Kapitel 26

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Er zog sie an sich, erinnerte sich an die Blicke, die sie ihm zugeworfen hatte. Er war immer zufrieden gewesen mit dem, was er erreicht hatte.
Aber heute war er zum ersten Mal stolz darauf, weil diese wunderbare Frau stolz auf ihn war.
„Schenkst du mir einen Kuss?" bat er und zog sie an sich.
„Wie soll ich so einem Crack widerstehen?" fragte sie.
„Gar nicht!" flüsterte er und strich mit seinen Lippen zart über die ihren, so wie sie es mochte.

So hatte er sie beim ersten Mal geküsst, und sie hatte sich an ihn gepresst. Er fühlte noch immer, wie ihn die Nähe ihres Körpers erregt hatte, auf dieser Party an der Uni.
Und nichts hatte sich daran geändert, ihre Anziehungskraft hatte nicht ein Milliprozent abgenommen.

Sie ließ sich auch jetzt in diesen Kuss fallen, hielt still, genoss die zunehmende Leidenschaft. Verdammt - Kondome hatte er nicht hier! Wozu auch! Er musste jetzt endlich mal zum Arzt. Er hatte zwar immer Gummis benutzt, außer bei Evis Anfall. Da hatte sie ihn überredet, die Dinger wegzulassen. Jetzt wusste er auch, warum. Er hatte ein mulmiges Gefühl gehabt, damals. Er wusste, dass sie auch fremd angelte, er ja sowieso.
Aber er war etwas angetrunken gewesen. Hatte seine Bedenken weggewischt, Trottel, der er gewesen war.

An ein Kind hatte er allerdings nicht im geringsten gedacht, sie nahm ja die Pille. Weshalb war er jetzt darauf gekommen? Während er Lena im Arm hielt?
Ach ja! Er wollte sie nehmen, hier auf dem Tisch! Oder in dem kleinen Badezimmer, das sich hinter dem Wandschrank verbarg.
Aber ohne Gummis durfte er nichts riskieren.
Er schob sie ein wenig zurück.
„Langsam, Süße! Ich habe nichts hier!" stöhnte er. „Ich muss jetzt unbedingtmal zum Arzt!" sprach er seine Gedanken aus.

„Mein Blut haben sie im Krankenhaus untersucht - alles okay!" informierte sie ihn. „Und ich nehme auch die Pille, falls so ein Ding mal platzt. Ich habe es auch nie ohne gemacht." Er fand es so süß und drollig, wie sie da vor ihm stand, in ihrem hübschen Kostümchen, das so verdammt sexy aussah an ihr, und über Pille, Kondome und Gesundheitsvorsorge sprach, als ginge es um etwas vollkommen Triviales.
„Vielleicht bekomme ich heute noch einen Termin beim Betriebsarzt!" sagte er mehr zu sich selbst.

Dann lachte er los. „Was haben wir heute denn für Themen!"
„Wichtige! Erwachsene!" antwortete sie lächelnd.
Sein Freund muckte noch einmal auf, er war eh schon fürchterlich beleidigt. „Also, los! Ziehen wir einen Raum weiter!" schlug er vor. Nebenan war dann sein Allerheiligstes. Er gab ihr Ohrenschützer, setzte auch selbst welche auf. Der Lärm war enorm. Ungefähr 20 Maschinen liefen, frästen irgendwelche Dinge aus Metallblöcken. Auf Bildschirmen flimmerten Daten, Zahlen und Worte.

„Die Fräsmaschinen sind ein Standbein, und die Bauteile, die sie ausfräsen, das zweite. Meine Patente befassen sich zum Großteil mit diesen Dingern, die von KI gesteuert werden. Der Kunde sagt, was er will, ich programmiere die Maschinen und modifiziere sie, dass sie genau das herstellen, was bestellt wurde.
Wer nicht selber fräsen will, bekommt einen Prototypen vom 3D-Drucker, wenn er passt, fräsen wir in der Fertigungshalle.

Oft kann ich den Kunden von einem verbesserten Bauteil überzeugen, das dann auch wieder patentiert werden kann. Manchmal ärgern sie sich, dass sie nicht selbst drauf gekommen sind, aber wenn man dauernd mit den gleichen Teilen arbeitet, wird man etwas betriebsblind. Ich sehe dann so ein Ding zum erstenMal, denke, warum machen die das nicht so der so." Sie gingen in einen noch größeren Raum, eigentlich mehr eine Halle. Dort war der Lärm noch größer.

„Das ist dann der dritte Teil: Hier werden die großen Maschinen entwickelt."
In dieser Halle arbeiteten viele Männer und eine Frau. Alle grüßten Alex ehrfürchtig. Er führte Lena zu dem einzigen weiblichen Wesen. „Das ist Svenja, Dirks Schwester und unsere Frauenquote." Die Frauen begrüßten sich freudig. „Was wird das?" fragte Lena brüllend.
„Eine Abfüllmaschine. Hat unser mehr als lästiger Chef entwickelt. Mit weltweitem Patent. Die Chinesen versuchen seit geraumer Zeit, sie zu kopieren, kommen aber nicht hinter den Dreh. Und wir verraten ihn auch nicht." Sie plapperte drauflos wie ein Papagei, aber Lena fand die Kleine sehr sympathisch. Sie sah ihrem Bruder sehr ähnlich.

Alex grinste. „Sie quatscht ein bisschen viel, aber sie ist gut." Er schlug sich mit Svenja ab. „Das hier sind die Prototypen. Sie werden zusammengebaut und laufen ein halbes Jahr Probe. Wenn alle fehlerlos klappt, gehen sie auf Messen und werden hoffentlich fleißig geordert. Die Fertigung für die Serien ist dann drüben in den großen Hallen. Der dritte Bau ist das Lager. Wir hier bauen nächstes Jahr an, weil ich so viele Ideen in meinem Kopf habe. Mindesten zehn Maschinen existieren bisher nur auf meinem Computer."

Lena musste lächeln über seine Begeisterung für seinen Job.
Und sie musste ihn küssen! Unbedingt!
Er wehrte sich nicht lang, die Arbeiter klatschten Beifall.
Alex lachte ihnen zu. Sie spürte, wie beliebt er war, welch ein wunderbares Betriebsklima hier herrschte.„Wie viele Beschäftigte habt ihr?" fragte sie, als sie wieder auf einem der langen Flure standen.

„So um die 8500 hier. Europaweit an die 23.000." erklärte er bereitwillig.
„Puh! Ihr seid ja eine AG, oder?" wollte sie wissen.
„Ja, wir sind sogar im DAX. Max hält 25 Prozent, wir drei Direktoren je 10, damit wir die Majorität halten. Der Rest wir frei gehandelt. Zur Zeit stehen wir nicht schlecht." erklärte er.
Er fand es wahnsinnig sexy, wie sie alles durchblickte und begriff!
Schon aus diesem Grund musste er sich noch einen Kuss klauen.
Er zeigte ihr danach die firmeneigene Kita und das Kasino für die leitenden Angestellten.

„Wir könnten eigentlich gleich zu Mittag essen. Die kochen echt gut hier!" schlug er vor. Es war ein gemütlicher Raum mit großen Fenstern, schön dekorierten Tischen in Nischen.
„Hier finden auch viele Geschäftsessen statt!" erklärte er die noble Ausstattung.
Eine Bedienung kam zu ihnen, begrüßte ihn ehrfürchtig. „Guten Tag, Herr Dr. Borchert! Was darf ich Ihnen und Ihrer Begleitung zu trinken bringen?" fragte sie professionell.
„Für mich ein Wasser, bitte. Lena?"
„Auch, danke!" antwortete sie.
Die junge Frau brachte blitzschnell das Gewünschte. Natürlich Pellegrino, das italienisch Kult-Wasser.

„Möchten Sie das Menü, das Tagesgericht oder a la carte?"
Alex ließ sich informieren, was so auf dem Speiseplan stand, sie ratterte alles herunter. Lena musste lachen. „So schnell kann ich nicht denken, wie Sie sprechen!" sagte sie.
Die Bedienung sah sie lächelnd an. „Die Herren haben immer sehr wenig Zeit. Da muss alles hoppla hopp gehen."

Alex lachte. So sah das Mädchen die, die hier aßen? „Also, ich nehme den gegrillten Fisch und meine Lebensgefährtin die Lasagne, wie ich vermute. Und zwei große Eisbecher zum Nachtisch, bitte." Das Essen schmeckte wie in einem Sterne-Lokal. Das Eis stillte ihrer beider Hunger nach Süßem.
Sie waren beide eher Schleckermäulchen. Nach und nach füllte sich das Casino. Immer wieder kamen Männer in feinen Anzügen an ihren Tisch, begrüßten Alex freundschaftlich, taxierten Lena.
„Musst du eigentlich keinen Anzug tragen?" fragte sie ihn, nachdem der Besucherstrom an ihrem Tisch nachgelassen hatte.

Alex lachte. „Müsste ich vielleicht schon. Aber bisher habe ich mich erfolgreich dagegen gewehrt. Ich bin ja oft in den Produktionshallen zu Gange, das sähe auch blöd aus. Aber wenn geschäftliche Treffen anstehen, beiße ich schon in den sauren Apfel. Oben im Schrank hängen ein paar." Irgendwie glaubte Lena, sich in einem Film zu bewegen. Das, was sie heute alles gesehen und erlebt hatte, zeigte eine ganz neue Seite von Alex. Seit sie ihn kannte, war er eigentlich der aufgedrehte junge Mann mit den etwas zu langen Haaren, den flippigen Klamotten, dem Dauerlachen gewesen.
Hier war er der wahnsinnig erfolgreiche Maschinenbauingenieur, der gefürchtete und geliebte Chef, die unangefochtene Autorität. Und sie liebte beide Seiten.


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