balancing

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„Hey Wooyoung."
Er kommt näher und steht jetzt direkt vor mir. Unmerklich umschließe ich das Buch in meiner Hand fester.
„Am Sonntag auch noch mal feiern gewesen oder hat dich Samstag noch so umgehauen das du gestern nicht kommen konntest?"

Fuck. Es war klar, dass es ihm auffällt. Natürlich fällt es ihm auf.
„Nee, hatte gestern einen Termin. Nach Samstagnacht war alles easy, nur ein bisschen wenig geschlafen."
Ich grinse schief und hoffe, dass San mir das abnimmt. Es ist ja auch die Wahrheit. Die halbe Wahrheit.
Ich zögere. „Und wie war dein Wochenende noch so?" „Mit gestern?"
Ich höre wie er lächelt, als ich mich zum Spind drehe und ihn abschließe. Ich nicke und zucke mit den Schultern.
„Hab viel geschlafen und was für die Schule gemacht. Ich bin froh wenn Ferien sind."
Er streicht sich ein paar Strähnen aus der Stirn. Ich nicke zustimmend und mache einen vorsichtigen Schritt in Richtung Ende des Flurs, um mich auf den Weg zu meinem Raum zu machen. Als ob er darauf gewartet hätte versteht er sofort und passt sich meinem Schritttempo an.

„Wir müssen wirklich mal zusammen tanzen.", beginnt er wieder unsere Konversation aufrecht zu halten.
Überrascht zuckt mein Kopf zu ihm. Ich bewundere, dass er sich gemerkt hat, was wir vor gefühlten Ewigkeiten geschrieben haben.
Einfach ja zu sagen ist mir aber zu langweilig. „Schon wieder? Hat dir das Wochenende nicht gereicht?"
Ich lache und schaue ihm herausfordernd in die Augen.
„Ich meine richtig tanzen. Selber die Choreo lernen und sowas. Dann kann man sich viel besser auf sich einstimmen und..."
„Ist gut, mir musst du das nicht sagen.", unterbreche ich ihn, weil wir mittlerweile auf dem Flur angekommen sind, der die Gesellschaftswissenschaftsräume von den Naturwissenschaftsräumen abtrennt.

Ich werde langsamer. San spricht schneller. „Heißt das jetzt ja? Kommt vielleicht ein bisschen komisch so, aber."
„Nein schon gut, können wir gerne machen."
Können wir gerne machen?
Himmel Wooyoung.
„Ich muss jetzt zu Bio.", sage ich, deute hinter mich und versuche, San nicht das Gefühl zu geben, dass ich ihn abwimmeln will. Er guckt zur zweiten Tür links. „Ich hab Chemie."
Er lächelt immer noch. Aber
„Gut, dann.. wir sehen uns bestimmt später und wir schreiben dann wegen des Tanzens." Ich wende mich ab und das Lächeln auf meinen Lippen schraubt diverse Stufen runter. In der Spiegelung der Glastüren, an denen ich vorbei bis fast ans Ende des Flurs gehe, sehe ich wie San den Raum hinter der zweiten Tür von links betritt.
Alles okay, atmen.

In der Pause dropt Yeosang irgendwo zwischen unseren Gesprächen, das er heute mit zu Seonghwa geht um mit ihm zu lernen. Obwohl ich weiß, dass sie wahrscheinlich wirklich nur lernen werden hüpft meine Augenbraue automatisch in die Höhe.
„Er meinte unsere Eltern würden sich wahrscheinlich sehr gut verstehen, weil seine Mom auf jeden Fall ungefähr genauso wie meine denkt."
Er lacht verträumt und so unglaublich ehrlich und fröhlich, dass er mich glatt damit ansteckt.
„Er hat eine kleine Schwester, ich weiß aber nicht genau wie alt, nur noch relativ klein.", redet er weiter aber meine Gedanken driften ab und ich höre ihm kaum noch zu, als ich sehe wie San am anderen Ende der Mensa durch die Tür tritt und sich seinen Weg durch die lauten Schülermassen bahnt.
Mein Blick folgt ihm, fährt sein Outfit ab, zurück zu seinem Gesicht.

Ich lächle immer noch um Yeosang nicht zu enttäuschen. Ich lächle immer noch so bescheuert glücklich als San den Blick hebt. Und mir volle Kanne in die Augen schaut.
Wie mit eiskaltem Wasser begossen zucke ich ein paar Zentimeter zurück. Nicht nur mein Gesicht, mein ganzer Körper. Dabei verrutscht mein Stuhl und erzeugt ein hässliches, lautes Quietschen auf dem Boden.

Die Gespräche in unserer Nähe verstummen, einschließlich Yeosang. Diesmal ist er an der Reihe die Augenbrauen hoch zu ziehen. „Wooyoung?"
Mein Blick zuckt zu ihm. „Ja?"
Er lehnt seinen Kopf leicht nach vorne, schüttelt ihn und verzieht fragen das Gesicht. „Ich.. alles gut." Ich räuspere mich, rücke den Stuhl wieder richtig und setzte mich gerade hin.
„Tut mir leid." Yeosang nimmt seinen Kopf wieder nach hinten und schüttelt ihn jetzt verständnisvoll. „Alles gut."
Ich nicke vorsichtig und werfe einen schnellen Blick über die Schulter zu dem Fleck, an dem San eben noch stand. Er ist weitergegangen und ich sehe ihn mit einigen Jungs aus unserer Stufe reden. Er guckt nicht mehr zu mir.
Atmen. Alles okay.

In den nächsten beiden Stunden Chinesisch muss ich meinen Aufsatz zum Besten geben. Ich habe wirklich den basic move der basic moves gemacht und mir Jackie Chan als Thema ausgesucht. Letzten Mittwoch kam mir das noch sehr niveauvoll vor, jetzt lese ich nur peinlich berührt meine hin geklatschten Sätze, ohne schönes Vokabular und mit dummen Flüchtigkeitsfehlern in der Grammatik. Mit beinahe eingezogenem Kopf warte ich auf das Feedback der Referendarin, die mich mitleidig mustern, bevor sie mir 7 Punkte auf mein Blatt setzt. Ich seufze leise und mache mich daran, den Text noch während des restlichen Unterrichts zu überarbeiten.

In Pgw gebe ich mich geschlagen und lasse Yeosang wortlos abschreiben, da der mit seinen Gedanken schon drei Stunden in der Zukunft hängt. Und ich? Naja ich hänge drei Stunden in der Vergangenheit und versuche durch die absolut anstrengenden Aufgaben in meinem Gewissen den Patzer mit San wieder gut zu machen. Funktioniert so semi gut.

Ich bin heilfroh, als die Stunde beendet ist und ich mich auf den Weg zum Tanztraining machen kann.

Keep me | WoosanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt