Kapitel 36

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Zwei Tage später fuhr Bill nach der Uni bei Alex und Lena vorbei.
„Hey, alter Junge! Wohin seid ihr denn neulich so plötzlich verschwunden?" fragte Alex gutgelaunt.

Bill war wieder einmal für Offenheit.
„Deine Tochter ist auf die Welt gekommen!" knallte er Alex hin.
Der ließ sich auf den Stuhl fallen. Nun war es also soweit! Das Problem ließ sich nicht mehr totschweigen.
„Und? Ist sie gesund? Ist alles in Ordnung?" zwang er sich zu fragen.
„Ja, bis auf den Umstand, dass Evi sich weigert, sich um sie zu kümmern. Dass sie herumbrüllt, wir sollen die Kleine zu dir bringen!" erklärte Bill bitter.

Alex stieß die Luft zwischen den Zähnen aus. Er blickte Lena bedrückt an. Die sah alles andere als glücklich aus. Sie war sicher gewesen, Evi würde es sich anders überlegen.
Es war eine Sache, zu versprechen, sich um ein Kind zu kümmern, das irgendwann einmal zur Welt kommen würde, doch die andere war, es dann plötzlich wirklich zu müssen!

„Wann?" fragte sie leise. Sie wusste, sie musste zu ihrem Wort stehen. Und sie würde es auch tun.

„Spätestens nächste Woche!" erklärte Bill.
Sie streckte sich durch. „Na, dann werden wir wohl in dieser Woche eine Babyerstausstattung kaufen müssen!"
Alex bewunderte sie wieder einmal über alle Maßen. „Am Freitag kann ich eher Schluss machen!" sagte er leise.
Bill verabschiedete sich. Er hatte genug getan in den letzten Monaten. Jetzt musste Alex sich seiner Verantwortung stellen.

Lena und Alex saßen lange Zeit schweigend im Wohnzimmer, hingen ihren Gedanken nach.

Warum fühle ich denn nichts außer einer grenzenlosen Angst vor der Zukunft? dachte er. Da ist nichts in mir! Ich bin Vater geworden, und es ist mir egal! Das ist doch nicht normal!
Aber er war nur erfüllt von dem Gefühlt der Panik. Was würde dieses Kind, das er nicht gewollt hatte, aus ihrem wundervollen Leben machen?

Ihre Gedanken unterschieden nicht sehr von seinen. Was würde werden? Was würde aus ihnen werden?
Natürlich hatten sie sich immer wieder versichert, dass sie es zu zweit schaffen würden! Aber wie würde die Realität aussehen?
Sie studierte, er arbeitete viel und lang! Am Ende würde alles an ihr hängen bleiben!
Müde schleppten sie sich irgendwann ins Bett, sie dachten keine Sekunde lang an Sex, sie suchten nicht einmal die Nähe des anderen. Stumm und hilflos lagen sie nebeneinander.

Irgendwann hörte Alex, wie sie leise schluchzte, und es zerriss ihm das Herz. Er fasste nach ihrer Hand und zum ersten Mal entzog sie ihm sie.
Nein! schrie sein Herz. Bitte nicht, Lena!
Er schaltete die Nachtischlampe ein, drehte sie zu sich herum, wischte ihr zärtlich die Tränen von den Wangen.

„Lena! Wir lieben uns! Wir schaffen das! Wir müssen das schaffen!" Seine Stimme klang verzweifelt. „Zieh dich nicht vor mir zurück! Bestrafe mich nicht!" flehte er sie an, und auch seine Augen wurden feucht.
Sie griff nach seiner Hand. „Nein, Alex! Das ist es nicht! Ich weiß nur nicht, ob ich mein Versprechen halten kann!"

„Das musst du nicht, Süße! Niemand wird dich darauf festnageln! Du musst niemandem etwas beweisen! Du musst glücklich sein, das ist alles, was ich von dir je verlangen werde!" flüsterte er.

Er stand auf, holte zwei Gläser Wein und brachte sicherheitshalber die Flasche mit. Sie setzten sich im Bett auf und begannen über all das zu sprechen, was sie bisher verdrängt hatten.

Sie redeten die halbe Nacht. Er hatte am Morgen ein wichtiges Meeting, sie eine Pflichtvorlesung, aber es war ihnen egal. Sie waren gnadenlos ehrlich, erforschten ihre Seelen.
Als die Flasche leer war, liebten sie sich wie zwei Ertrinkende, suchten zum ersten Mal Vergessen im Sex. Danach fielen sie in einen unruhigen Schlaf, in dem Träume sie marterten.

StarkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt