Kapitel 53

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Kroatien 2

Am nächsten Morgen ließ Alessia sie bis zehn Uhr schlafen. Sie war nach der Reise und den Aufregungen mit dem Besuch ziemlich geplättet.

Sie fuhren mit ihr ins Städtchen, wollten zu Mirko zum Frühstück.
Der riss Lena in seine Arme, sah den Freund zufrieden an, freute sich über das hübsche Baby im Kinderwagen, stellte keine Fragen.

Er servierte den Beiden ein perfektes Frühstück, nahm Alessia aus dem Wagen.
„Vorsicht! Sie...!" warnte Alex, doch die Kleine hatte schon zugepackt. Mit beiden Händchen krallte sie sich an Mirkos dichtem Haarschopf fest und juchzte.
Dem Kroaten schossen vor Schmerz die Tränen in die Augen. „Autsch!" jammerte er und versuchte sich aus dem Griff der Kleinen zu befreien.

Lena kam ihm zu Hilfe, streichelte sanft über den Rücken des Kindes. Das liebte die Kleine so sehr, dass sie ihr Opfer freigab.
Dankbar ging Mirko mit ihr auf dem Arm ins Innere des Lokales, um sie seiner Frau zu zeigen. Er wollte seit längerer Zeit ein Kind, sie sträubte sich immer noch.

Vielleicht konnte der Anblick von Alessia sie ein wenig zugänglicher machen? Allerdings, wenn er an seine schmerzende Kopfhaut dachte, sollte er sich diesen Wunsch vielleicht noch einmal überlegen.
Alex und Lena ließen sich die lockeren Eier mit dem kross gebratenen Speck schmecken. Er erzählte ihr von dem Fraß, den Mirko ihm vorgesetzt hatte, als er alleine hier gewesen war.

Sie grinste schadenfroh.
Von innen hörten sie entzückte Ausrufe, dann einen Schmerzensschrei und kurz darauf das Scheppern von zerberstendem Porzellan oder Glas und ein fröhliches „AAAAA!"

Sie sahen sich an und prusteten los. Ihr Engelchen hatte wieder einmal zugeschlagen!
„Vielleicht sollten wir langsam mal anfangen, sie zu erziehen?" stellte Lena die Frage in den Raum.
„Das legt sich schon wieder!" meinte Alex. „Und bis dahin unterstützen wir eben die Glas- und Porzellanindustrie!"

Mirko kam mit einer gutaufgelegten Alessia zurück. „Was war es dieses Mal?" fragte Lena lachend.
„Oh, nur eine Ölflasche und ein paar Gläschen mit Gewürzen!" antwortete der Kroate grinsend.
„Na, das ist ja dann eine ordentliche Sauerei!" Lena war froh, dass sie das nicht alles wegmachen musste.
„Aber meine Frau findet sie ausgesprochen süß!" verkündete der Freund und zwinkerte ihnen zu. Das war ihm das Chaos durchaus wert!

Sie zogen weiter durch die Gassen der Stadt, erinnerten sich am Schmuckgeschäft an die Ketten, die er damals gekauft hatte, bei der Boutique an die Klamotten. Sie gönnten sich ein Eis, ließen Alessia probieren, tranken einen Kaffee, plauderten mit anderen Touristen, kauften ein paar Lebensmittel und ein paar Flaschen Wein, aßen am Imbiss Burger und Pommes, küssten sich durch die Straßen, winkten Bekannten vom letzten Jahr zu, kauften ein paar Sommersachen, waren glücklich wie nie im Leben.

„Letztes Jahr im Sommer wussten wir nicht, was auf uns zukommen wird!" sagte Alex nach einem leidenschaftlichen Kuss. „Aber wir wussten, dass wir alles packen würden, wenn wir nur zusammen sind!"

Er nahm sie fest in die Arme. „Ich habe dich in diesen Wochen schon so sehr geliebt, Lena! Und doch habe ich heute das Gefühl, ich wusste damals noch immer nicht, was Liebe wirklich ist!" Er sah sie ernst an. „Da war es wie ein Rausch! Losgelöst von allen Problemen, nur du und ich! Heute ist es weit mehr. Wir haben eine Krise überstanden, haben ein Kind, das wir lieben, haben Schmerzen und Tränen hinter uns gelassen. Und die Liebe ist gewachsen, hat nicht gelitten, ist unermesslich geworden!"

„Ja!" stimmte Lena zu. „Und deshalb wird uns nichts kleinkriegen! Deshalb werden wir alles schaffen und die Welt aus den Angeln heben!" Sie streckte sich, um einen zarten Kuss auf seine Lippen zu hauchen. „Wir wussten ziemlich schnell, dass wir zusammen gehören, nicht wahr?"

Er strich mit einem Finger über ihr schönes Gesicht. „Ja! Ziemlich schnell! Am zweiten Tag, als du mir gesagt hast: Wir versuchen, das alles zusammen durchzustehen! wusste ich, dass ich dich nicht mehr verlieren durfte. Und, Lena? Als ich dann abgedampft bin, das war nichts Endgültiges, war nie so geplant! Das weißt du, und das glaubst du mir auch, oder? Das war eine Kurzschlussreaktion! Ich war ziemlich fertig, hatte keinen Plan, wie wir das mit dem Schreimonster auf die Reihe kriegen sollten! Ich hätte aber auch in ein Hotel in der Stadt gehen können, hätte nicht gleich so weit wegfahren müssen! Aber für mich war diese Situation eben auch vollkommen neu!"


Lena strich ihm über das männlich schöne Gesicht. „Es ist vorbei, Alex! Es ist vollkommen vorbei und vergessen! Wir fangen noch einmal an, weil wir die Chance dazu bekommen haben!"

Als er sie wieder an sich zog, wusste er noch sicherer als je zuvor, dass diese Liebe ewig halten würde.
Dass er dieses junge Mädchen, das so schnell so erwachsen hatte werden müssen, nie wieder hergeben konnte.

Dass sie die wahre Mutter seiner Tochter war.
Er hatte ihr die Welt zu Füßen legen wollen und hatte Schmerz und Leid über sie gebracht.
Aber sie beschloss einfach, dass sie das alles vergessen konnte.
Weil sie ihn liebte.
Weil sie sein Kind liebte.
Er würde einfach noch einmal anfangen, sie auf Händen durchs Leben zu tragen, wie er es eigentlich geplant hatte.

Engumschlungen gingen sie nach Hause in die Hütte des Glücks. Er kümmerte sich um Alessia, während sie das Essen wärmte. Die Kleine schlief selig vor sich hin lächelnd, die Eltern aßen auf der windgeschützten Terrasse.

Danach beschäftigte sich Alex mit seiner Entwicklung, Lena rief ein Sprachprogramm für Kroatisch auf.
Beide arbeiteten vollkommen glücklich und zufrieden zwei Stunden lang. Er brachte zwei Gläser Wein, hielt sie im Arm, sah mit ihr gemeinsam in den Sternenhimmel und wusste, dass das Leben nicht perfekter sein konnte als in diesem Augenblick.

Oder doch?
Würde vielleicht der nächste Tag an ihrer Seite noch besser werden?
Möglich wäre es durchaus! Er rauchte eine Zigarette. Vor Lena war er ein relativstarker Raucher gewesen, doch in den Tagen, seit er sie kannte, war er ein reiner Genussraucher geworden.
Lange standen sie einfach nur da, hielten sich aneinander fest, liebten das Leben.

„Wollen wir ans Meer gehen?" fragte er schließlich. „Der Empfänger für das Babyphone reicht bis nach unten."
Sie nickte nur. Er nahm die Flasche Wein, die Gläser und eine Taschenlampe.
In ihrer kleinen Bucht ließen sie sich im Sand nieder. Sie saß zwischen seinen Beinen, lehnte sich an seinen Oberkörper.

„Weißt du, wie sehr ich dich liebe?" fragte er leise. Er hatte diese Frage schon unzählige Male gestellt und würde sie noch unzählige Male stellen.
„Ja!" sagte sie nur, und nie waren zwei Buchstaben für ihn so befreiend gewesen.
Ja! Sie wusste es!
Ja! Sie glaubte ihm!
Ja! Sie würde es ihm immer glauben!
Ja! Sie würde es immer wissen!

Ganz egal, was das Schicksal für sie noch geplant hatte, sie würde an seine Liebe glauben.
Sie würde ihm vertrauen, wie sie es seit der ersten Nacht getan hatte.
Er hatte dieses Vertrauen aufs Spiel gesetzt, hatte sich wie ein verzogener, unreifer Junge benommen, aber er hatte auch bezahlt dafür, das wusste sie.
Sie tranken ihre Gläser leer, er schenkte nach.Sein Kinn lag auf ihrem Kopf. „Danke, Lena! Für alles!" flüsterte er.
„Wie könnte ich dich nicht lieben?" antwortete sie leise.

Seine Arme schlangen sich um sie.
„Wir beide? Von Anfang an, nicht wahr?" fragte er kaum hörbar.
„Ja! Wir beide! Und ein Engelchen, das sehr oft ein Teufelchen ist!" gab sie zurück.
„Wir drei gegen den Rest der Welt!" Er hatte kaum noch eine Stimme. Er küsste ihren Hals, an dem die Haut so wahnsinnig weich war.

Seine Hände streichelten ihre Schultern, an denen die Haut noch zarter war. Aber sie streichelten nur um der Zärtlichkeit willen, die aus ihm heraus musste.
Das verstand sogar sein Freund, der sich vollkommen zurückhielt.
Sie tranken die Flasche Wein leer, dann gingen sie etwas beschwipst nach oben und schliefen bald ein.


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