-27- Von Abschied und Neubeginn I

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Die Sonne kämpfte sich hinter einigen Wolken hervor, nahm uns mit warmen Strahlen in Empfang, als wir auf die Straße traten.

Meine Entscheidung stand fest.

Ich empfand keine Reue. Im Gegenteil.

Ich strahlte und blickte nicht zurück, während Asir und ich uns Schritt für Schritt von dem Haus entfernten, in dem ich aufgewachsen war.

Das erste Mal in meinem Leben fühlte sich etwas hundertprozentig richtig an. Als hätte ich mein ganzes Leben ein gefälschtes Gemälde vor meinen Augen gehabt und würde nun zum ersten Mal das Original sehen. Immer mehr Fehler fielen mir auf. Es war mir egal, dass ich mein bisheriges Leben mit dieser Entscheidung in Schutt und Asche zurückließ. Manches zerfiel eben zu Staub.

Mit meiner Familie wollte ich nichts mehr zu tun haben, obwohl sie mich zu dem gemacht hatte, was ich war. Nicht zu der, die ich bin, aber zu der, die ich war, dachte ich verbittert. Zu diesem Menschen, der nicht vertrauen konnte.

Fast war ich traurig darüber, dass Arokin die Geschichte veränderte. So würden meine Eltern sich nie Gedanken über ihr Handeln machen. Es bestand nicht die leise Hoffnung, dass sie es eines Tages bereuen würden.

Sie hätten wenigstens jetzt sagen können, dass sie mich mochten. So gab es nichtmal die Hoffnung, dass sie langsam aber sicher in Schuldgefühlen ertranken.

Ich sperrte sie aus meinen Gedanken, verstaute sie in einer der alten Kisten, in denen sich allerlei ansammelte.

Was dort jedoch aufheulte wie eine Sirene, deren Ton ich nicht abzustellen vermochte, war der Abschied meiner Freunde. Es war etwas Unvollendetes, etwas, das ich in Ordnung bringen musste. Ich war mir sicher, dass sich irgendwann eine Gelegenheit dafür bieten sollte. Sobald wir Arokin besiegt und seinen Einfluss auf diese Welt zunichtegemacht hatten.

Der Zorn auf Arokin, der mich erfüllte, brachte die Sirene zum Verstummen. Dafür würde er büßen. Wenn ich auch nicht wusste, wie.

Ich wusste nicht, was vor mir lag, wie genau der Weg aussah, den wir beschritten. Doch ich wusste, was hinter mir lag. Das war auch etwas wert.

Und ich wusste, wer ihn mit mir ging. Das war Gold wert.

Asir lief neben mir. Ich wusste, wir waren auf der Suche nach einem Ort, an dem wir möglichst unbemerkt verschwinden konnten. Oder vielleicht war es ein Vorwand, der es mir ermöglichte, mich von dieser Welt zu verabschieden.

Ich würde sie nicht vermissen. Denn alles, was mich hier noch hätte halten können, waren meine Freunde, die mich nicht mehr kannten. War Olivia, die schon vor langer Zeit von hier verschwunden war. Und nun wer weiß wo war. Vielleicht ein für alle mal tot. Ein Stich fuhr mir ins Herz, ließ es stolpern.

Einmal aus dem Takt gekommen, stolperte es mit meinen Gedanken von einem Unglück ins nächste.

Erst jetzt drang die Bedeutung der Ereignisse in mein Bewusstsein vor. Es durchbrach die Wand, die es vom Unterbewussten trennte. Arokin hatte versucht, Asir umzubringen, um zu mir zu kommen. An mein Blut zu gelangen. Was würde er tun, wenn er mich hatte? Angst streckte ihre kalten Hände nach mir aus.

Mein Herz stolperte weiter, während meine Schritte unsicherer wurden.

Ich griff nach Asirs Hand. Sie war warm. Sicher. Beruhigend. „Ich hatte gehofft, ihn durch diesen gedanklichen Stoß vertreiben zu können, ohne Sabine umzubringen. Er ist schwach, und das war meine Hoffnung. Ansonsten wäre es für einen von uns nicht gut ausgegangen." Seine Worte waren die ersten, die seit unserem Aufbruch gesprochen wurden.

Sie blieben vorläufig die einzigen, während wir die Straße entlangschritten, in der ich aufgewachsen war. Hier kannte ich jeden Winkel.

Ein Auto fuhr vorbei. Ich musste mich zusammenreißen, um mir nicht die Ohren zuzuhalten, so laut war es. Diese ganze Welt war schrecklich laut. Der Gestank nach Abgasen, den das Gefährt hinterließ, war ekelerregend. Er fraß sich durch meine Nase, bevor er stechend einen Weg in mein Gehirn fand.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt