distracted

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slight mention of panic attacks
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Obwohl ich zwischen sieben und acht Stunden geschlafen habe, fühle ich mich so, als hätte ich die ganze Nacht nicht ein Auge zugetan. Dementsprechend verlängere ich meinen Wecker drei Mal um zwei Minuten und muss mich zusammenreißen um, anstatt ein viertes Mal zu verlängern, nach unten zu gehen und meine Mom mich bei der Schule abmelden zu lassen. Ich sage ihr, dass ich nicht schlafen konnte und sie versteht sofort, obwohl sie so aussieht, als hätte sie mich am liebsten direkt wieder zum Arzt geschleppt.
Verständlich, nach fast drei Monaten, in denen alles okay war.
Ich verfluche San ein ums andere Mal, aber schaffe nur halbherzig, mich über ihn aufzuregen. Oben krieche ich wieder ins Bett und kann zum Glück direkt wieder einschlafen.

Als ich das nächste Mal aufwache ist es halb eins und draußen zu hell, um wieder einzuschlafen. Seufzend schwinge ich mich aus dem Bett und tapse die Treppe runter in die Küche, wo ich mir Essen und einen Tee mache, frühstücke und verziehe mich dann wieder nach oben. Ich öffne meine Fenster, höre dem entfernten Lärm der Stadt zu und atme einmal tief durch, bevor ich mein Handy zur Hand nehme.

Instagram und Snapchat präsentieren mir genug Nachrichten für einen ganzen Tag und ich verziehe das Gesicht, ehe ich mich an 21 WhatsApps von Yeosang wage.

Sorry, musste ausschlafen.

Er ruft nachher sowieso an. Den Rest der Nachrichten beantworte ich, ohne ihm große Aufmerksamkeit zu schenken. Danach klicke ich mich kopfschüttelnd durch die Snaps, die zu 60 Prozent aus Videos aus Clubs bestehen. Ich werde wohl nicht der Einzige sein, der heute nicht in der Schule war. Auf Insta sehe ich, dass ich noch ein paar Follower mehr dazu bekommen habe und die vermutlich letzten Posts in den Storys meiner Mitschüler verschwunden sind. Yeonjun hat mir geschrieben.
Fuck.

Yooo, Wooyoung, hab ich dich so lange nicht mehr Tanzen sehen oder hast du dich nochmal um Welten verbessert? Ich glaube beides. Das war ja heftig am Wochenende was ich gesehen hab. Und nein, ich hab nichts von Yeosang, ich hab nur dein Insta gestalkt, hahaha. Sehen wir uns heute nach dem Training? Bin später mit Beomgyu im Studio, fahren wir danach wieder zusammen?

Irgendwie ist es ja meine eigene Schuld, dass er mich Tanzen gesehen hat. So lange er keine Kommentare macht, in denen er mich mit meinem Cousin vergleicht ist alles okay. Ich schiele schnell auf die Uhr, um abzuwägen, ob ich das Training noch schaffe.

Jaa, danke. Dabei hab ich doch so gut versteckt, dass mich niemand Tanzen sieht :(. Auf jeden Fall bin ich nachher beim Training, wir fahren so wie immer, denk' dran heute ist Montag. Und sag Beomgyu er schuldet mir noch Apfelsaft hhahah.

Es hat gedauert, bis meine Mom verstanden hat, dass Tanzen mir wirklich hilft, über meine Attacken hinwegzukommen. Sie hat nur den Kopf geschüttelt, wenn ich Tage nur zuhause rum liegen konnte, aber doch zum Training gegangen bin. Am Anfang hat mich das wütend gemacht. Als ob sie nicht mal versuchen würde, mich zu unterstützen. Dann habe ich sie verstanden, weil mein Verhalten mir selbst irgendwann unverständlich vorkam. Tanzen. Das, was mich am meisten mit Siyoung verbunden hat, und klar hatte ich meine Zusammenbrüche am Anfang, hat mir am Ende immer am besten geholfen über meine Downs hinwegzukommen. Egal wie fertig ich war, nach Tagen, in denen ich von der einen Panikattacke in die Nächste gerutscht bin, sobald ich im Studio stand war alles andere vergessen.

So geht es mir auch jetzt. Immer noch nicht vollkommen fit, aber mit einem vorsichtigem Lächeln im Gesicht stehe ich neben Hwanwoong und mache mich gemeinsam mit ihm warm. Wir tanzen immer noch zu Cool Kids, sind aber schon ein ganzes Stück weiter gekommen. Bevor wir alleine anfangen zu arbeiten tanzen wir wie immer ein Lied als Gruppe, das wir schon länger fertig haben. Als ich mich neben Jake auf meine Position in der zweiten Reihe stelle merke ich trotz meiner freudigen Stimmung, dass ich körperlich wirklich fitter sein könnte. Sofort verschiebe ich den Gedanken nach ganz weit hinten in meinen Kopf und gehe schnell die Schritte noch einmal durch.

Das ich alles richtig tanze verleiht mir neuen Mut und ein bisschen mehr Kraft, als ich mich wieder mit Hwanwoong zusammenschließe. „Naa, wie geht's Mr. Ich-bin-jetzt-instagramberühmt so?", werde ich mit einem schelmischen Grinsen begrüßt. Ruhig bleiben Wooyoung.
Ich atme tief durch und grinse zurück. Eine Stunde. Nur eine Stunde.
„Ach komm. So gut war das jetzt auch nicht und berühmt bin ich noch lange nicht." Hwanwoong zieht direkt die Mundwinkel nach unten. „Red dich nicht schlechter als du bist. Du hast wirklich außerordentlich gut getanzt. Das war wirklich sehr, sehr gut." Zur Betonung stemmt er die Hände in die Hüften und macht einen gespielt ernsten Gesichtsausdruck. Ich muss darüber lachen wie er aussieht und gebe mich geschlagen. Für den Moment. „Okay, okay. Danke. Wirklich. Ich bin nicht hundert Prozent zufrieden, aber bei so vielen Leuten, die mein Tanzen so toll fanden, habe ich ja wohl die Nachsicht."
Hwanwoong nickt, als ob es selbstverständlich wäre, dass ich einsehen muss, wie gut ich war. Ich lenke schnell von Thema ab, als ich sehe, dass die anderen in ihren Gruppen anfangen an Cool Kids weiterzuarbeiten. „Na gut, komm. Lass uns die Choreo weitermachen." Er nickt wieder.

Bis zum Ende der Stunde sind wir dann tatsächlich auch gut dabei. Das Intro haben wir beendet und uns der ersten Strophe gewidmet. Wir sind zum Glück nicht mehr auf die Partynacht zusprechen gekommen und im Laufe der Stunde konnte ich mich langsam soweit entspannen, dass ich am Schluss erschöpft, aber ausgepowert, in meinen Gedanken eine beruhigende Stille höre.

Keep me | WoosanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt