.
Die Jungs standen mehr oder weniger hilflos zwischen den versunkenen Tänzerinnen, nur wenige Pärchen hielten sich in den Armen.
Aha! dachte er. Heute war es wohl nicht mehr üblich, die Dame seiner Wahl aufzufordern.
War ja auch richtig!
Warum sollte der weibliche Teil darauf warten, bis der männliche Teil sich aufraffte!Er ging am Rand der Tanzfläche weiter, da zog ihn ein Mädchen ins Gewimmel.
Sie war jung, schlank, aber nicht sonderlich hübsch.
Kurze strubbelige Haare, als hätte sie sie selbst geschnitten, kleine Augen hinter dicken Brillengläsern, eine lange dünne Nase.Doch er machte ihr die Freude, blieb einen Song lang bei ihr, bis er lächelnd weiterzog.
Er kam in den Raum für die, die das Anmachen schon hinter sich hatten.
Abgeschiedene Nischen, kuschelige Sitzgruppen luden zum Knutschen ein.
Na, da wollte er nicht stören!
Vielleicht später! dachte er lächelnd.
Er ging zurück, bekam Lust, sich zu der Musik zu bewegen, mischte sich unter die Tanzenden.Ein Mädchen tanzte ihn an, legte die Hände um seine Hüften, bewegte sich im Rhythmus mit ihm gemeinsam.
Sie legte den Kopf schief, strahlte ihn an, krauste das Näschen, was er süß fand.
Na, das wäre doch was! dachte er. Die Kleine war durchaus niedlich.
Nach dem Song legte er ihr die Hand auf den Rücken, führte sie zur Bar.
„Möchtest du etwas trinken?" fragte er dicht an ihrem Ohr.
Glücklich strahlte sie ihn an.
Na, das war ja schnell gegangen! dachte er. Er würde wohl in Zukunft öfter seine kleine Schwester begleiten.
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Stark
RomanceStark musste Lena ihr ganzes Leben lang sein. Als ungewolltes Kind wuchs sie bei einer bigotten Mutter und ebensolchen Großeltern auf. Doch das hat sie ihren Lebensmut nicht verlieren lassen. Stark musste auch Alex sein, als sein Vater tödlich verun...