Kapitel 40

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Lena

Lena lebte sich gut in München ein. Ihr Alltag bekam einen neuen Rhythmus, den Sia und das Studium bestimmten. Daneben war nicht viel Platz in ihrem Leben.

Immer seltener rang der Schmerz über ihren Verlust sie nieder, immer seltener waren die Phasen der Verzweiflung über den Verlust einer Liebe, die sehr einseitig gewesen war.
Er hatte sich nicht ein einziges Mal gerührt, hatte sie und seine Tochter vollkommen aus seinem Leben gelöscht – ohne ein einziges Wort, ohne einen Abschied, ohne irgendetwas!

Manchmal nahmen ihr diese Gedanken noch den Atem, weil sie es nicht verstehen konnte.
So reagierte doch kein normaler Mensch!
Doch nicht nach all dem, was sie zusammen erlebt hatten!
Sie mussten doch miteinander sprechen! Zumindest über die Zukunft von Sia!
Aber sie würde nicht den ersten Schritt tun!

Mit dem Geld war es knapp, sie hatte schließlich einen Säugling zu versorgen.
Sie wollte sich einen Job suchen, erfuhr aber, dass alles, was sie verdienen würde, vom Stipendium abgezogen würde.

Sie erkundigte sich im Fakultätsbüro, ob es eine Art von Kindergeld für sie geben würde. Doch die Sekretärin sah sie erstaunt an. „Sie haben ein Kind? Davon steht aber nichts in Ihrer Akte!"
Lena stammelte etwas von: „Nur für die Zukunft!" und ging schnell. Sie wollte auf keinen Fall schlafende Hunde wecken.

Dann nahm sie sich eben ein Sandwich mit, anstatt sich an der Uni etwas zu Essen zu kaufen. Weggehen mit den anderen Studenten konnte sie ja sowieso nicht wegen Sia.

Daniel, ein Kommilitone, umwarb sie vom ersten Tag an.
Es tat ihr gut.
Er war ein ganz anderer Typ als Alex, einer von den Jungs, mit denen sie eigentlich abgeschlossen hatte.

Aber sie hatte ja erlebt, wohin sie der Ausflug in die Welt der erwachsenen Männer gebracht hatte.
Daniel war der Meinung, Sia wäre ihr Kind, und sie ließ ihn in dem Glauben. Sie liebte das Mädchen mittlerweile mit allen Gefühlen, die sie zur Verfügung hatte.

Sia war noch immer nicht pflegeleicht, schlief kaum eine Nacht durch, fiel auch immer wieder in den Schreimodus zurück, aber es war kein Vergleich zu den ersten Wochen. Sie konnte sie in die Krippe bringen, in Ruhe die Vorlesungen besuchen, die Kleine wieder abholen.

Eines Tages ging sie mit Daniel im Englischen Garten spazieren, sie schob den Kinderwagen, ausnahmsweise schlief das Mädchen friedlich.
Er hatte den Arm mutig um ihre Schultern gelegt, immer noch verwundert, dass die Schönheit sich mit ihm abgab.

 Da wurde er noch mutiger, ihre Nähe und ihr Duft raubten ihm zunehmend den Verstand. Er fasste in ihre blonde Mähne, zog ihren Kopf zu sich, konnte den Blick nicht von ihren vollen Lippen nehmen.

Lena wollte diesen Kuss, wollte seine Lippen auf ihren spüren, um ein anderes Paar endlich vergessen zu können. Sie kam ihm entgegen, ließ sich küssen, erwiderte die Zärtlichkeit und fühlte – nichts!

Kein Kribbeln in ihrem ganzen Körper, keine Hitze, die in ihr hochstieg, kein Begehren, einfach – nichts!
Daniel spürte ihre Teilnahmslosigkeit, spürte, dass er es nicht sein würde, der sie bekam!

„Du liebst ihren Vater?" fragte er.
Es tat eigentlich gar nicht so weh, wie er gedacht hatte.

Es war ihm sowieso eher unwahrscheinlich vorgekommen, dass ein Durchschnittsmann wie er und dieses Wahnsinnsmädchen zusammenkommen würden.
Aber Träumen war erlaubt – und einen Kuss hatte er ja ergattert!

Sie sah ihn offen an. „Ja, ich liebe ihn wohl noch immer, auch wenn er keinen einzigen Tag meiner Liebe verdient hat!"
Sie setzten sich auf eine Bank, und Lena erzählte ihm ihre ganze Geschichte, auch dass Sia nicht ihre Tochter war, sondern seine.

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