-7- Von einem Schiff und einer Feier II

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Auf dem Steg angekommen, blickte Arokin den Fluss hinunter.

„Wie lange waren sie weg?", fragte Asir seinen kleinen Bruder.

„Auf jeden Fall waren sie schon weg, bevor wir...aufgebrochen sind", sprach er und schaute uns dabei aus seinen klaren, blauen Augen an. „Das ganze Dorf auf einem Schiff, wie halten sie das die ganze Zeit aus? Und sogar mit den Tieren!"

„Würdest du riskieren, dass irgendwem etwas passiert, während der Rest unterwegs ist?"

Ich wollte sie gerade fragen, was sie meinten, als ich das Schiff sah, das sich langsam in unsere Richtung bewegte. Es handelte sich um ein Segelschiff. Es hatte die Segel eingeholt. Eigentlich hätte es nun, nach meinen Kenntnissen, mit Rudern vorwärtsbewegt werden müssen. Aber das Schiff glitt einfach über das Wasser, ohne, dass ich eine Antriebsquelle ausmachen konnte. Kurz überlegte ich, ob es einen Motor haben könnte. Diesen Gedanken verwarf ich aber genauso schnell, wie er mir gekommen war. Das war Blödsinn. Ein Segelschiff mit Motor, das ergab keinen Sinn. Außerdem hätte es nicht in diese Welt gepasst, die scheinbar vor ein paar hundert Jahren einfach stehengeblieben war.

Aber warum machte ich mir überhaupt diese Gedanken? Es war schließlich immer noch ein Traum. Scheinbar ein Klartraum, das hatte ich bereits ein paarmal erlebt. Noch dazu ein langer Traum, denn allmählich bekam der Himmel eine rötliche Färbung.

Bald war das Schiff direkt vor uns am Steg angekommen. Jetzt fiel mir auf, dass es entweder aus sehr dunklem Holz gefertigt oder nachträglich dunkel angemalt worden sein musste. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Es schien fast schwarz zu sein, aber je nachdem, wie das letzte Licht des Tages auf den Rumpf fiel, schimmerte es von grün über blau bis hin zu violett. Fast so wie Rabenfedern.

Das Schiff war zudem größer, als ich zunächst angenommen hatte. Ich hätte ein paar Schritte zurückmachen müssen, um es vom Bug bis zum Heck komplett sehen zu können. Andererseits musste es wohl groß sein, wenn es tatsächlich das ganze Dorf beherbergte. Am Bug befand sich eine Gallionsfigur in Form eines Drachenkopfes, welcher mich aus goldglänzenden, grimmigen Augen anstarrte. Er hatte zwei Hörner auf dem Kopf. Wäre jemand, warum auch immer, auf sie draufgefallen, es hatte kein gutes Ende gehabt.

„Wow", entfuhr es Sophie. „Sowas habe ich noch nie gesehen."

„Ich auch nicht", sagte ich und ließ das Schiff nicht aus den Augen.

„Hallo Freunde", kam der Ruf vom Schiff. Eine Männerstimme. Im nächsten Moment wurde schon eine Planke von Bord gelassen; nichts weiter als ein einfaches, für meinen Geschmack ziemlich schmales, Holzbrett.

Nun trat eine Gestalt auf die Planke. Vorher hatte ich sie nicht bemerkt. Offensichtlich war es normal für diesen Traum, dass die Menschen plötzlich einfach aufpoppten wie in einem schlecht gemachten Videospiel.

Der Mann, der auf die Planke trat, war groß. Nicht der größte und kräftigste Mensch, den ich je gesehen hatte, aber auf jeden Fall überdurchschnittlich. Noch größer als Asir. Er trug einfache, dunkle Kleidung, über seinen Schultern hatte er den großen, reinweißen Pelz irgendeines Tieres gelegt. Auf der Stirn hatte er zwei aufgemalte rote Streifen. Sein Kopf wurde von braunem, leicht rötlichem Haar bedeckt. An seinem Gürtel hingen drei Rabenfedern an einem Band, die beim Laufen hin und her schwangen.

„Hallo Durijan", sagte Asir nach einer angedeuteten Verbeugung. „Wart ihr erfolgreich?"

„Ja, das könnte man so sagen...Und ihr auch, wie ich sehe", der Blick des Mannes richtete sich auf uns und mir lief es kalt den Rücken herunter. War ich mir bis jetzt noch relativ sicher gewesen, hier nicht gefährdet zu sein, verschwand diese Sicherheit nun schnell.

Arokin neigte respektvoll den Kopf.

„Wenn abgeladen ist, kommt ihr alle in mein Haus. Dann feiern wir erst einmal und erzählen uns, was wir zu erzählen haben." Jetzt wirkte Durijan vergnügt und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, auf das große Haus zu.

„Das ist ja einer. Sagt uns nicht mal Hallo", merkte Sophie an.

„Wenn irgendwer irgendwem Hallo hätte sagen müssen, wärt ihr das gewesen", sagte Arokin. „Schließlich ist Durijan der Fürst."

„Woher hätten wir das wissen sollen? Uns erklärt ja niemand was", stellte ich fest. Asir, der die Anspielung garantiert verstanden hatte, wandte sich ab. Eine Frau trieb Schweine an Deck des Schiffes, ihr Grunzen war nicht zu überhören. Bald darauf sah ich eines der Tiere. Es sah aus wie ein Wildschwein, nur kleiner. Mein Blick glitt weiter, während nun immer mehr Menschen mit Truhen oder sonstigen Gegenständen bepackt, von Bord gingen. Die Blicke, die sie uns dabei zuwarfen, entgingen mir nicht.

Ich konnte nicht einordnen, ob es ein gutes oder schlechtes Zeichen war.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt