-29- Von Lassos und Steinen

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Der innere Frieden war nur von kurzer Dauer, ehe mich die Gedanken von Neuem einnahmen wie einfallende Soldaten. Sie schossen um sich und rissen mich so aus dem Schlaf. Ich hatte nichts, was ich ihnen entgegensetzen konnte. Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, ob es noch immer mitten in der Nacht oder früh am Morgen war.

Es spielte keine Rolle.

Die Macht zog mich zu sich. Ein Seil, das um mich gebunden und auf Zug gehalten wurde. Die einzige Möglichkeit, es zu lockern, bestand darin, ihm nachzugeben. Um nicht ersticken zu müssen, musste ich ihm folgen. Denn es zog sich immer weiter zu.

Ich wälzte mich auf die andere Seite. Früher, in meinem alten Leben, hatte mir das oft geholfen, unerwünschte Gedanken zurückzulassen. Ihnen wortwörtlich den Rücken zuzudrehen. Jetzt nutzte die neue Position nichts. Die Gedanken nahmen die Verfolgung auf, attackierten mich weiter und gewannen die Schlacht.

Das Murmeln. Das Rufen. Das Verlangen. Es gelang mir nicht, es zu ignorieren.

Seufzend stand ich auf. Vielleicht würde es helfen, ein wenig zu laufen. Oder Asir wäre in der Lage, mir zu helfen. Ja, bestimmt war er das. Wenn ich schon keine Ruhe mehr fand, konnte ich auch mit ihm Ausschau halten. Nach den wirklichen Feinden.

Doch als ich einen Fuß aus meinem Zimmer setzte, warf ich mein ursprüngliches Vorhaben über Bord und sah dabei zu, wie es in den Tiefen des Meeres versank. Es war nicht mehr wichtig.

Wichtig war lediglich der Zug des Seils, mit dem mich die Macht fest in ihrem Griff hielt. Es war zwecklos, dagegen anzukämpfen. Niemals könnte ich dagegen ankommen.

Ich setzte meinen Weg fort, als eine Bewegung am Rande meines Gesichtsfeldes meine ganze Aufmerksamkeit für einen Wimpernschlag in Anspruch nahm. Das war interessant. Ich wollte wissen, was dort vor sich ging. Es hinderte mich am Weiterlaufen.

Xym kam aus einer Art Bau, der mir hier Fehl am Platz vorkam. Er erinnerte mich an einen Kaninchen- oder Fuchsbau. Schnell sah der Vogel sich um, bevor er mit hektischen Flügelschlägen losflog.

Was hat er gemacht? Vielleicht führte dieser Tunnel zu dem Stein. Xylath. Vielleicht würden meine Gedanken bei ihm endlich Ruhe finden.

Oder war dieser Tunnel etwa eine geheime Verbindung zu Arokin?

Ich wartete, bis Xym sich ausreichend entfernt hatte, bevor ich mich umsah und mit eiserner Willenskraft das Seil kappte, das mich führte. Dabei hoffte ich, dass es sich nicht sofort erneut um mich schlang wie ein Lasso, das erneut nach mir geworfen wurde. Ich wollte sehen, was dort unten war.

Verstohlen sah ich mich erneut um. Niemand schenkte mir Beachtung.

Mit schnellen Schritten bewegte ich mich auf den kleinen Durchgang zu, der in eine ungewisse Dunkelheit führte.

Da es mir vorkam, als täte ich etwas Verbotenes, sah ich mich ein drittes Mal um. Erst, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass mich wirklich niemand sah, zwägnte ich mich in den Tunnel. Er hatte begonnen, sich zu verbreitern, als ich darauf zulief. Wenn das keine Einladung ist.

Dennoch musste ich die ersten Meter durch die Schwärze krabbeln. Die Wände glitten kaum spürbar an meinen Schultern vorbei. Sie erinnerten mich stets an die Enge, die hier herrschte. Ich war erleichtert, als ich merkte, dass der Gang immer breiter wurde. Es ging sanft bergab. Der Boden unter meinen Fingern und an meinen Knien war kühl und leicht feucht, der Geruch nach nasser Erde erfüllte die Luft. Der Tunnel wurde immer breiter und höher, doch noch immer konnte ich nicht erkennen, was am Ende auf mich wartete.

War das eine gute Entscheidung? Hätte ich jemandem sagen sollen, wo ich hingehe?

Es war zu spät zum Umkehren.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt