-10- Von neuen Verbindungen und Treffen I

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Gemeinsam liefen Sophie und ich auf den Wald zu. Dort würden wir uns auf der Lichtung mit Asir und Arokin treffen. Die Sonne wurde immer wieder von Wolken bedeckt, erhellte den Weg vor uns kurz, bevor sie wieder verschwand. Um mich richtig aufzuwärmen schien sie zu schwach.

„Kommt dir das nicht ein wenig seltsam vor? Das alles hier?" Ich schaute sie nicht an, sondern hielt meinen Blick auf den Waldrand gerichtet, der mit jedem Schritt näher kam.

„Was genau meinst du?" Kurz hielt sie inne und holte Luft, ehe sie fortfuhr und Punkt für Punkt mit den Fingern abzählte. „Dass wir gewissermaßen entführt wurden? Dass es unsere Aufgabe sein soll, die Welten zu retten? Dass wir beide zusammenarbeiten?"

Ich schwieg einen Moment und schließlich war es Sophie selbst, die sich ihre Frage beantwortete. „Ja, das alles ist mehr als seltsam. Aber vielleicht ist es auch eine Chance für uns, die Dinge besser zu machen." Ihre Worte wirkten auf mich unsicher, als fiele es ihr schwer, darüber zu reden. Mit fester Stimme fuhr sie fort: „Ich wusste aber schon immer, dass ich besser als der Rest bin. Oder zumindest der Durchschnitt."

Ich irgnorierte ihre Spitze. „Es scheint der letzte Wille meiner Schwester zu sein, dass ich hierbleibe. Also was bleibt mir übrig?" Aber was es wirklich nur das, was mich hier hielt?

„Aber das verrückteste sind die Stimmen im Kopf!" Wir hatten den Waldrand erreicht, als Sophie mir diese Erkenntnis entgegenschleuderte. „Oder zumindest die von Arokin."

Das ließ mich erleichtert einatmen. Ich war also nicht die Einzige, die jemanden in Gedanken hören konnte. Vielleicht hing das auch, wie offenbar so vieles hier, mit unserem Blut zusammen. Oder liegt es daran, dass Arokin und Asir nunmal Raben sind, die sich verwandeln? Meine Antwort bestand lediglich aus einem knappen Nicken. Sophie nutzte die Chance und sprach weiter. „Jedenfalls bin ich froh, hier nicht allein zu sein. Ich wollte dich wirklich nicht erschießen. Seltsam, wie schnell sich alles verändert. Vor kurzem war das Abi das Wichtigste für mich und jetzt ist es so ... unwichtig. Und ich bin so aufgeregt, was alles noch passiert."

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, fast hatte es auf mich den Anschein, dass Sophie hier in Nuria nicht nur ihr äußeres Auftreten verändert hatte. Den restlichen Weg legten wir schweigend zurück. Lediglich das Zwitschern der Vögel und das gelegentliche Knacken von Ästen begleitete unsere Schritte. Und auch ich musste zugeben, dass ich froh war, hier jemand bekannten getroffen zu haben. Selbst wenn ich diese Person eigentlich nicht mochte. Aber wer weiß, bis vor kurzem hätte ich nie gedacht, einmal in einer anderen Welt zu landen. Da wäre die Freundschaft zu Sophie gar nicht mehr so abwegig... Obwohl sie auf mich geschossen hat.
Ich seufzte leise. Innerhalb kürzester Zeit war so viel passiert. Zwar war mir klar gewesen, dass sich mein Leben mit dem Tag der Prüfungen ändern würde, aber so etwas hatte ich nicht erwartet.

Schließlich erreichten wir die Lichtung, an deren Rand Arokin und Asir standen und auf uns warteten. Sie wandten sich uns zu.

„Hat Gora euch also dabei geholfen, ein Pferd auszusuchen?", fragte Arokin.

„Eigentlich haben die Pferde sich uns ausgesucht. Oder, Sophie?" Ich drehte mich zu ihr um.

„Ja", kam nur die kurze Antwort. Sie teilte meine Begeisterung nicht. Als sie weitersprach, wandte sie sich an ihren Mentor. „Wie geht es jetzt weiter?" Sie schien nicht mal zu versuchen, den genervten Klang ihrer Stimme zu verschleiern.

„Nun", setzte Arokin an, „ihr seid nun mehr oder weniger in der Lage, ein Feuer zu machen und euch auf große Distanz zu verteidigen. Jetzt kommt eine Lektion im Nahkampf. Ab Morgen trainieren wir dann mit den Pferden. Ihr müsst zu einer Einheit werden. Wir alle. Wenn ihr das schafft, wenn wir das schaffen, können wir los."

„Naja. Ein bisschen mehr gehört schon noch dazu. Schließlich müsst ihr überleben. Auch wenn wir euch dabei helfen, können wir nicht immer da sein", korrigierte Asir. Dieser griff an seine linke Seite unter seinen Umhang. Das Schwert, das er hervorzog, warf er mir vor die Füße. Es landete mit einem dumpfen Aufprall im Gras. Ich schaute auf den Boden vor mir.

„Los geht's. Und das nächste Mal wäre es gut, wenn du fängst." Es lag kein Tadel in der Stimme. Der Satz war ein einziger Fluss aus Worten, dennoch hatte ich das Gefühl, mich ein gutes Stück von ihm entfernt zu haben. Seit Sophie und ich hier gelandet waren, war er der einzige Mensch, bei dem ich so etwas wie Vertrautheit fühlte. Nun verschwand sie wieder langsam und das alte Misstrauen kroch aus den Winkeln meines Verstandes. Ich konnte nicht sagen warum. Wie um meine Gedanken zu unterstreichen, ging Asir ein paar Meter von mir weg. Er legte seinen Umhang ab, ließ ihn einfach am Rand der Lichtung fallen. Dann hielt er ein weiteres Schwert in der Hand.

Arokin sah mich mit seinen blauen Augen an, bis ich mich schließlich bückte und das Schwert aufhob. Runen waren in seine schwarz schimmernde Klinge geschmiedet. Das Licht brach sich an ihr. Der Griff war mit rotem Lederband umwickelt. Es war leichter als erwartet. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, als ich das erste Mal ein Schwert in der Hand gehalten hatte. Es war bei einem Kindergartenausflug in irgendein Museum gewesen. Damals konnte ich das Mittelalterschwert selbst mit zwei Händen nicht anheben. Ein Erzieher half mir, es zu halten. Und selbst da hatte sich die Spitze noch auf dem Boden befunden. Das Schwert, das ich jetzt in der Hand hielt, konnte ich bequem in einer Hand führen. Dabei war es, soweit es mit meiner Erinnerung übereinstimmte, genauso groß wie das damalige Schwert. Vielleicht ein bisschen kleiner, aber nicht viel.

Arokin wandte sich um und redete mit Sophie, dann sah er zu Asir. Der nickte seinem Bruder zu und sagte sanft: „Geh nur." Kurz darauf verließ Arokin uns. Während er davonlief, sah er sich immer wieder um. Sophie folgte ihm. Mir war, als hätte ich Angst in seinen Augen gesehen. Das passte nicht zu der Person, für die ich ihn hielt, zu dem, der erhobenen Hauptes in das Klassenzimmer gelaufen kam.

„Und jetzt?", wollte ich wissen.

„Na, was macht man denn mit Schwertern? Angreifen." Mit diesen Worten kam Asir auf mich zu, das Schwert ließ er in der rechten Hand schwingen.

Frei nach dem Motto Learning by Doing?, fragte ich mich.

„Genau", kam die Antwort. Einen Moment lang war ich perplex und stand wie versteinert da. So sah ich nicht das Schwert auf mich zukommen, welches gegen meine Kniekehlen geschwungen wurde. Das führte dazu, dass ich das Gleichgewicht verlor und auf dem Boden landete.

„Das nächste Mal musst du besser aufpassen. Lass dich durch nichts aus dem Konzept bringen!" Er hielt mir die Hand hin.

„Aber...du kannst Gedanken lesen?", japste ich. Dass er es schaffte, in Gedanken mit mir zu sprechen war eine Sache, dass er offenbar wusste, was ich dachte, eine ganz andere. Ich ließ mir von Asir auf die Beine helfen.

Ja, kam die einfach Antwort, die in meinen Gedanken nachhallte.

„Warum machen wir das dann überhaupt? Kannst du meine Handlungen nicht voraussehen?"

Er schüttelte den Kopf. „So funktioniert das nicht. Du denkst manchmal so laut, dass man es nicht ignorieren kann."

Diesmal wartete er auf meinen Angriff. Natürlich hatte ich keine Ahnung, wie man mit einem Schwert umging. Probeweise schwang auch ich es durch die Luft, um ein Gefühl für die Balance des Schwertes zu bekommen. Das hatte ich mal in einem Film gesehen. Ich konnte mir nicht richtig vorstellen, für was das gut sein sollte. Aber es schien fast so, als wüsste die Waffe in meiner Hand genau, was sie zu tun hatte. Ich war nur die Hand, die ihm das Handeln ermöglichte. Nach ein paar Probeschwüngen war ich fasziniert. Es fühlte sich so an, als wäre die Klinge fest mit meinem Arm verwachsen. Als hätte ich nie etwas anderes gemacht.

Ermutigt schritt ich auf Asir zu und wollte einen Schlag gegen seine Schulter ausführen. Ich musste mir selbst eingestehen, dass mich der Gedanke erfreute. Er blockierte den Hieb und die Klingen trafen klirrend aufeinander. Mein Schwert glitt an der Seite von Asirs ab und landete auf dem Boden. Scheinbar war die Verbindung zwischen dem Schwert und mir doch nicht so groß, wie ich gedacht hatte.

„Gar nicht schlecht. Für den Anfang", sagte er.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt