-34- Von Gefängnissen und neuen Perspektiven V

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Mit einem plötzlichen Schnitt, wie in einem Film, änderte sich die Szenerie, die sich mir bot. Ich konnte nichts dagegen tun. Sie war mir so vertraut, dennoch anders. Dieses Mal geschah alles aus einer neuen Perspektive.

Er hatte Miron mit hierher gebracht, obwohl das hier eigentlich ein Ort war, der den wahren Göttern vorbehalten war. Aber er brauchte den niederen Gort, damit er Animera ablenkte. Damit sie nicht mitbekam, wie er ihr näherkam, damit sie nicht kurz vor seiner Tat doch noch spüren würde, was er vorhatte. Er versuchte, diesen Gedanken vor ihr abzuschirmen, wie Animera ihre Beweggründe für ihr Handeln vor ihm verschloss, doch er wollte sichergehen, nichts riskieren.

Mocurix' Ablenkung war erfolgreich. Sie verschenkte keinen Gedanken an ihn, während er Miron dazu zwang, sie zu reizen. Er wartete.

Bis sich ein passender Moment bot, einer, der ihn in Mirons Schuld stehen lassen würde.

Er stach zu, als Animera den Drachen vernichten wollte. Rettete ihm damit das Leben. Und womit dankte Miron es ihm? Mit Flucht! So schwach.

Nicht ohne Bedauern, aber mit einem Gefühl, dass er Gerechtigkeit brachte, versenkte er den Dolch tief Animeras Körper. Eine eigentlich so kleine Waffe für ein eigentlich so mächtiges Wesen, war nun eine mächtige Waffe gegen ein scheinbar kleines Wesen. Diese Tatsache entlockte ihm ein kleines Triumphgefühl. Mocurix wusste, er konnte sie nicht umbringen, aber er konnte diese Kluft, die sich zwischen ihnen bildete, überwinden, indem er ihre Seele einfing. Dafür sorgen, dass Animeras Aussagen gegen ihn wirkungslos wurden, weil sie seine Gefangene war. Und ganz nebenbei ihre Macht bekommen.

Kein Blut floss, obwohl der Dolch bis zu ihren Knochen glitt. Sogar noch tiefer, bis in ihre einst so reine Seele. Er spürte, wie sie in einzelne Scherben zersprang. Es tat ihm selbst weh.

Als würde er mit einem Hammer auf Glas schlagen, das zersplitterte, ohne, dass er es verhindern konnte.

Fast erreichte er sogar den Kern ihrer Macht. Doch daran ritzte er nur ein wenig.

Sie sah sich um, bis ihre blauen Augen seine trafen. Sie mochte keine so wirkungsvolle Waffe gegen ihn besitzen wie er, doch dieser Blick schmerzte ihn mindestens genauso sehr, als würde er selbst auseinanderfallen.

Schock und Enttäuschung sprachen aus jedem der Splitter ihrer Seele, die ihm entgegenflogen.

Ihm selbst ging es nicht anders.

Er war zu brutal vorgegangen, hatte mit viel zu viel Wucht zugestochen. Obwohl sie es nicht anders verdient hatte. Er würde sie wieder zusammensetzen, wenn er ihre Seele vereinte, in dem winzigen silbernen Anhänger.

Wie von selbst fanden die Splitter den Weg hinein. Als würden sie spüren, dass dieser Ort gut war.

Ein Gefühl der Einheit erfüllte ihn, als ihre Seele den Anhänger ausfüllt. Das war das, was er gesucht hatte! Jetzt mussten die Splitter sich nur wieder zusammensetzen und alles wäre gut. Wieder so, wie es sein sollte.

Es kam anders. Sie zerfielen noch weiter, rieselten als feiner Staub durch die Wände, als wären sie nicht vorhanden. Damit rechnete er nicht. Er hatte ihre Seele an einem Stück erwartet, nicht zersplittert.

Er musste zusehen, wie sie ihm entkam, wie sie ihm erneut entglitt, ohne, dass er etwas dagegen zu tun vermochte.

Das war nicht genug.

Hilflos beobachtete er zugleich, wie Animera ihn in einem Moment noch ansah und ihr seelenloser Körper im nächsten Moment zerfiel.

Lediglich das bunte Schimmern ihrer Macht und ein kleiner Teil ihrer Seele, der mit der Macht verbunden war, blieben übrig. Sickerten in den Boden, ehe er etwas dagegen unternehmen konnte.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt