Kapitel 20

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Olivia und Bill

Olivia ließ sich müde auf ihr Bett sinken. Sie hatten beschlossen, heute Nacht hier zu bleiben, damit ihre Mutter nicht alleine war, sollte Evi noch einmal auftauchen.
„Was für ein Tag!" stöhnte sie.
Bill massierte ihren Nacken.

„Wenn du gewusst hättest, was für eine Familie du dir da antust, wärst du auf dieser Fete gelaufen, so schnell dich deine Füße tragen, oder?" fragte sie und meinte es nur halb lustig.
Er küsste sie zärtlich. „Natürlich! Ich wäre noch schneller zu dir gelaufen als eh schon!" versicherte er lächelnd. „Deine Familie ist toll!"

Sie hatten gerade Evi in die Wohnung ihres Bruders zurückgebracht, Bill hatte aufgeräumt, hatte versucht sie zu beruhigen. Ein wenig war es ihm auch gelungen, hatte er das Gefühl.
Er konnte gut mit Menschen umgehen, das wusste er. Deshalb hatte er sich auch für Neurologie und klinische Psychiatrie als Weg nach seinem Medizinstudium entschieden.
„Toll?" Olivia sah ihn ungläubig an.

„Ja! Evi gehört ja wohl nicht zur Familie, also nicht mehr, oder?" Er spielte mit ihren dunklen Locken. Gut, in den letzten Wochen hatte die Ex-Freundin ihres Bruders für ordentlichen Trouble in ihrem Leben gesorgt. Aber er machte das alles gerne für Livy und ihren Bruder, vor allem, seit sie ihm erzählt hatte, wie sehr er nach dem Tod des Vaters für sie dagewesen war.
Sie kuschelte sich an ihn. Noch immer konnte sie es nicht so recht glauben, dass sie ihn erobert hatte!

Lange Wochen hatte sie ihn angehimmelt, hatte ihn beobachtet, immer wieder seine Nähe gesucht. Er war anders als ihre bisherigen Freunde, anders als die meisten Studenten.
Er war ruhiger, höflicher, schien aus einem anderen Jahrhundert zu kommen. Er grüßte leise und höflich, machten den Mädchen Platz in der Schlange in der Mensa, entschuldigte sich, wenn er jemanden anrempelte.

Er war irgendwie ein - Gentleman!
Sie hatte seine Blicke gesucht, er hatte sie immer eine Zeitlang erwidert, dann schüchtern den Kopf abgewendet.
Oft hatte sie das Gefühl gehabt, er steuerte mit seinem Tablett ihren Tisch an, aber immer schlug er in letzter Minute einen Haken.
Sie lächelte ihn an, wenn sie ihn auf dem Campus traf, er lächelte zurück, wurde dann aber leicht rot und wich ihrem Blick aus.
Er sah verdammt gut aus. Groß und schlank, mit einem wilden blonden Haarschopf und unglaublich dunkelblauen Augen hinter einer modernen Brille. Er war immer schick und teuer gekleidet, aber nicht ganz so flippig wie die anderen Studenten.

Er war - irgendwie anders! Und er reizte sie!
Als er auf der Uni-Fete mit ihr tanzte - aufgefordert hatte sie ihn - hatte es endlich auch bei ihm gefunkt!
Blitze hatten eingeschlagen, Donnerschläge hatten sie aufgewühlt!

Sie war mit zu ihm in seine Wohnung gefahren, eine verdammt schicke Vier-Zimmer-Wohnung in einem teuren Viertel, ganz in der Nähe ihres Bruders.
Aber sie hatten nicht miteinander geschlafen. Sie hatten geredet, bis um vier Uhr morgens, dann waren sie vollkommen angezogen, aber engumschlungen auf seinem Bett eingeschlafen.

Bill hielt sie glücklich in seinen Armen, erinnerte sich an ihre erste gemeinsame Nacht. Sie hatten sich so viel zu erzählen gehabt, es war so schön gewesen, ihr zuzuhören, zu spüren, wie sie sich für sein Leben als privilegierter Sohn reicher Eltern interessierte.

Er konnte die halbe Nacht nicht glauben, dass sie wirklich hier in seiner Wohnung war. Die andere Hälfte der Nacht hatte er sie im Arm gehalten, hatte kein Auge zugemacht vor Glück!
Seitdem war sie seine feste Freundin. Dieses rassige, schöne Mädchen war die Freundin von Bill Graham! Von ihm! Oft zwickte er sich noch immer in den Arm, um zu sehen, dass er nicht träumte.

Er flog durch die Tage, durch die Vorlesungen, durchs Leben!
Der Lernstoff schien von selbst von den Buchseiten in sein Gehirn zu fließen!
Zwei Tage nach der ersten Nacht hatte sie ihm die Nacht der Nächte geschenkt, hatte er sie besitzen dürfen!
Er hatte keine Ahnung gehabt, wie wunderbar es sein konnte, eine Frau lieben zu dürfen.
Natürlich hatte er Sex gehabt vor ihr, er war 24!

Aber eigentlich auch nicht! Denn, was er mit ihr erleben durfte, stellte alles bisher Erlebte in den Schatten! Er war verrückt nach ihr, und sie schien zu mögen, was er mit ihr im Bett so anstellte.
Das Leben mit der schönen Olivia Borchert war ein einziger Traum!

Was zählten denn da ein paar Probleme mit dieser Evi!
Heute hatte sie wieder ordentlich zugeschlagen. Irgendwie wurde er einen bestimmten Verdacht nicht los. Er beschloss, seine Bedenken Olivia anzuvertrauen. „Weißt du, meine Schöne, ich glaube, da steckt mehr dahinter als nur Eifersucht!"
Sie sah ihn fragend an.

„Das Ganze deutet meiner Meinung nach auf eine saubere Schwangerschaftspsychose hin!" erläuterte er. „Diese Überreaktionen, dieses Toben, das ihr selbst am meisten schadet! Da ist nichts Rationales, sie reagiert, ohne über Folgen nachzudenken! Sie fühlt sich ungerecht behandelt, obwohl sie ja unfair gespielt hat! Alles, was sie sagt, ist so realitätsfern!"

Livy hörte ihm aufmerksam und bewundernd zu. „Also, da bist ja jetzt du der Fachmann!"
„Ich werde bei der nächsten Vorsorgeuntersuchung mit der Frauenärztin sprechen, also ich werde es versuchen, so von Kollege zu Kollegin!"

Er lächelte sein süßes, bescheidenes Lächeln.
Olivia war wieder einmal hin und weg. Nicht genug, dass er die beiden Frauen wie selbstverständlich in die Praxis begleitete, weil er Angst hatte, sie mit Evi alleine losziehen zu lassen, jetzt wollte er auch noch mit der Ärztin seine Theorie diskutieren!
Er war der Hammer, der Jackpot!

Doch dann war ein anderes Thema wichtiger als Evi.
„Du, Olivia?"
Sie liebte es, wie er ihren Namen aussprach. Es klang wie: Olivja, wegen seiner englischen Muttersprache.
„Ja, Bill?"

Er räusperte sich, nahm seinen ganzen Mut zusammen. „Ich habe nächste Woche Geburtstag, und meine Eltern kommen aus London. Es würde mich sehr glücklich machen, wenn ich dich ihnen vorstellen dürfte!" Jetzt war es heraus, und er atmete erleichtert auf.
Livy lächelte. Er drückte sich immer so schön aus! Und dazu noch sein englischer Akzent!
„Na, dann sollte ich dich wahrscheinlich glücklich machen, oder?"

Da war es vorbei mit seiner Beherrschung, die bei diesem süßen Ding immer sowieso nie lange anhielt. Seit er zum ersten Mal Sex mit ihr haben durfte, war er verrückt danach, ihren Körper zu fühlen, ihre Haut unter seinen Händen zu spüren, mit ihr höchste Höhen zu erreichen, die er nie auch nur im Entferntesten erahnt hatte!

Und Olivia genoss jede seiner Berührungen. Anfangs war er noch ein wenig vorsichtig gewesen, hatte die Technik zwar perfekt beherrscht, konnte sich aber noch nicht genug gehen lassen. Aber mittlerweile ließ er die Leidenschaft voll und ganz zu. Und wenn er beim heißen Liebesspiel in seine Muttersprach verfiel und: You make me absolutely crazy, Baby! stöhnte, hob sie meistens schon ab!


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