Kapitel 21

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Zwei Tage später saßen sie wieder einmal in der Praxis der Frauenärztin. Alles war okay mit dem Kind. Evi war wütend, aber das war nichts Neues! Sie waren schon froh, dass sie nicht tobte und die Praxis nicht zerlegte.

Als Bill die Ärztin höflich um ein Gespräch bat, zog die überrascht die Augenbraue hoch. Er war nicht der Vater, den sie übrigens gerne mal zu Gesicht bekommen hätte, er war auch nicht verwandt mit der Patientin. Sie drückte sowieso schon beide Augen zu, wenn sie Olivia gestattete, bei den Untersuchungen dabei zu sein.

„Also, bitte! Fünf Minuten!" erklärte sie relativ ungnädig.
Bill erläuterte ihr seine Beobachtungen und Bedenken.
Sie hörte aufmerksam zu. Ihre Gedanken waren zwiegespalten. Zum einen waren die Aussagen des jungen Mannes durchaus fundiert, zum anderen befürchtete sie, dass man die Schwangere in eine Schublade stecken wollte, um das Sorgerecht für das Kind zu bekommen.

Wenn nur der Kindsvater endlich einmal auftauchen würde, damit sie sich ein Bild von ihm machen konnte! Aber der verbrachte lieber einen Langezeiturlaub mit der neuen Freundin!

„Wir sprechen nächstes Mal darüber! Ich muss mir über einiges klar werden!" schlug sie vor. Bill gab sich damit nicht zufrieden. Er wusste, dass er recht hatte.
„Aber sie stellt durchaus eine Gefährdung dar!" beharrte er. „Für sich selbst, für das Kind und auch für ihre Umwelt."

Er hatte viel über die Thematik nachgelesen in den letzten beiden Tagen, zitierte eine Reihe von Fallbeispielen aus seinen Lehrbüchern. Die Symptome waren eindeutig, die schlimmen Ausgänge einer unbehandelten Psychose erschreckten auch die Ärztin.
Sie sah den jungen Mann bewundernd an. Der würde wohl seinen Weg gehen! Dazu sein höfliches, bestimmtes Auftreten, seine ruhige, gefasste Art, zu sprechen.

„Wenn ich nur den Kindesvater einmal kennenlernen könnte!" wandte sie ein.
Bill erzählte, was die beiden mitgemacht hatten, dass der Urlaub für ihre Zukunft wichtig war. Er sprach so eindringlich für Alex und seine Freundin, dass sie lächeln musste. „Sie könnten sicher einem Eskimo einen Kühlschrank verkaufen!"

Bill kannte diesen deutschen Ausdruck nicht, sah sie fragend an.
„Das heißt, dass Sie sehr überzeugend sind!" erklärte die Ärztin.
„Wenn mir etwas am Herzen liegt, schon, ja!" antwortete er. „Also, was gedenken Sie zu unternehmen?" Er wollte nicht locker lassen, sich nicht mit ein paar positiven Worten abspeisen lassen.

Sie dachte nach, wählte eine Nummer. Sie sprach leise und lange ins Telefon. Danach sah sie Bill an. „Ich habe mit einem Freund gesprochen, der sich in der Materie besser auskennt als ich. Er teilt Ihre Ansicht vollkommen, sieht auch die Gefahren, die Sie angesprochen haben. Sehen Sie eine Möglichkeit, Frau Meier in seine Praxis zu bringen? Jetzt gleich? Er meint, bei den letzten Vorkommnissen sei durchaus Gefahr in Verzug!"

Bill strich sich mit der Hand über das Gesicht. Damit hatte er jetzt nicht gerechnet, dass er das alles durchziehen sollte! Eigentlich wäre das Sache der Behörden! Was, wenn etwas passierte? Wenn man ihm später dann ein Fehlverhalten nachweisen würde? Dann könnte er seinen Abschluss vergessen!

Was aber, wenn etwas passierte, weil er gezögert hatte?
Wenn sie Livy oder Sabine etwas antat oder völlig Unbeteiligte angriff?
„Wir machen das gemeinsam!" beschloss er schließlich und erläuterte ihr seinen Plan. Sie sah ihn bewundernd an. Sie ging noch weiter in ihrer Einschätzung. Er würde einem Wüstenscheich Sand verkaufen können, wahrscheinlich sogar zu einem horrenden Preis!

Sie rief Evi noch einmal in das Untersuchungszimmer.
„Frau Meier, ich möchte noch ein paar Untersuchungen durchführen lassen. Herr Graham und Frau Borchert werden so freundlich sein und Sie zu der Praxis eines guten Freundes von mir begleiten, der sich jetzt gleich Zeit für Sie nimmt! Wir wollen doch alles richtig machen, nicht wahr?"
Evi fühlte sich geschmeichelt bei so viel Aufmerksamkeit und schöpfte keinen Verdacht.

Olivia vertraute ihm voll und ganz, nachdem er nur kurz mit dem Kopf geschüttelt hatte, als sie ihn fragend angesehen hatte. „Ich kann es dir jetzt nicht erklären!" hieß das.
Als sie auf die Praxistüre zugingen, lenkte Bill Evi so sehr ab, in dem er auf sie einredete, dass sie das Schild nicht lesen konnte.

Er ist gut! dachte Livy. Da muss ich ja direkt aufpassen!
Dr. Petersen war von seiner Kollegin über ihre Ankunft informiert worden, führte die Patientin gleich ins Sprechzimmer.
Bill erklärte endlich Olivia den Plan, den er mit der Ärztin zusammen entworfen hatte.
„Also ist sie deiner Meinung - und Dr. Petersen auch?" fragte sie und war unheimlich stolz auf ihn.

„Ja, zum Glück glauben sie mir!" Bill sah den Glanz in ihren Augen. Wie lange hatte er von diesem Strahlen geträumt! Wie oft hatte er sich diesen Blick gewünscht! Er nahm sie überwältigt von seinen Gefühlen in die Arme und küsste sie. Zum Glück waren sie allein im Wartezimmer.

Aus dem Raum ein paar Türen weiter hörten sie Evis Gebrüll und fuhren auseinander.
„O Gott!" stöhnte sie. „Hoffentlich kriegt sie sich wieder ein!"

Eine Angestellte steckte den Kopf zur Türe herein. „Herr Graham? Dr. Petersen bittet Sie, ihm zur Seite zu stehen!" rief sie aufgeregt und Bill spurtete los.

Seine ruhige Stimme, die mantra-mäßig auf die Schwangere einsprach, verfehlte auch dieses Mal seine Wirkung nicht.
„Bill! Die wollen mich in die Klapse einliefern!" sagte sie mit tränenerstickter, aber deutlich unaufgeregterer Stimme.

„Nein, Evi! Nicht in die Klapse! Das gibt es nicht mehr! Aber sie wollen dir helfen! Du merkst doch selber, dass etwas nicht in Ordnung ist! Das bist doch nicht du! Diese Wut in dir, das ist mehr als Eifersucht! Du hast doch schon länger gespürt, dass ihr keine Zukunft habt, Alex und du. Und eigentlich bist du auch gar nicht mehr verliebt in ihn.
Aber bei dir ist einiges durcheinander gekommen durch die Hormonumstellung. Sie müssen dir helfen, denn Tabletten kannst du ja zur Zeit nicht nehmen, das verstehst du doch, oder?"

Während er auf sie einredete, streichelte er ihre Hand.
Die Worte erreichten ihr Gehirn, sie sah vertrauensvoll zu ihm auf.
Dr. Petersen sah und hörte dem jungen Mann beeindruckt zu. Er hatte es echt drauf!
Schließlich erklärte sich Evi zu einem Klinikaufenthalt bereit.
Der Arzt machte am Telefon alles klar. Ein Wagen der Klinik würde die Patientin abholen, Bill und Olivia versprachen, ihr ein paar Sachen zu bringen.

Dr. Petersen bat Bill zu einem Gespräch in einen Nebenraum.
„Sie sind gut, junger Mann!" erklärte er ihm. „Sie sollten Ihre Begabung beruflich nutzen!"

Bill grinste. „Ich bin schon auf dem Weg dahin!" Dann erzählte er von seinen Zukunftsplänen.
Den Arzt wunderte nun nichts mehr. „Da haben Sie richtig entschieden!" versicherte er und klopfte dem Kollegen in Spe auf die Schultern. So einen Kompagnon hätte er gerne für seine Praxis, aber er wusste, dass Bill Graham größeres erreichen würde.

Doch er würde ihn im Auge behalten!

Dann trafen die Sanitäter ein, Evi ging ruhig mit ihnen mit. Sie reichte Bill, dem einzigen Vertrauten in ihrem Leben, die Hand. „Danke!" sagte sie nur.

Bill und Olivia fuhren erleichtert in die Wohnung ihres Bruders, packten eine große Reisetasche und brachten sie zur Pforte des Krankenhauses.
Sabine war auch überaus froh, dass Evi erst einmal sicher war und sie sicher vor ihr, vor allem, da ja Alex und Lena bald zurückkommen würden.


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