-35- Von Träumen und dem Untergang I

2 0 0
                                    

Auch wenn es lediglich ein kleiner Teil ihrer Seele war, den er hier vor sich hatte, beflügelte ihn die Aussicht. Da war sie wieder, nach einer Ewigkeit innerhalb der Ewigkeit.

Es war ein Rabe, der auf einer Straßenlaterne saß und durch das Fenster in ihre Wohnung blickte. Beinahe unbemerkt. Er spürte nicht die geringste Regung in ihr, dass sie sich an irgendetwas von früher erinnerte, als er ihren Geist sanft streifte. Olivia war alles, was für sie je existiert hatte und noch existierte. Er musste sich zusammenreißen, es bei dieser leichten Verflechtung von ihnen zu lassen, bevor er sie losließ. Selbst, als sie einmal direkt an ihm vorbeilief, erkannte sie ihn nicht. Er konnte sie nicht mehr übersehen, jetzt, da sie sich ihm gezeigt hatte, wenn auch nur teilweise. Mocurix wusste, dieser Teil war der Schlüssel zu ihrer restlichen Seele, zu ihrer Macht, zu ihrer beider Einheit.

Er spielte mit dem Gedanken, diese Welt zu zerstören und sie so zwangsweise von hier zu vertreiben. Schnell ließ er diese Würfel fallen, ohne sie ins Rollen zu bringen. Zuerst musste er sie wieder an sich binden, ansonsten würde sie sicher wieder vor ihm fliehen.

Er wollte sie jetzt! Ganz! Als er dasaß und seine Augen nicht von ihr abwandte, reifte ein neuer Plan in ihm, über Tage, in denen er immer wieder in ihre Welt zurückkehrte, ohne Lihambra zu vernachlässigen. Er musste für die Raben dort sein, das war Asirs Bestimmung. Bald würde er eine Ausrede finden, nicht mehr dort sein zu müssen. Was er jedoch dort ließ, war Animeras Schuppe. Er versteckte sie gut, sodass sie niemand finden würde, bevor er sie wieder hervorholte. Den Platz in dem Anhänger benötigte Mocurix bald anderweitig.

Diese Olivia, wie sie hieß, war jemand, die ihn willkommenheißen würde, nicht so wie die Teile von Animera, die sich im Baum befanden, nicht so wie die abweisenden Empfindungen, die Animera ihm gegenüber gehegt hatte, als sie sich das letzte Mal sahen. Denn sie wusste nichts von ihm. Nichts von ihr selbst.

Dieser neue Plan war so viel besser als der erste. Es würde alles so viel spannender machen. Er würde ihm Gerechtigkeit bringen, für das, was sie ihm angetan hatte.

Ab da war er bei ihr, ließ sie nicht mehr ziehen.

Und all das hat nur funktioniert, weil ich vergessen habe. Weil Olivia ausgezogen ist. Die Entfernung, die nach ihrem Auszug zwischen uns lag, sorgte dafür, dass ich mich selbst noch mehr vergaß. Das ließ den Schutzzauber schwächer werden. Ich vergaß ihn schlicht, nachdem ich ihn nicht mehr oft vor meinen Augen hatte.

Wenn er ehrlich war, kam es ihm gelegen, es nicht gleich mit Animera in ihrer Gänze zu tun zu haben. So würde er testen können, ob alles funktionierte. Welch praktische Fügung. Olivia wurde zu einem Teil seines Plans, eine unverzichtbare Spielfigur, deren Züge er steuerte. Wie kläglich sie bei ihrem Versuch gescheitert war, sich durch die Aufteilung ihrer Seele vor ihm zu schützen. Stattdessen hatte sie sich dadurch noch angreifbarer gemacht.

Dass er bei Olivia einzog, war nur logisch. Sie suchte einen neuen Mitbewohner und er wurde einer. Er versuchte immer wieder, unbemerkt in ihren Kopf zu gelangen und dort nach dem Rest von Animeras Seele zu suchen. Er fand den Weg in Olivias Kopf spielend, doch nicht die geringste Spur, egal, wie sehr er ihre Gedanken auch durchwühlte, wie groß das Chaos war, das er dort hinterließ, als er nicht mehr sanft vorging. Der Schutzwall war stabil, aber er wusste, dass sie nicht weit weg sein konnte. Aber er bröckelte, war schwächer geworden, immerhin hatte er sie gefunden. Animera war zur Gänze hier, auf der Erde. Nur wo genau, das sah er nicht. Ihm war klar, dass der Rest von ihr nicht weit weg sein konnte, dieser Zauber war nicht mächtig genug, um über große Distanz zu halten. Er musste nur warten. Irgendwann würden die Risse dafür sorgen, dass der Wall einstürzte.

Wie hätte ich etwas Mächtigeres wirken können, ohne meine Macht?

Er genoss die Nähe, die sich unausweichlich zwischen Olivia und ihm entwickelte. Sie wäre nötig, damit sie in ihrem Gefängnis sitzen bliebe. Das und die Voraussetzung, dass die Wände diesmal einen Teil der Seele hielten. Sie würden es. Diesmal würde sie ihm nicht zersplittern. Und doch störte ihn etwas. Sie war nicht komplett.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: 13 hours ago ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt