-14- Von Zeitbomben und einem Stein II

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Nach einer langen Zeit hatte ich mich mehr oder weniger beruhigt. Die Sonne stand nun hoch am Himmel.

„Wir müssen sie beerdigen.“ Mein Blick fiel auf ihren Umhang, in den sie Sophie eingewickelt hatten.

„Verbrennen. Wir müssen sie verbrennen, damit ihre Seele in die richtige Welt kommt. Da ihre Seele vielleicht doch zu einem kleinen Teil in dem Amulett gefangen ist. Auch das müssen wir verbrennen und die Kette. Sonst ist ihre Seele nicht frei. Denn als du weg warst, Sarah, habe ich für kurze Zeit gespürt, wie sie einen Teil von sich in den Anhänger gibt. Dann nicht mehr. Ich weiß nicht, ob sie nicht doch noch eine leichte Verbindung durch den Angelhänger hierher hätt. Aber vielleicht sollte alles genau so sein. Vielleicht ist ihr Platz nicht hier." Arokin stand auf und streckte mir seine Hand hin. Nicht ohne Widerwillen zog ich mir die Kette über den Kopf und ließ sie in seine Hand fallen. Sie fühlte sich leichter an als vorher. Dann nahm er Sophie und trug sie auf das Schiff. Asir und ich folgten ihm.

„Nein, warte!“ Asir streckte seinen Arm nach mir aus, kurz bevor ich einen Fuß in die Brandung setzte, um Arokin auf das Schiff zu folgen.

Ich blieb stehen und beobachtete, wie Arokin sie auf das Deck legte. Anschließend verließ er das Schiff und lief durch das Wasser am Bug entlang.

Vielleicht ist die Zeit von manchen hier schon lange abgelaufen gewesen und niemand wollte es sehen, dachte ich, als mein Blick das abgesplitterte Holz streifte. Er berührte den Bug und ein paar Sekunden später züngelten Flammen aus seiner Hand, die sich erst langsam und dann immer schneller am Vorderdeck ausbreiteten. Bald darauf stand ein Großteil der Havsropen in Flammen. Die Wärme strahlte mir ins Gesicht.

„Aber sie wacht doch wieder auf?“ Auch, wenn wir beide einen schwierigen Start hatten, hatte ich zunächst gelernt, sie zu akzeptieren. Und schließlich war ich sogar in der Lage, sie zu mögen. Es war ein würdiger Abschied.

„Sicher. Aber ihre Seele ist nun wieder ganz in ihrer Welt. Ich weiß nicht, ob sie sich an irgendetwas hiervon richtig erinnern wird. Wir konnten die Seele nicht mehr einfangen. Es hat nicht funktioniert. Das können nur Götter, damit hatte mein Bruder recht.“ Ich spürte seinen Blick auf mir. Dieses Wissen machte es besser. Sie würde aufwachen und ihr Leben weiterleben. Sie würde diese Welt vergessen; aber ich würde sie nicht vergessen. Würde sie die Erkenntnis, die sie hier erlangt hatte, jetzt noch immer haben? Ich hoffte es für sie, denn sie war ein besserer Mensch geworden.

Zum Glück war die Befreiung von Olivia erfolgreicher gewesen. Ansonsten wäre unsere kurzzeitige Entführung umsonst gewesen.

„Manchmal ist dein Ziel nicht das der anderen. Das Schiff hat seinen Zweck erfüllt. Und jetzt ist es am Ende seiner Reise angekommen, deine geht weiter. Vielleicht haben wir die Prophezeiung falsch gedeutet. Vielleicht warst nur du es, von Anfang an.“ Arokin kam mit diesen Worten zurück und zusammen beobachteten wir, wie das Schiff von den Flammen verschlungen wurde. Und mit ihm die Geheimnisse, die es barg. Und die Rückfahrt nach Drosk. Hieß das, ich würde sie niemals wiedersehen? Auf der anderen Seite gab es hier auch andere Möglichkeiten der Reise, auch wenn ich sie nicht nutzen konnte. Im Moment zumindest nicht. Irgendwann gab der Mast nach, er fiel ächzend in sich zusammen, ein Funkenregen flog in den Himmel. Komm gut drüben an, Sophie, dachte ich. So gesehen kann man unsere Welt fast als ein Jenseits betrachten. Meine Augen folgten einem bestimmten Funken, bis er sich auflöste.

Wenige Augenblicke später wandte Asir sich ab und ging zu den Pferden. Einen Teil des Inhalts der Truhe befestigte er auf Sirius´ Rücken. Den Rest ließ er zurück. Arokin und ich folgten ihm und sattelten unsere Pferde. Nachdem ich mich auf Kirinsos Rücken geschwungen hatte, ging es mir besser.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt