Kapitel 47

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München 2

„Wer ist da?" krächzte sie.
„Lena? Hier ist dein Vater! Bitte schenk mir ein paar Minuten! Bitte!" hörte sie.

„Was willst du?" knallte sie ihm ungnädig hin.
„Ich will nur mit dir reden! Nur ein paar Minuten! Bitte!" Seine Stimme war sehr leise und flehend geworden, und Lena glaubte, Tränen darin zu hören.
Unwillig betätigte sie den Summer.

Sie hörte schnelle Schritte, die die drei Treppen herauf eilten. Dann stand sie dem Mann gegenüber, der sie gezeugt hatte, der sie kurz nach ihrem 18. Geburtstag verletzt hatte, wie nie ein Mensch zuvor. Und dazwischen war nichts gewesen, kein einziges Wort lag zwischen der Zeugung und der Verletzung ihrer euphorischen Seele, die sich so nach einem Vater gesehnt hatte.
Dann war der Brief gekommen, an ihrem 23. Geburtstag, den sie verdrängt hatte.
Noch mehr, als ihre Mutter, die bei der Feier eine so große Show abgezogen hatte, sie aber dann auch ganz schnell wieder aus ihrem Leben gestrichen hatte.

Was sollte sie da von diesem Mann erwarten?

„Komm rein!" sagte sie ungnädig. „Was führt dich zu uns?"
Sie bat ihn nicht ins Wohnzimmer, bot ihm schon gar keinen Platz an. Sie wollte ihn hier, im engen dunklen Flur abfertigen, das musste als Raum genügen, den sie ihm in ihrem Leben zugestand.
Er verstand die Zeichen, hatte nicht mehr erwartet, nachdem sie sich auf seinen offenen Brief nicht gerührt hatte.

„Also?" forderte sie ihn noch einmal auf.

„Dein Professor ist ein guter Freund von mir. Ich war froh, als ich erfahren habe, dass du in München studierst, hatte gehofft, dich einmal treffen zu können. Aber jetzt hat er mir erzählt, dass du Jura hinschmeißen willst. Er war sehr unglücklich darüber, und ich bin es auch. Ich habe gedacht, vielleicht kann ich dich umstimmen."

Er sah sie offen an, senkte auch unter ihrem mörderischen Blick die Augen nicht. Dem zollte sie Respekt. Es war sicher nicht leicht für ihn gewesen, diesen Schritt zu tun.
Sie öffnete die Wohnzimmertüre, machte ihm ein einladendes Zeichen.

Alex hatte die Glocke geweckt, aber er hatte keine Lust, das Bett zu verlassen, das von der leidenschaftlichen Nacht vollkommen zerwühlt war.
Dann hörte er Stimmen aus dem Wohnzimmer, stellte sich auf seine noch immer etwas kraftlosen Beine, schlüpfte in Jeans und Hemd.

Er betrat den Raum, ihr Vater sah ihn überrascht an. Lena stellte die beiden einander vor.
„Dr. Seifert, mein Erzeuger – Dr. Borchert, mein Verlobter!" Müde ließ sie sich auf einen Stuhl fallen.
Alex ahnte, welchen Anblick er bot. Die langen, dunklen Haare hingen ihm wirr ins Gesicht, seine Haut war noch immer grau vom Krankenhausaufenthalt, unter den Augen lagen dunkle Ringe. Er trug eine zerknitterte Jeans und ein ebensolches Shirt.

Lenas Vater musterte ihn eindringlich, gab ihm schließlich vorsichtig die Hand.
„Doktor in welchem Fach?" Etwas anderes fiel ihm nicht ein.
„Maschinenbau!" antwortete Alex knapp.

Lena begann zu lächeln. Für die Gedanken des Herrn Dr. Roman Seifert hätte sie im Augenblick mehr als einen Penny bezahlt.

„Alex hatte einen schweren Autounfall. Er ist vor ein paar Tagen erst aus dem Krankenhaus gekommen." informierte sie den Besucher. „Normaler Weise sieht er ganz passabel aus! Durchaus vorzeigbar!"
Ihr kleiner Scherz entspannte die Lage etwas.

Alex nahm sie in die Arme. „Kaffee?" fragte er leise in die Runde. Seine Stimme hatte in der vergangenen Nacht doch stärker gelitten, als er vermutet hatte.
„Danke! Gern!" antworteten die beiden Gefragten gleichzeitig.
Alex machte sich an der kleinen Küchenzeile zu schaffen. Da meldete sich Sia, die in einer Ecke des Zimmers in ihrer Wiege geschlafen hatte.

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