Kapitel 2

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Alex

Alex hatte den Bus nehmen müssen, seine Nobelkarrosse stand in der Werkstatt.
Wieder einmal!
Diese hochgezüchteten Autos mit ihrer Elektronik, bei der immer irgendetwas versagte!

Er war es nicht mehr gewohnt, so eng mit wildfremden Menschen zusammen zu sein, verschiedene Körperausdünstungen einatmen zu müssen, fremde Körper so nah an sich zu fühlen.

Bis sie einstieg.
Er hatte schon durch das Fenster ihr strahlendes Gesicht gesehen, war hin und weg von dieser Schönheit.
Warum sie wohl so glücklich aussah?

Wahrscheinlich hatte sie gerade heißen Sex mit ihrem Freund gehabt!
Alex! schalt er sich. Spinnst du?
Kann schon sein! antwortete er.
Sie war jung, sehr jung!
Vielleicht 20?
Sie war das schönste weibliche Wesen, das er je gesehen hatte.

Er konnte nicht anders, als ihr zuzulächeln, mehr würde ihm ja nie vergönnt sein!
Er war 30, in festen Händen, also noch zumindest!
Sie lächelte zurück, sein Herz fing an zu rasen, in seiner Hose bewegte sich etwas sehr interessiert.
Das ist jetzt nicht wahr! dachte er. Er bekam einen Ständer im Bus, weil ein schönes junges Mädchen ihn angelächelt hatte?

Als sie ausstieg, ihm noch ein Lächeln schenkte, rührte sich auch irgendetwas in ihm drin.
Er sah ihr nach, wie sie durch die Straße tanzte.
Sie hatte so glücklich ausgesehen, so zufrieden mit sich und der Welt.
So hätte er sich auch gerne mal wieder gefühlt!

Kopfschüttelnd stieg er im Westen aus, bummelte zu seiner Wohnung.
Er hatte es nicht eilig, es wartete niemand auf ihn.
Evi würde erst am Samstag wieder zurückkommen.

Evi!
Mein Gott, was sollte er nur tun?
Er wollte diese Beziehung, die schon eine ganze Weile keine mehr war – oder nie eine gewesen war? - beenden!
Er musste es ihr sagen, dieses Mal musste er mit ihr sprechen!
Vielleicht war sie ja auch froh, wenn sie wieder frei war?

Andererseits, sie war 35, für sie würde es nicht leicht werden, einen Nachfolger für ihn zu finden!
Aber er konnte doch nicht aus lauter Mitleid sein Leben vergeuden!
Fünf Jahre waren sie jetzt zusammen.
Er hatte damals gerade sein Studium beendet und war mit Freunden auf Malle gewesen, um es vor dem Start ins Berufsleben noch einmal richtig krachen zu lassen.

Da hatte sich Evi an ihn gehängt, vom ersten Tag an.
Er war sauer gewesen, weil er eigentlich lieber in mehreren Gewässern gefischt hätte.
Doch als seine Kumpel tagelang vergeblich gebaggert hatten und Abend für Abend alleine einschlafen mussten, war er mit seinem Los wieder zufrieden.

Sie war schon ein heißer Käfer gewesen, damals, als sie noch gut 20 Kilo weniger auf die Waage gebracht hatte!
Dass sie fünf Jahre älter war als er, hatte er erst erfahren, als sie sich schon in seiner Wohnung einquartiert hatte.
Sie hatte nicht lange nachgefragt, hatte sich eine Stelle als Apothekenhelferin in seiner Stadt gesucht, hatte beschlossen, dass es unsinnig wäre, zwei Mieten zu bezahlen.

Seitdem hatte er sie an der Backe!
Anfangs war der Sex wenigstens noch ein guter Ausgleich für den Verlust seiner Freiheit, aber das hatte sich schnell geändert.
Ein Jahr später war sie als Pharmaberaterin in den Außendienst gegangen, war nur noch am Wochenende nach Hause gekommen.
Da hatte er die Wochentage teilweise sehr gut genutzt, also eher die Nächte.
Da war er lange Zeit mit der Situation zufrieden gewesen.
Aber langsam wollte er eine Familie, Kinder, eine Frau, mit der er zusammenleben konnte.
Aber das wollte er auf keinen Fall mit ihr.
An diesem Wochenende würde er es ihr sagen!

Da fiel ihm das hübsche Mädchen aus dem Bus wieder ein.
Okay!
Einen solchen Schmetterling würde er nicht einfangen können, aber die Richtung wäre es schon, so vom Äußeren her.

Da läutete sein Handy.
Er verdrehte die Augen, als er sah, wer dran war und ahnte schon, was gleich kommen würde.
„Schwesterchen? Hallo, Kleine! Und nein! Ich werde nicht mit dir zu dieser Party gehen!" begrüßte er Olivia, seinen Augenstern und Sargnagel.

Olivia holte tief Luft.
Sie musste ihn überreden!
Sie musste es schaffen, dass er sich neu verliebte!
Sie musste ihn von dieser Evi wegbekommen!
Ihren Helden von Bruder würde sie nie und nimmer aufgeben!
„Alex! Bitte!" Sie legte all ihr Herzblut in diese zwei Worte.

Er lachte. Wenn sie ihm so kam, zerschmolz er normaler Weise zu einer Pfütze aus Wachs.
Dann durchblitzte ihn ein Gedanke.
Vielleicht wäre die Idee gar nicht so schlecht!
Vielleicht fand er da ein Mädchen wie die Schönheit im Bus!
Umsehen konnte er sich ja mal!

„Okay! Du hast gewonnen! Ich hole dich am Freitag um acht ab. Recht so?" gab er sich scheinbar geschlagen.
„Du bist der allerbeste, allerliebste, allernetteste Bruder der Welt!" rief sie begeistert.
„Der allerschönste hast du vergessen!" zog er sie auf.
Sie lachte. „Das weißt du eh, wie toll du aussiehst!"
„Ein Mann hört das immer gerne!" hielt er dagegen.
„Von seiner Schwester?" fragte sie theatralisch erstaunt.
„Notfalls!" antwortete er lachend.

Olivia tat diese Antwort weh, wenn sie auch als Scherz gedacht war.
Aber ein Körnchen Wahrheit steckte schon dahinter!
Die Evi-Kuh, wie sie sie für sich nannte, schien nicht mehr zu wissen, was sie für ein Prachtexemplar von Mann abbekommen hatte!
Hielt sich selbst für unwiderstehlich, obwohl der Schmelz der Schönheit längst ab war!
Beim Gesicht und vor allem bei der Figur!
Olivia ahnte schon, dass Alex sich auch außerhalb des gemeinsamen Bettes vergnügte, sie gönnte es ihm von ganzem Herzen!
Aber warum löste er sich denn nicht ganz von der Frau?

„Also, dann bis Freitag! Und putz dich raus!" riet sie ihm und legte auf.
Alex schmunzelte vor sich hin.
Sein Schwesterchen!
Sie war zwölf gewesen, als der Tod des Vaters eine unheilbare Wunde in ihr Herz gerissen hatte. Der damals Zwanzigjährige hatte versucht, ihr den Verlust zu erleichtern.
Von dem Tag an musste er der Mann im Haus sein.
Er hatte es gern getan, auch wenn es oft schwierig war.
Er hatte wenig Zeit gehabt, jung zu sein.
Langsam hatte Livy ins Leben zurückgefunden, wie auch seine Mutter.
Langsam könnte er anfangen zu leben!


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