Kapitel 6

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Alex

Alex schüttelte die Beunruhigung ab.
Er wollte nur nach vorne sehen.
Er machte ein opulentes Frühstück, das er sich auf der Dachterrasse schmecken ließ.
Wie schön wäre es, wenn Lena hier neben ihm sitzen würde.Wenn er sie eine Woche später kennengelernt hätte!
Wenn er eine Woche früher mit Evi gesprochen hätte!

Dann zog er die Betten ab, steckte die Wäsche in die Maschine.
Anschließend gönnte er sich eine Zigarette auf dem kleinen Balkon, träumte vor sich hin, fühlte alle ihre Zärtlichkeiten wieder, fühlte sie, fühlte sich in ihr, fühlte ihren Körper, der so wunderbar gelenkig war.

Es störte ihn nicht, dass er hart wurde, er wollte die Erinnerungen an alles, was er in der Nacht erlebt hatte, wach halten.
Langsam wurde er ungeduldig.
Jetzt sollte Evi endlich kommen, er würde mit ihr sprechen und konnte dann Lena anrufen.
Eine Stunde später hörte er den Schlüssel in der Türe.
Er sprang auf, ging ihr entgegen.
Jede Sekunde zählte jetzt.

Er brauchte Lena, um wieder atmen zu können.
Seltsamerweise fiel ihm seine Freundin strahlend um den Hals.
Das hatte sie schon ewig nicht mehr gemacht.
Meistens war sie müde und missmutig nach Hause gekommen, hatte erst ein Glas Wein gebraucht.
Seltsamerweise leuchteten ihre Augen, als sie ihn an der Hand nahm und ins Wohnzimmer zog.
Seltsamerweise setzte sie sich auf seinen Schoß und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Seltsamerweise verstand er kein Wort davon, obwohl er sehr gut verstanden hatte.
Aber sein Gehirn weigerte sich, die Worte zu verstehen.

„Was hast du gesagt?" stieß er hervor.
„Du wirst Vater! Wir bekommen ein Baby!" Sie betonte jedes einzelne Wort.
Nein! brüllte sein Herz
Nein! brüllte seine Seele.
Alles ist vorbei! brüllte sein Verstand.
„Warum jetzt? Warum heute?" Irgendjemand hatte ihr diese Frage gestellt.
Ob er das selbst gewesen war?

„Na, ich denke mal, es wird Zeit, oder? Du hast dir doch immer Kinder gewünscht." Sie sah sehr glücklich und zufrieden aus.
Der Fremde, der auf seinem Platz saß, fragte weiter. „War das Absicht oder ein Unfall?"
„Nein, das habe ich schon so geplant. Ich wollte dich überraschen!" gab sie, immer noch strahlend, zu.

Geplant!
Sie hatte das geplant!
Sie hatte geplant, ihn zu zerstören!
Sie hatte gefühlt, dass er am Gehen war, dass für ihn ihre gemeinsame Zeit zu Ende war, hatte ihn in die Babyfalle tappen lassen, hatte ihn reingelegt.
Deshalb der Anfall von Sexsucht vor ein paar Monaten.
Drei, wenn er sich erinnerte.
Und sie hatte so lange damit gewartet, es ihm zu sagen, damit eine Abtreibung nicht mehr möglich war.

Er schob sie von seinen Beinen und stand müde auf.
„Du freust dich ja gar nicht!" stellte sie fest und machte einen Schmollmund.
Alex sah ihr offen ins Gesicht, und sie erschrak über den Hass in seinen Augen.
Das hatte sie nicht erwartet.
Dass er etwas überrascht sein würde, ja, das schon.
Aber dann würde er sich auf sein Kind freuen. Doch danach sah es im Augenblick gar nicht aus!
„Nein, Evi, ich freue mich nicht. Ich wollte mich heute von dir trennen, wollte dich bitten, mich frei zu geben. Ich habe gestern ein Frau kennengelernt."
Seine Stimme hatte keinen Klang, hörte sich an, als hätte ein Roboter gesprochen.

Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Das ist ja nicht die Erste, nicht wahr?"
Er sah sie durchdringend an. „Doch, das ist die Erste!"
„Ah!" spottete sie. „Große Liebe! Für wie lange? Wir sind ein Paar, Alex, wir werden Eltern. Wir werden eine Familie sein."
Und durch sein Gehirn schoss nur ein einziges Wort: „Nein!"
Dieses Spiel würde er nicht mitmachen.
Er hatte nur ein Leben.

Viele Jahre hatte er sich um seine Mutter und Schwester gekümmert, und er hatte es gern getan.
Dieses Kind hatte er nicht gewollt, und er würde den Teufel tun und jetzt den Familienvater spielen.
Er sprach seine Gedanken aus. „Nein, Evi, wir werden keine Familie sein. Ich werde für das Kind bezahlen, was ich zahlen muss. Aber ich werde kein Vater sein. Ich will leben, und ich will Lena."

„Ach! Die Herumhurerei ist dir wichtiger als dein Sohn oder deine Tochter?" Sie war wütend und verletzt.
Er hatte sie ja nicht mehr alle! Bisher war er doch auch immer so gefügig gewesen.
Sie war bei ihm eingezogen, hatte ihn all die Jahre doch gut im Griff gehabt.
Sie hatte ihm seinen Spaß mit anderen Weibern gelassen, von ihr aus konnte er den auch weiterhaben.
So lange er immer wieder nach Hause kam.

Er blieb relativ ruhig und gelassen, was ihn selbst verwunderte.
Aber sein Weg war klar, seine Entscheidung getroffen.
„Und das Püppchen wird sich sehr freuen, dass ihr Loverboy Vater wird!" knallte sie ihm noch hin.
„Lass Lena da raus!" bat er leise.
„Weiß sie von mir?" fragte sie süffisant lächelnd.
„Ja!" antwortete er nur.
„Hast du es ihr erzählt, bevor oder nachdem du sie gevögelt hast?" Das Blut rauschte in ihren Ohren.
„Ist das seit neuestem dein Sprachniveau?" fragte er.
Die ganze Diskussion kotzte ihn an.
Er musste weg!
Er musste hier raus!
Er musste nachdenken!
Er musste mit jemandem sprechen!

Er griff nach seinem Schlüssel, seinem Handy, seinem Portemonnaie, zog Schuhe an und ging zur Türe.
Evi krallte sich an seinem Arm fest.
„Du gehst jetzt nicht! Du bleibst hier! Du stellst dich deiner Verantwortung!" kreischte sie.
„Nein!" sagte er und sah sie mitleidig an. „Dieser Verantwortung werde ich mich nicht stellen. Das ist dein Bier, das du dir eingeschenkt hast!"

Er schüttelte sie ab, ging hinaus. Sie brüllte noch eine Weile Beschimpfungen hinter ihm her.
Als der Aufzug sich öffnete, sagte er seelenruhig: „Schrei ruhig weiter. Die Nachbarn wird es freuen."
In seinem Auto atmete er kurz durch, dann fuhr er los.

Wohin? dachte er nach ein paar Kilometern und hielt am Straßenrand an.
Seine Freunde waren mittlerweile alle verheiratet und mehr oder weniger glückliche Familienväter.
Sie würden ihn nicht verstehen können.
Wahrscheinlich wäre der eine oder andere sogar schadenfroh, dass es ihn auch erwischt hatte.
Sein Herz schrie nach Lena, aber er musste erst die Gedanken in seinem Kopf ordnen, bevor er mit ihr sprechen konnte.
Sie kannten sich noch zu wenig, als dass er diese ganze Last bei ihr abladen konnte.
Aber texten konnte er ihr.
Hallo, Süße! Es gibt ziemliche Probleme,
unerwartete Probleme! Doch trotzdem bitte
ich dich, mir zu vertrauen!


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