-30- Von Lihambra und Erinnerungen I

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Mein Körper wog Tonnen und war gleichzeitig leichter als eine Feder. Die Kombination aus beidem war seltsam, sie führte dazu, dass es sich anfühlte, als würde ich mich in rasender Geschwindigkeit bewegen, und mich zur gleichen Zeit keinen Millimeter rühren. So wie alles um mich herum glitt ich durch die Schwerelosigkeit. Eine unendliche Weite breitete sich vor mir aus, die nicht ganz unendlich war. Denn es gab noch mehrere dieser Weiten, fast unendlich viele. Für die anderen mochte das alles endlos wirken. Für mich nicht. Doch selbst für mich gab es so viele Möglichkeiten, was ich machen oder wohin ich gehen konnte. Ich wäre froh, mal kurz etwas weniger Auswahl zu haben. Ich wusste, wohin ich gehen musste, um Ruhe zu finden. Später.

Ich war viel größer als alles, was ich je gesehen hatte. Dennoch fühlte ich mich klein angesichts dessen, was ich in der Lage war, zu erschaffen. Denn was war ich gegen diese Masse von Welten, die mich umgab? Nichts. Und doch alles. Ohne mich wäre alles nichts.

Ich musste mir nichts vormachen. Dieser Körper, den ich spürte, war nicht meiner. Und doch war es anders als damals, als ich in den Raben geschlüpft war. Es war anders als die Erinnerungen, die Asir mir gezeigt hatte.

Das hier war nicht Sarah.

Das hier war ich.

Das hier war mein wahrer Körper, falls so etwas von Bedeutung war. Doch, das war es. Obwohl ich dieselbe Seele hatte wie schon immer, hatte ich dieses Leben, mein wahres Leben, vergessen. Oder erfolgreich verdrängt, ohne eine kleine Erinnerung daran. Warum?

Vielleicht würde der Xylath mir diese Frage noch beantworten. Es war merkwürdig, meine Gedanken mit denen der Gestalt, durch deren Augen ich all das sah, dermaßen verschmelzen zu spüren.

Es war eine Ewigkeit her, seitdem ich in diesem Körper war. Als käme Sarah nach einem langen Urlaub zurück nach Hause, dachte ich, um es für meinen kleinen Verstand greifbarer zu machen. Nein, das war ein schlechter Vergleich. Nicht aussagekräftig genug.

Ich suhlte mich in dem Gefühl, wieder ich zu sein. Als würde ich von der Sonne bestrahlt werden, so warm, so willkommen. Es war berauschend und beruhigend, laut und still. Alles in einem und noch so viel mehr als alles, was Sarah hatte begreifen können.

Nur eins störte diese Vollkommenheit. Ich wusste noch immer nicht, was geschehen war. Warum ich all das hinter mir gelassen hatte. Es schockierte mich. Wie hatte ich all das aufgeben können, um Sarah zu werden? Es wäre dasselbe, als würde ein Papst plötzlich entscheiden, in einer einsamen Hütte im Wald zu wohnen und sich vom Glauben abwenden. Unvorstellbar. Unglaublich.

Ich folgte dem Geschehen, der Geschichte, die der Xylath mir zeigte. Ließ mich durch das Geschehen treiben.

Um mich herum herrschte helle Dunkelheit. Schwärze, die von bunten Nebeln erhellt wurde. Manche sahen aus wie dunkle Säulen vor blauem Licht, andere waren orange-grüner Staub, durchzogen von hellen Punkten um einem grellen Lichtfleck in der Mitte, andere waren lila-blaue Wolken. Sie waren riesig. Ich wusste, sie würden sich immer weiter zusammenziehen, bis sie einen Stern ergaben.

An anderen Orten dieses Universums strahlten sie bereits, immer mehr, als würde jemand auf der Erde eine Lichterkette anschalten.

Vor mir lag ein glühender Haufen, der sich aus den Resten der Materie bildete, die nach der Geburt des Sternes im Urnebel übrig war. Ein Planet, der Gestalt annahm. Einer von vielen. Einer, wie es ihn nur einmal gab und geben würde. Pure Energie, Macht, die sich verdichtete, um etwas Neues zu formen.

Ich wandte mich von ihm ab. Etwas anderes war wichtiger in diesem Universum.

Gleichzeitig formten sich andere Planeten, andere Welten, eine ganze Galaxie um sie herum. Mehrere Galaxien, die sie umgaben. In den Zentren der Galaxien befanden sich schwarze Löcher, ohne die alles nicht existieren könnte. Das war überall gleich, egal in welchem Universum. So wie die dunkle Materie, die den Gegensatz zu dem Sichtbaren darstellte. Sie war unsichtbar, und doch unverzichtbar, sorgte sie für die Bewegung in dem Ganzen und dafür, dass alles zusammenhielt. Alles musste sich die Waage halten.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt