focused

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Den ganzen restlichen Tag kann ich mich nicht richtig auf meinen Unterricht konzentrieren, weil ich mir immer wieder ausmale, wie es sein wird, mit San zu tanzen. Wird es so wie auf der Party? Oder anders weil wir alleine sind? Wie sieht sein Studio aus? Wie tanzt San alleine? Muss ich vor ihm tanzen? Tanzt er vor mir? Überlebe ich das?
„Man Wooyoung. Wir haben uns jetzt schon zum dritten Mal berührt weil du zu nah an mir dran standst. Konzentrier dich jetzt mal.", unterbricht Hwanwoong meine Gedanken.
„Was?", mache ich gewohnheitsgemäß, „Ja, ja, tut mir leid. Ich bin jetzt wirklich voll und ganz da." „Deine Haare haben das mit dem neuen Kapitel wohl ein bisschen zu ernst genommen. Nicht das du mir jetzt alle Schritte vergisst. Sieht übrigens aber sehr gut aus." „Danke.", muss ich lächeln, obwohl er natürlich Recht hat. Ich war viel zu abgelenkt und das darf nicht nochmal passieren, sonst kann sich Hwanwoong wirklich einen neuen Tanzpartner suchen.

Die restliche Stunde versuche ich wirklich mich zu konzentrieren und wir machen tatsächlich Fortschritte, aber am Ende spüre ich mein Knie schon fast bei jedem Schritt. Dementsprechend breche ich die letzte intensive Choreo vorzeitig ab und fange an, mich zu dehnen, um den Schmerz auszugleichen. Auf dem Weg nachhause begleitet mich heute Taehyun, mit dem ich sonst eher nicht so viel zu tun habe, aber es tut ganz gut jemanden neben sich zu haben und nicht alleine fahren zu müssen.

Zuhause kann ich direkt essen und mich danach an meine Geschichtshausaufgaben setzten, weil ich schon im Studio geduscht habe und das also von meiner to-do Liste wegfällt. Bis ich aber im Bett liege und endlich die Augen schließen kann, bleibt das unangenehme, unregelmäßige Pochen in meinem Knie.


Das Erste, was ich nächsten Morgen mache ist, mich vom Training abzumelden. Obwohl ich nicht mit San tanzen gehe, gebe ich mir diesen Freitag eine Pause. Ich sehe ein, dass es vermutlich schlauer ist und meinem Knie besser tut, wenn ich ein paar Tage nicht tanze.

Der Himmel ist verregnet als ich losgehe und auf dem Weg lasse ich Yeosang über seine Wochenendpläne mit Seonghwa erzählen. Bis wir an der Bushaltestelle sind bin ich zwei Mal halb in eine Pfütze getreten und an meinen Hosenbeinen kleben nasse Dreckklumpen. Ich versuche tief durchzuatmen bis wir in der Schule sind und mich mental auf Chemie vorzubereiten. Vielleicht sollte ich San nach Nachhilfe fragen wenn er...
Ich stoppe mich bevor ich den Satz bewusst weiterführe. Aber das er Chemie kann ist mir neulich schon aufgefallen. So ordentliche Lernzettel macht man nur, wenn man auch einen Plan von dem hat, was man aufschreibt. Und gestern am Spind. Er hat freiwillig in seinem Chemiebuch gelesen. Wenn das mal nicht genug Beweis ist.
Und ich stoppe mich nochmal. Im doppelten Sinne, denn ich stehe jetzt vor meinem Klassenraum und schnipse mich zurück in die Realität. Jeder Gedanken daran, dass ich schon wieder zu viel an San denke und mir alle möglichen Szenarien ausmale wird ganz konsequent ausgeklammert.

Nachdem ich in Chemie wieder endlos verzweifle, ziehe ich es tatsächlich nochmal ernsthaft in Erwägung, San um Nachhilfe zu beten. Yeosang ist zu beschäftigt mit Seonghwa und damit, seine eigenen Noten oben zu halten, also fällt er weg.
In Geschichte lese ich meine mehr schlecht als rechten Aufgaben vor und hole mir den gefalteten Zettel mit Feedback von meinem Lehrer ab, den ich nur kurz überfliege und dann ganz hinten in die Mappe stecke.
Worauf ich mich heute tatsächlich freue ist Yunho im Theaterunterricht. Ich kann ihn mit Mingi nerven und er erzählt mir allen möglichen tea den man wissen muss. Und auch den, bei dem man es nicht tut. Schon als er durch die Tür kommt und unserem Lehrer die Arbeitsblätter balanciert muss ich grinsen, aber warte geduldig, bis er die Sachen abgestellt hat und auf mich zukommt.
„Ayo was geeeht.", setzt er an und streckt seine Hand aus, damit ich einschlagen kann. Innerlich verdrehe ich kurz die Augen. „Nichts, bei dir Bro."
„Aaalles easy. Morgen Abend schmeißt Hyunjin ne Hausparty und ich darf eine plus eins mitnehmen. Interesse?"
Hausi? Ich? Interesse? Woher denn die Idee. „Was ist mit Mingi?", ist mein erster Impuls zu fragen, anstatt mich damit auseinander zu setzen, ob ich überhaupt möchte. „Der ist auch eingeladen." Yunho zieht die Augenbraue ein Stück hoch. „Und sonst willst du niemand anderen mitnehmen?" Ich versuche immer noch Gründe zu finden, warum er mich fragt. „Warum sollte ich. Das ist schon unhöflich von dir grad. Ich frag dich ob du mitkommen willst und du redest dich runter und verurteilst mich das ich frage." „Hey tut mir leid. Ich bins nur nicht gewohnt und du fragst sonst auch nie.", erkläre ich mich bedrückt. Yunho hat schon Recht, meine Reaktion ist wirklich etwas unangebracht.
„Okay das stimmt. Ich dachte nur du hast keine Lust feiern zu gehen. Ihr wart ja früher ein paar Mal mit aber dann nicht mehr. Und alle Einladungen hast du direkt abgelehnt. Aber nach letztem Wochenende dachte ich, du hättest wieder Interesse und ich mag dich und nehme dich gerne mit."

Ich komme nicht zum Antworten, weil der Unterricht jetzt anfängt. Was mich jedoch nicht vom Nachdenken abhält. Eigentlich habe ich das Wochenende nichts vor, ich wollte zwar entspannt machen, ein paar Dinge organisieren, lernen und sowas aber theoretisch hab ich Zeit. Und meine Mom würde es bestimmt erlauben. Aber ich wollte eben auch entspannt machen, mein Knie so viel wie möglich schonen, vielleicht wieder was mit meinen Eltern machen. Das alles abgesehen davon, dass wo Hyunjin ist, San auch nicht weit weg ist. Die Hälfte der Leute von Samstag wird da sein und, und, und. Zum Glück reißt Yunho mich aus meinen Gedanken bevor ich meine social Anxiety die Überhand gewinnen lasse.
„Und was sagt du?" „Ich weiß nicht. Kann ich dir nachher Bescheid sagen?"


Keep me | WoosanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt