Kapitel 62

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Am Abend vor der Trauung holte ihn Slavko ab, die Nacht musste er außer Haus verbringen. Gerne hatten beide dieser Tradition zugestimmt. Alessia nahm er mit, Annegret würde sich um sie kümmern, damit Lena Zeit genug hatte, sich vorzubereiten.
Die Brautausstattung hatte der Kroate in das Haus geschmuggelt, während Lena Alex mit einem sehnsuchtsvollen Abschiedskuss ablenkte.

Dann saß sie alleine auf der Terrasse und fühlte sich wie amputiert.
Der Liebste weg, das Kind, das sie abgöttisch liebte, weg!

Sie sah in den Sternehimmel, während Tränen über ihr Gesicht kullerten.
Doch dann sah sie den Stern blinken. „Hallo, Klaus!" sagte sie leise. „Du hast einen fabelhaften Sohn gemacht, aber das weißt du sicher, nicht wahr? Es ist verdammt schade, dass du nicht bei seiner Hochzeit dabei sein kannst! Oder, wirst du dabei sein? Sicher! Du bist sicher sehr stolz auf ihn! Er ist ein Genie, und er ist der liebenswerteste Mann der Welt! Der hübscheste auch!"

Der Stern schien stärker zu blinken. „Ich liebe ihn über alles!" flüsterte sie. „Und ich vermisse ihn wie verrückt!"
Sie schenkte sich ein Glas Wein ein, fand eine alte Schachtel Zigaretten. Sie hatte schon ewig nicht mehr geraucht, hustete auch erst einmal bei den ersten Zügen. Dann stieg sie zur Bucht hinunter, legte sich in den warmen Sand, dachte an alle Stationen ihrer Liebe.
Und morgen würde sie seine Frau werden!

Die Frau dieses unglaublichen Mannes, den sie vor einem Jahr im Bus angelächelt hatte, weil er ihr so sehr gefallen hatte.
Nie im Leben hätte sie damals ahnen können, dass er sich für sie interessieren würde.
Für sie! Eine kleine, unbedeutende Studentin!
Er!
Der tolle, gutaussehende Mann!
Und doch war es so gewesen!
Was hatten sie alles erlebt seit diesem Tag im Bus!

Da läutete ihr Handy.
„Hallo, Süße! Ich vermisse dich so sehr!" hörte sie seine Stimme.
„Ich dich auch!" Ihre Stimme war kaum noch vorhanden.
„Ich denke gerade daran, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Als ich gedacht habe: So ein Mädchen, das wäre was für mich! Aber bei so einer Schönheit werde ich wohl keine Chancen haben!"

Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme, konnte nicht antworten. Er wusste sicher, dass sie auch an das erste Treffen gedacht hatte.
„Lena! Bevor du morgen meine Frau wirst, muss ich mich heute unbedingt bei dir bedanken. Ich hätte es schon lange machen müssen. Danke, dass du mir alles verzeihen konntest. Danke, dass du meine Tochter so lieben kannst. Danke, was du für sie getan hast und täglich tust. Danke, dass du in meinem Leben bist und bleiben wirst. Danke, dass du mich so unbeschreiblich glücklich machst!"

Seine Stimme brach. Er erwartete keine Antwort. Aber er hatte ihr das alles unbedingt heute sagen müssen.
Sie schluckte ein paar Mal, fand ihre Stimme wieder. „Es war, ist und wird mir ein Vergnügen sein, Herr Dr. Borchert!"

Er hatte sich auch etwas gefasst. „Ich sitze im Hof und sehe Papas Stern blinken!"
„Ich liege in der Bucht und sehe das Gleiche!" flüsterte sie.
„Bis morgen, Schönheit!" antwortete er. „Ich bin der glücklichste Mann der Welt, und ich werde jeden Tag meines Lebens noch glücklicher werden!" Dann beendete er schnell das Gespräch, sonst wäre er losgelaufen, um sie in die Arme zu nehmen.

Er küsste seine schlafende Tochter, legte sich auf das Sofa und schlief augenblicklich ein. Er träumte von Lena, und zum ersten Mal seit der Pubertät hatte er einen feuchten Traum.

Sie stieg selig vor sich hinlächelnd die Stufen hinauf, duschte sich den Sand ab, legte sich in das Bett, das der kroatische Freund gebaut hatte, bevor sie Alex kennengelernt hatte. Aber kein Bett auf der ganzen Welt würde so sehr das von ihnen beiden werden wie dieses.
Auch sie schlief sofort ein.

Am nächsten Morgen klopfte es an der Türe. Olivia fiel ihr um den Hals. „Ich helfe dir beim Anziehen!" erklärte ihre Schwägerin in spe strahlend. Sie kochte Kaffee, richtete ein kleines Frühstück her, wusste, Lena wäre wohl nicht dazu in der Lage.

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