Kapitel 80

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Dr. Alexander Borchert

Zwei Tage später meldete der Portier ihres Hotels Marc und Astrid, dass ein Chauffeur der Holbein-Werke auf sie wartete.
Astrid hatte gar nicht mehr an das Versprechen von Olivias Bruder gedacht, war der Meinung gewesen, die Sache sei durch ihre Entschuldigung aus der Welt.

Marc dagegen hatte sehr darauf gehofft, dass der sympathische junge Mann sein Versprechen halten würde. Nicht zuletzt, um seiner Frau ein für alle Mal die unangemessenen Allüren auszutreiben. 

Er war an Bills Verlobungstag schon etwas verärgert über ihr Verhalten gewesen, auch wenn sie sich danach entschuldigt hatte.
Aber er befürchtete, dass die Arroganz, die ihr so gar nicht stand, und die ihr, wie er ihr zwar nie gesagt hatte, wie er aber durchaus manches Mal empfand, auch nicht zustand.

Auch er bildete sich nichts auf seinen ererbten Reichtum ein, sie sollte es noch weniger tun!
Obwohl er sie über alles liebte wie seit dem ersten Tag, sah er dieses Benehmen durchaus kritisch.

Schnell liefen sie zum Portal des Nobelschuppen, in dem sie untergebracht waren.
Karl stand neben der Geschäftslimousine, die Kappe in der Hand.
Er setzte sie auf, öffnete die hinteren Türen. „Mrs. Graham! Mr. Graham!" begrüßte er sie beide.

In der eindrucksvollen Empfangshalle meldete er die Besucher bei der nicht minder eindrucksvollen Empfangsdame an.

„Herr Dr. Borchert befindet sich noch in einem Meeting!" säuselte die wunderschöne, junge Dame. „Nehmen Sie doch bitte Platz! Darf ich Ihnen etwas bringen? Einen Kaffee? Ein Glas Champagner?"
„Ein Glas Wasser, bitte!" stammelte Astrid, die schon sehr überwältigt war von dem Ambiente.

Alex war wirklich ernstlich verhindert, die Besucher zu empfangen. Er musste mit seiner heißen Ehefrau einen mehr als heißen Chat zu Ende bringen.
Chantal hatte Anweisung, Bills Eltern 30 Minuten lang festzuhalten, die Zeit konnte er gut für eine seiner Lieblingsbeschäftigungen nutzen.
„Madame Astrid wartet unten. Ich denke mal, sie hat eine kleine Lektion verdient, was geschieht, wenn man auf ein Mitglied der Familie Borchert herunterschaut!" schrieb er.
„Oh! Oh!" antwortete sie. „Das Universum schlägt zurück!"

Er schickte einen lächelnden Smiley.
A: Wo bist du gerade?
L: Im Badezimmer!
A: Was hast du an?
L: Eine Kittelschürze und Jogginghosen!
A schickte einen Smiley, der sich die Augen zuhielt. Das waren die beiden Kleidungsstücke, die er am
meisten hasste.
L: Soll ich sie ausziehen?
A: Hechel, hechel, hechel! Ganz schnell!
L: Erledigt!
A: Schick ein Foto!
Sein Handy meldete eine Bilddatei.
A: rztmlikc!
L schickte einen Tränen lachenden Smiley.
A: Soll ich Olivias Schwiegereltern jetzt mit einem Riesenständer empfangen?
L: Du wolltest es so haben!
A: Stimmt! Ich liebe Riesenständer!
L: Ich auch!
A: Komm vorbei! Du kannst ihn haben!
L: Ein Quickie, während die distinguierten Engländer auf dich warten?
A: Würde mir verdammt gefallen!
L: Du bist ein Lustmolch!
A: Immer wieder gerne!

Es klopfte an der Türe. Birgit steckte den Kopf herein. „Mr. und Mrs. Graham!" meldete sie.
„Bitte sie noch um zehn Minuten Geduld!" antwortete er.

A: Erzähl mir eine Gruselgeschichte, damit ich runterkomme.
L: Da waren zwei Männer, die haben eine Frau entführt und sie dann aufgegessen!
A: Danke, schlimmes Weib! Wo hast du eine so perverse Fantasie her?
L: Stand im Netz!
A: Gut! Jetzt kann ich die beiden empfangen! Danke!

Er drückte auf den Knopf, um Birgit zu signalisieren, dass er bereit war. Strahlend lief er dem Ehepaar entgegen, ganz der coole Managertyp, der es gewohnt war, dass Menschen  warteten, bis er sie empfing.
Er deutete bei Astrid einen Handkuss an, schlug Marc auf die Schulter.
Für die Wartezeit entschuldigte er sich nicht.

Dann begann er seine Führung. Und anders als bei Lena zeigte er sich nicht als bescheidener Mitarbeiter unter Mitarbeitern, sondern als allmächtiger Chef und Entwickler.

Seine Leute waren eingeweiht, spielten gerne mit bei der großen Show.
Alle paar Minuten kam einer an, stellte unaufschiebbare Fragen, hielt ihm irgendwelche bedruckte Blätter zur Unterschrift hin.

Dazwischen läutete ununterbrochen sein Handy, er gab Anweisungen am laufenden Band, die eigentlich vollkommen sinnfrei waren.
Marc vermutete seinen Teil, kannte sich im Big-Business ein wenig aus, machte das Spiel aber gerne mit, da er die Intension von Livys Bruder ahnte. Astrid dagegen folgte dem leitenden Direktor ehrfürchtig.

Er schien ja unheimlich wichtig hier im Werk zu sein.
Und sehr erfolgreich, wie die zahlreichen Urkunden über Patente, die in der Halle hingen, bewiesen.

Sie ahnte nicht, dass Birgit die alle auf Alex' Bitte hin entworfen und ausgedruckt hatte. Es handelte sich um vollkommen frei erfundene Bauteile. Dirk hatte sie unterstützt, und sie hatten viel Spaß dabei gehabt.

Der Hausmeister hatte heute Morgen lachend die aufwändig gerahmten Blätter im Foyer an einer Leiste befestigt, an der normaler Weise Ansichten von den verschiedenen Werken hingen, würde sie nach dem Besuch wieder abnehmen.

Er kannte Livy, seit sie auf der Welt war, hatte ihren Vater angebetet, würde alles für dessen Kinder tun.
Die hochnäsige Lady aus England, die es gewagt hatte, auf die Borchert-Kinder hinabzusehen, bräuchte eine Lektion!

Nach der zweistündigen Führung, während der Alex mehr als einmal gegen eine Lachanfall ankämpfen musste, so aufgesetzt und durchschaubar schien ihm alles zu sein, führte er das Ehepaar ins Casino. Auch der Koch und die Bedienungen waren eingeweiht, servierten ein Menü der Extraklasse.

Immer wieder läutete sein Handy, meistens war es Birgit, die seine unsinnigen Anweisungen grinsend entgegennahm. Das war ein Spaß heute!
In der Kantine war der Fake Tagesgespräch gewesen!

Als I-Tüpfelchen gesellte sich Max zu der Tischgesellschaft, schwärmte in höchsten Tönen von Alex' Qualitäten, seinem Anteil am Geschäftserfolg aller Werke, von seiner großen Zukunft.

Schließlich klopfte er dem Jüngeren auf die Schulter. „Aber jetzt komm bitte! Die Amerikaner warten schon über eine Stunde! Da geht es immerhin um 16 Millionen. Und mit mir wollen sie sich nicht begnügen!"

Die beiden verabschiedeten sich von Marc und Astrid, die während der letzten Stunden kaum ein Wort gesagt hatte und auch den Mund kaum zugebracht hatte.

Karl stand bereit, um das Ehepaar ins Hotel zurückzubringen.
Nie wieder würde Bills Mutter herablassend über Olivia und ihre Familie sprechen, davon war sie mehr als überzeugt!

In seinem Büro klatschten sich Max, Alex und Birgit herzhaft lachend ab.
Sie hatten eine tolle Show abgeliefert!

Als Alex sicher sein konnte, dass die Besucher das Haus verlassen hatten, schaltete er den Lautsprecher für Durchsagen ein. „Ich danke euch allen! Ihr wart großartig! Ab jetzt können wir wieder in den Normalbetrieb übergehen!" rief er ins Mikrofon. Tosender Applaus war zu hören.

Danach telefonierte Alex mit der Personalabteilung, wies an, dass Birgit 10 Prozent Gehaltserhöhung bekommen sollte. Nicht nur wegen heute, sie macht grundsätzlich einen tollen Job.

Es erschien ihm nur angebracht, sie besser zu bezahlen, als ihre unangenehme Vorgängerin Sandra alias „Sandrine".
Und weil er gerade dabei war, forderte er auch noch 2000 Euro steuerfreie Sondergratifikation für seine perfekte Assistentin.


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