-21- Von Höhlen und Versammlungen

29 2 19
                                    

Eine tiefe Ruhe erfüllte mich. In der Luft lag der Geruch von Holz und der Boden gab weich unter meinen Füßen nach. Als ich meine Augen aufschlug, sah ich wenige Meter vor mir eine Wand aus Holz, die in einem weiten Bogen um uns herum führte.. Sie sah aus wie Baumrinde, war jedoch nicht so stark gemustert. Asir stand neben mir und hielt noch immer meine Hand fest. Ich wollte sie nicht loslassen, es war wie ein Anker, der mich während all den tosenden Stürmen am richtigen Ort hielt.

Dieser Ort war mächtig, das konnte ich spüren. Und diese Macht zerrte an mir, noch stärker als zuvor.

Mein Blick glitt nach oben und ich bemerkte ein Leuchten, das das Holz in Wellen emporkroch. Mal war es ein gelbes Leuchten wie die Sonnenstrahlen, mal ein blaues, das an Wellen erinnerte, grün wie es die Blätter an den Bäumen wären oder orange wie der Sonnenaufgang. Oder Untergang.. Direkt über uns befand sich ein Loch, welches den Blick auf den Himmel und ein paar Äste freigab. Dort schien sich das Licht zu stauen. Hier gab es nur noch zwei Farben: lila und rot. Immer mehr kam dort oben an. Es sah fast aus, als würden die Äste bald überlaufen. Der vorderste Teil des Lichtes an den Spitzen der Zweige sah schwarz aus, tot.

Wir standen im Inneren von Lihambra, in dem Baum.

Direkt an der Quelle der Macht. Nicht nur an. In!

Um nicht vollkommen in diesem Schauspiel, das sich mir bot, verloren zu gehen, fragte ich: „Das ist nicht normal, oder?"

Asir schüttelte den Kopf. Auch er sah mit gerunzelter Stirn nach oben. „Eigentlich sollte die Macht sofort zu ihrem Besitzer übergehen. Aber das kann sie nicht, weil es niemanden mehr gibt."

„Also ist Miron tatsächlich weg? Wie kann ich ihn dann gehört haben? "

„Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er aufgegeben und schottet sich ab... Das Problem ist, wenn Arokin nun die Schuppe und dein Blut bekäme, so glaubt er, hätte er ein leichtes Spiel. Die Macht wäre über das Ventil, das sie bekommt, erleichtert..."

Was sprach dagegen, wenn ich sie mir holen würde? Die Macht war hier, direkt vor mir, und ich hörte sie. Dieses verlockende, leise Wispern, das mich zu ihr hinzog. Genauso wie das bunte Schillern, das mich hypnotisierte und mich beinahe blind gegenüber jeglichen anderen Wahrnehmungen machte. Wenn ich die Schuppe noch bei mir hätte, wäre die Macht dann zu mir geflossen? Immerhin hatte ich mein Blut in mir.

Oder war ich am Ende nichts anderes als ein Werkzeug, damit andere an die Macht kamen? Nein, das war ich nicht!
„Weißt du, was Arokin mit beseeltem Blut gemeint hat?" Meine Stimme klang fremd in meinen Ohren, die Worte waren schwer. So schwer. Unnötig. Worte waren nicht wichtig.

Die Stimme klang aus weiter Ferne zu mir durch, kaum wahrnehmbar, wie ein schwacher Umriss in der Nacht. Die Antwort auf die Frage kam mir selbst genau in dem Moment, als er sie aussprach. „Ich glaube, deine Seele war an einem anderen Ort, einem zwischen Leben und Tod. Deswegen war dein Blut in diesem Moment seelenlos, denn dein Geist war nicht mehr in deinem Körper. Was das allerdings mit der Schuppe zu tun hat, weiß ich nicht. Vielleicht spinnt er sich nur irgendetwas zusammen. Oder er denkt, er könne, indem er uns trennt, verhindern, dass wir die wahren neuen Götter finden und nutzt diese Gelegenheit als Machtdemonstration."

Schwach, ganz schwach, wurde mir etwas bewusst. Arokin jagte mich nun. Aber warum hatte er sich mein Blut dann nicht schon vorher genommen? Vielleicht war ihm dieser Plan erst jetzt gekommen. Doch für den Fall, dass es stimmte, das mein Blut der Schlüssel war: Woher wusste er es?

Während all dem konnte ich den Gedanken an die Macht nicht abschütteln. Warum hatte ich nicht nach ihr gegriffen, als ich die Möglichkeit dazu hatte? Denn immerhin hatte auch ich die Schuppe eine Zeit lang. Nur, weil ich nicht wusste, zu was ich sie gebrauchen konnte? Nichts und niemand wäre in der Lage, mich ab hier aufzuhalten, wenn ich die Schuppe jetzt noch besitzen würde. Tat ich aber nicht. Für einen Moment schien es, als würde das Blut in meinen Adern kochen. Arokin hatte mich bestohlen! Die Schuppe mich von Anfang an in ihren Bann gezogen, so wie alle, die sie gesehen hatten. Vielleicht war es keine Faszination gewesen; vielleicht war es die Macht in ihr, die mich zu sich gerufen hatte. Die dafür gesorgt hatte, dass ich sie fand. Und niemand sonst.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt