𝐾𝐴𝑃𝐼𝑇𝐸𝐿. 2

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„Alice!" Mit einem Ruck wache ich auf und blicke verwirrt umher. Neben mir steht Wini „Du bist wieder eingeschlafen.", bemerkt er.

„Wirklich?" frage ich, während er nickt.

Mein Blick wandert nach draußen. Die Sonne steht bereits tief am Horizont. Wie lange habe ich geschlafen? Ein unangenehmes Gefühl zieht sich durch meinen Magen „Verdammt.," murmele ich, während ich mir frustriert durch die Haare fahre und meine Stirn massiere. „Die Tabletten wieder, hm?" bemerkt Wini und nimmt einen Schluck von seinem Kaffee.

Ich nicke. Die Wächter müssen über meine Krankheit Bescheid wissen, für alle Fälle. Auch wenn die Männer mir ihren Schutz anbieten und versichern, dass sie auf mich aufpassen, mag ich den Gedanken nicht, dass sie mich nur als verletzliche, kranke Frau sehen, auf die sie wie auf ein kleines Kind aufpassen müssen.

„Wann warst du zuletzt beim Arzt?" fragt er.

„Letzte Woche. Meine Medikamente gehen aber viel zu schnell leer.", antworte ich und greife nach meiner Tasche, aus der ich eine kleine Glasflasche mit Flüssigkeit hervorhole. Ich lege sie beiseite und bereite eine Spritze vor. „Wie lange habe ich geschlafen?" frage ich Winston.

Er blickt auf die Uhr „Zwei Stunden."

Ein lautes Seufzen entweicht meinen Lippen, während ich mir die Flüssigkeit langsam in die Vene spritze. Ich schließe kurz die Augen, packe die Sachen weg und klebe ein Pflaster auf die kleine Wunde. „Ich hoffe, dieser ganze Mist hat bald ein Ende."

Wini sieht mich besorgt an. „Mach dir keine Sorgen, Wini."

„Leichter gesagt als getan", murmelt er. Unser Gespräch wird unterbrochen, als Lilly das Zimmer betritt. „Da bist du ja. Ein Patient wartet auf dich."

„Schon wieder?" frage ich seufzend.

„Ein Neuankömmling," erklärt Lilly. Ich nicke und erhebe mich widerwillig.

Die Neuankömmlinge müssen immer zuerst untersucht werden, bevor sie eingesperrt werden können. Ich unterdrücke das Gefühl von Schwindel und bemerke, dass Lilly und Wini dies ebenfalls wahrnehmen. „Sagt nichts.", warne ich sie.

„Wir sind still.", versichern sie mir, und ich verlasse das Zimmer in Richtung meines Behandlungsraums. Dort wartet Lincoln, den ich erneut hinaus schicke, ohne den Patienten eines Blickes zu würdigen. Ich nehme mir die Akte und setze mich auf den Hocker.

Ein kurzes Gefühl der Erleichterung durchströmt meinen Körper. „Ivan Wolkow?" frage ich und blicke auf.

Meine grünen Augen treffen auf zwei schwarze, die sich in meine bohren. Seine dunkelbraunen Haare fallen wellig über seine Stirn, die Seiten sind kürzer geschnitten. Ein gepflegter Drei-Tage-Bart umrahmt sein markantes Gesicht mit starken Kieferknochen.

Der Anblick dieses Mannes lässt mich innerlich zusammenzucken. Sein oranger Anzug spannt sich über seine Muskeln, als könnte er jeden Moment reißen, und dennoch wirkt er nicht übertrieben muskulös, sondern natürlich. Ich lege die Akte beiseite. „Das stimmt," bestätigt er.

Eine Gänsehaut überläuft meinen Körper. Seine Stimme ist tief und rau, aber auch sanft, dass man darin schmelzen könnte.

„Du bist gerade angekommen?" frage ich, während ich meine Stimme streng halte.

Er nickt. „Zieh dein Oberteil aus. Ich muss dich untersuchen." Ich bin überrascht, dass meine Stimme noch fest und stark klingt.

Ivan grinst. „Darf ich deinen schönen Namen erfahren, Prinzessin?" Er zieht sein Oberteil aus, während ich die notwendigen Utensilien aus dem Schrank hole. Seine Zellenummer ist 8876, also auf diesem Geschoss.

„Nenn mich nicht Prinzessin. Für dich bin ich Dr. Nowak.", antworte ich und drehe mich um.

Der Anblick seines Oberkörpers lässt mich schwer schlucken. Ich habe viele muskulöse Körper gesehen, aber dieser hier raubt mir den Verstand. Es ist einfach perfekt proportioniert.

Ich lege die Stöpsel des Stethoskops an meine Ohren und drücke die Spitze auf seine muskulöse Brust. „Tief ein- und ausatmen.", befehle ich. Er tut, was ich sage.

Nickend lege ich das Stethoskop beiseite und untersuche die Tätowierungen auf seinem Arm und Nacken. „Wie alt sind die Tattoos?" frage ich.

„Sechs Jahre.", antwortet er.

„Irgendwelche Beschwerden? Krankheiten?" erkundige ich mich.

„Wenn ich dich so sehe, bekomme ich natürlich eine Krankheit, mi amor.", antwortet er grinsend.

„Ich nehme das als ein Nein. Okay, zieh dich wieder an." Ich vervollständige seine Akte ohne jegliche Krankheiten. Als ich mich umdrehe, sehe ich überrascht auf. Ivan ist viel größer, als ich erwartet habe. Ich muss den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen zu sehen.

„Wir sehen uns bald wieder, Dr. Nowak.", sagt er mit einem frechen Grinsen, als ich ihm die Tür öffne. Lincoln führt ihn hinaus, während ich ihm nachschaue und den Kopf schüttele.

Es ist schlimm genug, dass ich einen Häftling so lange angestarrt habe, aber ich kann es mir nicht verübeln. Er sieht viel zu gut aus.

Ich muss dringend nach Hause.

Ich räume die Geräte auf und packe meine Tasche. Ivans Akte sehe ich mir noch einmal an. Laut seiner Akte ist er ein Mafioso, der sich freiwillig gestellt hat. Warum tut er das? Will er unbedingt ins Gefängnis?

Seufzend lege ich die Akte zu den anderen und schließe das Zimmer hinter mir ab. „Bis morgen," verabschiede ich mich von den anderen und verlasse das Gefängnis.

Jeden Abend überkommt mich das gleiche Gefühl. Ich gehe am Zaun vorbei, wo die Gefangenen ihre Pause einlegen. Sie pfeifen und rufen meinen Namen, wie jeden Tag, wenn ich vorbeigehe. Darunter erkenne ich auch Ivan. Er steht abseits der Menge und sieht mir stumm hinterher, grinsend.

Selbst aus dieser Entfernung sieht er fürchterlich gut aus. Mit den Händen in den Hosentaschen steht er weiter hinten von den Männern. Niemand wagt es, sich ihm zu nähern. Normalerweise stürzen sie sich auf den Neuen, verprügeln oder schüchtern ihn ein. Aber bei Ivan ist es anders.

Ich schüttle den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden. Wen interessiert es? Auch Ivan ist ein Tier unter den anderen und sollte wie eines behandelt werden.

Ich biege ab, um aus ihrem Sichtfeld zu verschwinden, steige in mein kleines schwarzes Auto und fahre nach Hause.

Endlich.

IVAN||✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt