-11- Vom Meer und einer Kiste II

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Unser Schiff fuhr mit der Kraft des Wassers, genauso, wie das Schiff von Durijan. Deswegen benötigte es im Fluss weder Segel noch Ruder. Unter dem Kiel befand sich ein Mechanismus, der den Wasserstrom auffing und ihn nutzte, um voranzukommen. Eine Innovation von Saros. Es funktionierte sowohl in Fahrtrichtung als auch gegen die Fahrtrichtung, dafür musste man nur einen Hebel neben dem Steuerrad umlegen. „Ansonsten werdet ihr irgendwann rückwärtsfahren“, hatte Saros uns erklärt.

„Das wäre doch auch lustig, oder nicht?“, hatte Sophie gefragt.

„Nein! Dann macht ihr noch mein Schiff kaputt!“

Aber als wir jetzt das offene Meer erreichten, brachte uns dieser Antrieb nicht weiter. Denn die Strömung des Meeres sei nicht so einfach einzufangen, wie die des Flusses. Und das Schiff musste mehr gegen die Strömung kämpfen als im Fluss. Hier gab es mehr Hindernisse. Insgeheim war ich überzeugt davon, dass Saros mit irgendeiner Magie gearbeitet hatte. So konnte er auch die Havsropen so schnell bauen. Allein, wohlgemerkt.

Deswegen ließ Arokin nun mit einer Handbewegung die Segel hinab. Ein Schlag ertönte, als der sich der Wind in ihnen fing. Salzgeruch lag in der Luft. Die Wellen schlugen gegen den Bug.

„Jetzt gibt es kein Zurück mehr“, hörte ich Sophie sagen, die neben mir stand.

„Das gibt es schon lange nicht mehr“, meinte ich. Aber seit wann genau? Spätestens seit dem Augenblick auf der Lichtung, dachte ich. Asir war es irgendwie gelungen, an meine Seele zu kommen. Selbst Lina hatte das lange nicht mehr geschafft. Nein, eigentlich hatte das vorher noch niemand geschafft. Ich konnte es nicht richtig benennen, aber seitdem fühlte ich mich fast wie ein anderer Mensch und ich hatte nicht mehr an mein altes Zuhause gedacht. Nur ab und zu an Lina und an Mikey. Aber ich hatte nicht wieder zurückgewollt, auch, wenn sie mir fehlten. Und am nächsten Tag hatte ich beschlossen, dass ich vielleicht doch noch versuchen sollte, mit Sophie auszukommen. Zu behaupten, wir wären beste Freunde geworden, wäre übertrieben. Aber wir hatten beide gelernt, gut miteinander auszukommen. Allem Anschein nach hatte sich Sophie nicht nur äußerlich verändert, seit sie hier war.

Sie hatte mir von den Tagen erzählt, als wir beide noch in unserer Welt waren und sie nicht zur Schule gekommen war. Sie hatten die Tage im Wald verbracht, er erzählte ihr irgendwelche Dinge, die sie wieder vergessen hatte, aber sie waren unablässig gelaufen und gelaufen. So lange, bis er mit der Stelle zufrieden war, die sie gefunden hatten. „Es kam mir nicht seltsam vor, dass wir Tag und Nacht durch den Wald gelaufen sind. Es war einfach so. Solange wir zusammenwaren, war alles gut. Und dann würde alles dunkel und plötzlich waren wir vor diesem Dorf. Oder besser gesagt, ich war vor diesem Dorf, denn von Arokin fehlte jede Spur. Das habe ich aber erst später gemerkt, denn mir war so schlecht und ich hatte eine ganze Weile das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden. Nach einiger Zeit ging es wieder. Und dann kamst du." Da war mir die Methode, wie ich nach Nuria gekommen war, viel lieber. Und ich hatte mich gefragt, ob es in so kurzer Entfernung wirklich zwei dieser sogenannten Knotenpunkte geben konnte, im Wald und bei mir auf dem Balkon? Oder waren sie einfach so groß? Oder war einer von uns nicht durch einen Kreuzungspunkt gereist? Plötzlich fiel mir das Drängen von Asir wieder ein, bevor er mich mitgenommen hatte.

„Hört zu“, Arokin ließ das Steuerrad los. „Ich muss mal eine Weile weg. In der Zeit haltet ihr das Schiff einfach auf Kurs, ja? Sonst müsst ihr nichts tun. Seht ihr die Berge?“ Er deutete an den Horizont, seine Hand zitterte dabei.

„Welche Berge? Hier ist überall Wasser“, protestierte Sophie. Ich folgte Arokins Finger mit meinem Blick und da war tatsächlich ein Gebirge, das aus dem Wasser zu ragen schien, weit am Horizont, geradeso zu erkennen. Ich nickte.

„Das ist euer Ziel. Bis dahin bin ich wieder da.“ Er klang hektisch, sah noch einmal zu den Segeln hinauf, dann schrumpfte er, während ihm Flügel wuchsen. Kurz darauf flog auch er davon.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt